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22.07.2024

Steuerboard

Das Déjà-vu im Steuerrecht – kommt die Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen jetzt doch?

Am 05.07.2024 gaben Bundeskanzler Olaf Scholz und die Bundesminister Robert Habeck und Christian Lindner eine Einigung über die Grundzüge des Bundeshaushaltes für 2025, einen Nachtragshaushalt für 2024 und eine Wachstumsinitiative bekannt. Bundeskanzler Scholz gab in diesem Zusammenhang an, ein Teil der Wachstumsinitiative widme sich dem Abbau von Bürokratie, unter anderem dergestalt, dass jährlich ein Bürokratieabbaugesetz beschlossen und „Praxis-Checks“ durchgeführt werden sollen, um Vorschriften aufzuspüren, die zwar gut gemeint sind, sich in der Praxis aber als untauglich erweisen. Fünf Tage später legte das Haus von Christian Lindner einen Entwurf vor, der einen solchen Check wohl kaum bestehen dürfte: Am 10.07.2024 veröffentlichte das BMF einen Referentenentwurf (RefE) für das Zweite Jahressteuergesetz 2024 (JStG 2024 II), in dem eingebettet etwa zwischen einer Anpassung des Einkommensteuertarifs, einer Anhebung des Kinderfreibetrags und des Kindergelds sowie einer Änderung bei den Lohnsteuerklassen III und V ein von vielen totgeglaubtes Vorhaben aus dem Wachstumschancengesetz (WtChG) wiederbelebt wird – die Mitteilungspflicht über innerstaatliche Steuergestaltungen.

Nachhaltigkeitsbericht: Die Herausforderung erfolgreich meistern

RA/StB Dr. Martin Liebernickel
ist Partner bei POELLATH in Frankfurt/M.

Tobias Stiewe, Mag. iur.,
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei POELLATH in Frankfurt/M. und Doktorand an der Universität Heidelberg

Das bisherige Scheitern der Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen im WtChG

Bereits im Koalitionsvertrag 2021–2025 nahmen sich die Regierungsparteien vor, eine Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen einzuführen:

„Wir werden die bereits eingeführte Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen auch auf nationale Steuergestaltungen von Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 10 Millionen Euro ausweiten.“ (S. 132)

Die geplanten Regelungen im WtChG

Umgesetzt werden sollte das Vorhaben durch das WtChG. Hier sollten in die AO neue §§ 138l bis 138n AO-E eingefügt werden, die die Regelungssystematik der grenzüberschreitenden Meldepflicht (sog. DAC 6) weitgehend übernahmen (vgl. Liebernickel/Schmitt, DB1445785).

Eine innerstaatliche Gestaltung lag nach den damaligen Plänen (§ 138l Abs. 2 AO-E) vor, wenn

(i.) die Gestaltung nicht grenzüberschreitend ist,

(ii.) sie die Einkommen- oder Vermögensteuer, Gewerbesteuer, Erbschaft- oder Schenkungsteuer oder Grunderwerbsteuer zum Gegenstand hat,

(iii.) mindestens ein definiertes Kennzeichen aufweist (§ 138l Abs. 3 AO-E) und

(iv.) einer der wenn nicht der Hauptvorteil(e) in der Erlangung eines steuerlichen Vorteils besteht (sog. Main-Benefit-Test).

Zusätzlich musste entweder ein nutzerbezogenes Kriterium oder ein gestaltungsbezogenes Kriterium erfüllt sein (§ 138l Abs. 5 AO-E), vereinfacht gesprochen also entweder der Nutzer oder die Gestaltung selbst eine gewisse (auch finanzielle) Relevanz aufweisen.

Das Aus im Vermittlungsausschuss

Bekanntermaßen hatte der Bundesrat im November 2023 die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt.

Die Ausschussempfehlung des Bundesrates legte der Ländervertretung nahe, die geplante Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen abzulehnen.

Die Erfahrungen bei grenzüberschreitenden Meldepflichten hätten gezeigt, dass der erhebliche Aufwand nicht zu rechtfertigen sei.

„Auch für Steuerberater und andere Intermediäre ist die vorgesehene Mitteilungspflicht nationaler Steuergestaltungen mit einem enormen Aufwand verbunden, der in keinem Verhältnis zum zu erwartenden Nutzen steht.“ (BR-Drs. Empfehlungen 433/1/23 S. 64)

Zudem sei die Steuerverwaltung ohnehin schon hinreichend personell ausgelastet.

„Der Bundesrat stellt zudem fest, dass sich die Steuerverwaltung mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert sieht. Zusätzliche Meldungen über nahezu ausschließlich bereits bekannte Gestaltungen behindern die Erledigung wichtiger Aufgaben. Bei rein innerstaatlichen Sachverhalten hat die Verwaltung auch ohne ein aufwändiges und bürokratisches Meldesystem bereits einen guten Überblick über die verschiedenen Gestaltungen. Aufgrund der ohnehin schon hohen Belastung kann eine zeitnahe Auswertung zudem nicht gewährleistet werden.“ (BR-Drs. Empfehlungen 433/1/23 S. 64)

Die Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen wurde durch den Vermittlungsausschuss gestrichen und das WtChG durch den Bundestag Ende Februar 2024 und durch den Bundesrat Ende März 2024 verabschiedet.

Der erneute Anlauf durch das JStG 2024 II

Wer allerdings dachte, die Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen sei durch den Vermittlungsausschuss endgültig beerdigt worden, der wurde durch den RefE zum JStG 2024 II (Bearbeitungsstand 10.07.2024 10:56) eines Besseren belehrt. Denn dort finden sich eben jene §§ 138l bis 138n AO-E nahezu unverändert wieder, eingeordnet als Auftrag aus dem Koalitionsvertrag.

Beschränkter Erfolg der Meldungen über grenzüberschreitende Steuergestaltungen

Will man die Erfolgsaussichten und damit die Sinnhaftigkeit einer Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen abschätzen, lohnt ein Blick auf den evaluierten Erfolg der bereits bestehenden Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen, die gewissermaßen die Muttervorschrift dieses Entwurfs ist. Immerhin betont der RefE, dass die geplanten Regelungen zur innerstaatlichen Meldepflicht eng an den bestehenden Bestimmungen für grenzüberschreitende Meldungen angelehnt sind.

Auf eine kleine Anfrage der Unionsfraktion zur Evaluierung der Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen antwortete die Bundesregierung (BT-Drs. 20/6734), dass Stand 31.03.2023, also rund 3 Jahre seit Bestehen der Regelung, 26.921 Meldungen beim BZSt eingegangen seien, woraus 206 Gestaltungsmodelle identifiziert wurden, die in den rechtspolitischen Auswertungsprozess überführt wurden, von denen 24 an das BMF aufgrund identifizierten rechtspolitischen Handlungsbedarfs weitergeleitet worden seien. Zur Frage, wie viele dieser Mitteilungen Maßnahmen der Finanzverwaltung ausgelöst haben, liegen der Bundesregierung demnach keine Erkenntnisse vor, ebenso nicht zu bisherigen oder zukünftigen Steuermehreinnahmen durch die Meldungen bzw. eine etwaige Reaktion des Gesetzgebers hierauf.

Geht man davon aus, dass eine steuerpolitische Relevanz nur in den 24 an das BMF weitergeleiteten Fällen vorliegt, und setzt diese in Relation zu den abgegebenen Meldungen, ergibt sich gewissermaßen eine Quote von rund 0,09%. Sicher ist zuzugeben, dass es Mehrfachmeldungen von inhaltlich denselben Strukturen gibt, sodass nicht gefolgert werden kann, über 99,9% der abgegebenen Meldungen im Rahmen der Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen seien aus steuerpolitischer Sicht irrelevant. Angesichts dieser Zahlenlage von einem Erfolg auszugehen, den man nunmehr auf innerstaatliche Gestaltungen übertragen müsse, erscheint aber nicht gerade naheliegend.

Überbordender Erfüllungsaufwand

Diesen überschaubaren bisherigen Erfolgen steht ein unverhältnismäßig hoher Erfüllungsaufwand gegenüber, nicht nur der Steuerpflichtigen und Intermediäre, sondern auch aufseiten der Finanzverwaltung.

Der RefE geht in seinen Überlegungen zum Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft davon aus, dass jährlich in 20.000 Fällen ein Relevanztest zum Vorliegen einer mitteilungspflichtigen innerstaatlichen Steuergestaltung angewendet werden wird und es jährlich in 5.000 Fällen zu einer Mitteilungspflicht komme. Diese Zahlen dürften niedrig gegriffen sein. Denn schon die 3-Jahres-Evaluation zu den grenzüberschreitenden Mitteilungspflichten ergab rund 27.000 Meldungen, also rund 9.000 jährliche Meldungen. Zwar müssten bei innerstaatlichen Gestaltungen nach dem Entwurf anders als bei grenzüberschreitenden Gestaltungen zusätzlich nutzer- oder gestaltungsbezogene Kriterien erfüllt sein. Insgesamt dürften innerstaatliche Gestaltungen die grenzüberschreitenden Gestaltungen aber überwiegen. Der RefE gesteht selbst ein, dass „eine verlässliche Schätzung, wie viele Mitteilungen auszuwerten sein werden, nicht möglich“ sei. Insbesondere dürfte entscheidend sein, wie schnell das BMF ein Schreiben mit ergänzenden Erläuterungen und einer Whitelist erlässt, das – wie im Fall der bestehenden Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen (BMF-Schreiben vom 29.03.2021, BStBl. I S. 582) – immerhin zu mehr Klarheit für die Rechtsanwender führt und damit auch höchst vorsorgliche Meldungen verringert. Eine solche Möglichkeit sieht § 138l Abs. 2 Satz 3 AO-E entsprechend der Möglichkeit in grenzüberschreitenden Fällen nach § 138d Abs. 3 Satz 3 AO vor.

Auf Ebene der Finanzverwaltung ist nach dem RefE mit einer deutlichen Mehrbelastung zu rechnen. Der Gesetzentwurf veranschlagt auf Länderebene für die Mitwirkung von Vertretern der Länderfinanzbehörden bei der rechtspolitischen Auswertung jährlich 1080 (sic!) Personentage im gehobenen und 144 Personentage im höheren Dienst. Auf Bundesebene soll jährlich zusätzlicher Personalbedarf im Haushalt des BMF in Höhe von je 200 Personentagen im gehobenen und 200 Personentagen im höheren Dienst entstehen. Rechnet man alle veranschlagten Personentage auf Bund- und Länderebene zusammen, ergeben sich 1.624 Personentage pro Jahr allein für innerstaatliche Mitteilungspflichten, wobei etwa die unpräzise weit gefasste IT-Pflege mit 400 Personentagen noch gar nicht (anteilig) mitgerechnet ist.

Dabei sieht sich die Finanzverwaltung ohnehin schon mit großen Herausforderungen konfrontiert. Die Auswirkungen der bevorstehenden Pensionierungswelle sind erst zu erahnen. Die Deutsche Steuergewerkschaft rechnete in einer Stellungnahme zum WtChG mit einem Drittel weniger Personal in der Steuerverwaltung im Jahr 2030. Zugleich wird künstliche Intelligenz in der Finanzverwaltung bisher noch viel zu wenig genutzt. So kommt eine Kurzstudie des Nationalen E-Government Kompetenzzentrum e.V. (NEGZ) 2023 zu dem Schluss, dass es in der öffentlichen Verwaltung oftmals an einem grundlegenden Verständnis des mit dem Einsatz von KI verbundenen Potenzials mangele.

Des Weiteren kommt es beim BZSt schon jetzt sowohl bei der Ausstellung von Bescheinigungen über die Freistellung von der deutschen Kapitalertragsteuer als auch bei ihrer Erstattung zu langen Verfahrensdauern. So beträgt der statistische Durchschnitt beim Freistellungsverfahren 480 Tage und beim Erstattungsverfahren 615 Tage (BT-Drs. 20/10898).

Umso weniger nachvollziehbar erscheint es daher, der Finanzverwaltung immer weitere Aufgaben aufzubürden.

Zusammenfassung

Die Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen scheint durch den RefE zum JStG 2024 II ein Revival zu erleben. Bedauerlicherweise wurden die zahlreichen mahnenden Stellungnahmen im Rahmen des WtChG nicht langfristig erhört. Während sich Bundeskanzler, Wirtschafts- und Finanzminister öffentlich für Bürokratieabbau aussprechen, kommt ausgerechnet aus dem BMF ein Gesetzesentwurf, der genau das Gegenteil bewirken dürfte. Die Wachstumsinitiative, die unter anderem „unnötige Bürokratie abbauen“ soll, um die „unternehmerische Dynamik“ zu stärken, wurde durch das Bundeskabinett jedenfalls am 17.07.2024 beschlossen. Es bleibt daher nur zu hoffen, dass der versprochene „Praxis-Check“ im Vorfeld der Gesetzesverabschiedung erfolgt.

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