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28.02.2020

Steuerboard

Zur teleologischen Reduktion der Sperrfristregelung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG

Das FG München hat mit Urteil vom 10.07.2019 entschieden, dass die Sperrfristregelung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG – die sog. „Körperschaftsklausel“ – teleologisch einzuschränken ist. In dem Sachverhalt hatte eine zu 100% beteiligte Kapitalgesellschaft ein Wirtschaftsgut nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG übertragen. In einer nachfolgenden Veräußerung der Anteile an der übernehmenden KG an eine andere Kapitalgesellschaft konnte das FG richtigerweise keine Statusverbesserung erkennen. Trotz der Erfüllung des Wortlauts des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG komme dieser somit nicht zur Anwendung.

Zur teleologischen Reduktion der Sperrfristregelung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG

StB Dipl.-Kfm. Manuel Brühl
ist Inhaber der Kanzlei BRÜHL, München.

StB Dipl.-Kfm. Dr. Martin Weiss
ist tätig bei Flick Gocke Schaumburg, Berlin.

Ausgangslage

Das deutsche Steuerrecht ist von einem umfassenden System von Sperrfristregelungen durchzogen. Besonders relevant sind diese im UmwStG, innerhalb dessen wiederum § 22 UmwStG hervorsticht. Dieser ist in letzter Zeit sowohl vom BFH (Urteil vom 24.01.2018 – I R 48/15, DB 2018 S. 1568) als auch von den Finanzgerichten – etwa im Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 10.07.2018 (2 K 406/16; Weiss/Kahlenberg, DStR 2019 S. 2057) – sehr weit zu Lasten der Steuerpflichtigen ausgelegt worden.

Allerdings sind auch im EStG Sperrfristen zu finden, die den Steuerpflichtigen und ihren Beratern das Leben schwer machen. Insbesondere nach einer Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern unter § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG sind solche Sperrfristen zu beachten. Ist die Übertragung selbst auch zwingend zum Buchwert zu bewerten, bedrohen den „übertragenden Gesellschafter“ gleich zwei Sperrfristen.

Während diejenige nach § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG sich durch Erstellung einer Ergänzungsbilanz noch vermeiden lässt, steht dieser Ausweg bei derjenigen nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG nicht zur Verfügung. Zudem läuft letztere Frist gleich sieben Jahre und umfasst neben der unmittelbaren auch die mittelbare Begründung oder Erhöhung des Anteils „einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse an dem übertragenen Wirtschaftsgut“ als schädliches Ereignis.

Zu welchen Problemen diese weite Definition des schädlichen Ereignisses führen kann, hat das Urteil des FG Niedersachsen vom 26.10.2018 (3 K 173/16; Weiss/Brühl, DStR 2019 S. 1065) eindrücklich gezeigt. In einer Kette von Personengesellschaften muss diese vor jeder – vermeintlich steuerneutralen – Umwandlung eines Mitglieds auf eine Kapitalgesellschaft insgesamt auf noch laufende Sperrfristen untersucht werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass z.B. § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG mittelbar verletzt wird. Im Gegensatz zu der ebenfalls siebenjährigen Sperrfrist des § 22 Abs. 1, 2 UmwStG werden die Folgen nicht durch eine „Abschmelzung“ über die Zeit gemildert.

Werden Immobilien und grundbesitzende Gesellschaften auf oder von Tochter-Personengesellschaften übertragen, sind regelmäßig die Fristen aus § 5 Abs. 3 GrEStG sowie § 6 Abs. 3, 4 GrEStG zu beachten.

Sachverhalt

Das FG München hat sich mit seinem Urteil vom 10.07.2019 (7 K 1253/17) nun in eindeutiger Weise zugunsten der Steuerpflichtigen positioniert. Die Klägerin ist eine inländische Kapitalgesellschaft, die im Streitjahr 2011 Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG auf eine Mitunternehmerschaft, an der sie zu 100% beteiligt war, übertragen hatte. Jedenfalls durch eine negative Ergänzungsbilanz bei der übernehmenden Mitunternehmerschaft wurde die Sperrfrist nach § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG vermieden (zur Verwaltungsauffassung in 100%-Fällen siehe H 6.15 EStH, „Einmann-GmbH & Co. KG“).

Die Sperrfrist nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG blieb allerdings als „Damoklesschwert“. Diese kann nicht mittels Bildung von Ergänzungsbilanzen verhindert werden. Durch teilweise Veräußerung ihres Mitunternehmeranteils in den Jahren 2011 und 2014 zum Marktwert (!) an eine schweizerische AG hatte die Klägerin nach Auffassung des FA diese Sperrfrist jeweils anteilig („soweit“) verletzt. Die Aufdeckung stiller Reserven durch die Veräußerung der Teilmitunternehmeranteile (§ 16 Abs. 1 Satz 2 EStG) war insoweit offenbar nicht genug.

Vielmehr nahm das FA eine Begründung bzw. Erhöhung des Anteils einer Körperschaft „aus einem anderen Grund“ – wie in § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG formuliert – an. Die Klägerin hingegen war der Auffassung, dass ein steuerlich realisierender Vorgang nicht zu einer Sperrfristverletzung bei § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG führen könne.

Entscheidungsgründe

Das FG München hat sich dieser Argumentation im Ergebnis angeschlossen. Die durch die Übertragungen in Gang gesetzte Sperrfrist nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG sei zwar nach ihrem Wortlaut – jeweils anteilig – durch die Veräußerungen an die Schweizer AG verletzt worden. Es handele sich um einen „anderen Grund“ im Sinne der Vorschrift.

Dennoch seien die Rechtsfolgen des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG – der rückwirkende Teilwertansatz bei dem übertragenden Gesellschafter (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) – nicht zu ziehen. Insoweit sei die Regelung nämlich teleologisch zu reduzieren. Der Wille des Gesetzgebers komme im weiten Wortlaut nicht adäquat zum Ausdruck.

§ 6 Abs. 5 Satz 6 EStG solle im Kern als typisierende Missbrauchsvermeidungsvorschrift dienen. Sie solle Gestaltungen entgegenwirken, bei denen stille Reserven einzelner Wirtschaftsgüter auf Anteile an Kapitalgesellschaften verlagert und diese dann begünstigt veräußert werden.

Von den Rechtsfolgen müsse jedoch abgesehen werden, wenn trotz tatbestandlicher nachträglicher Begründung oder Erhöhung des Anteils einer Körperschaft an den vorher übertragenen Wirtschaftsgütern keine stillen Reserven auf ein Körperschaftssteuersubjekt übergehen. Bei einer Veräußerung des Mitunternehmeranteils gegen fremdübliches Entgelt sei dies der Fall. Dass es insoweit zu gewissen Verschiebungen – insbesondere einer Aufdeckung auf Ebene der Mitunternehmerschaft statt der klagenden Kapitalgesellschaft – komme, müsse hingenommen werden.

Einordnung und Ausblick

Durch die Entscheidung wird dem – oben bereits angedeuteten – Trend einer „fiskalisch ergiebigen“ Sichtweise von Sperrfristverletzungen entgegengewirkt. Auch vermeintlich unverdächtige Fälle von Sperrfristverletzungen, bei denen eine Statusverbesserung schwerlich zu erkennen ist, geraten derzeit in das Visier der Finanzverwaltung. Angefeuert von jüngeren Urteilen der Finanzgerichtsbarkeit schießt sie dabei allzu häufig über das Ziel hinaus.

Das FG München hat dieser Praxis in einem Teilbereich nun eine sinnvolle Reduktion des Wortlautes des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG entgegengesetzt. Damit stellten sich die üblichen Folgefragen erst gar nicht. Bei Bejahung eines Sperrfristverstoßes könnte die Thematik der Verzinsung aufkommen. Abgesehen von der insgesamt umstrittenen Frage der verfassungsrechtlich zulässigen Höhe dieser Verzinsung wird die Anwendung der richtigen Änderungsnorm bei Verstößen entscheidend. Die Sperrfrist nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG führt dabei nach allgemeiner Auffassung zu einer Änderung aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO bei dem übertragenden Gesellschafter. Der Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO), der häufig zusätzlich als Änderungsnorm zur Verfügung steht, ist allerdings vorrangig (§ 172 Abs. 1 Satz 1 AO) und hätte auch im Streitfall eine Änderung gestattet. Damit kann – trotz der eigentlich günstigen Norm des § 233a Abs. 2a EStG – eine Vollverzinsung bereits mit der üblichen Karenzzeit von „15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist“ (§ 233a Abs. 2 Satz 1 EStG) zur Anwendung kommen. Umso wichtiger wird es für Steuerpflichtige wie die Klägerin, gegen die ungerechtfertigte Anwendung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG vorzugehen, um auch den Folgen bei der Vollverzinsung auszuweichen.

Das Urteil zeigt eindrucksvoll, dass man bei Klagen gegen eine ungerechtfertigt weite Anwendung von Sperrfristregelungen auf offene Ohren stoßen kann. Wo keine Statusverbesserung – bzw. nur eine solche, die der Gesetzgeber hinnimmt – vorliegt, sollte auch das Instrumentarium der Sperrfristen tabu sein. Eine Lösung über „Sicherheitsventile“ wie die der Randziffer 22.23 des Umwandlungssteuererlasses (BMF vom 11.11.2011, BStBl. I 2011 S. 1314) kann dabei kein Substitut für den gesunden Menschenverstand sein. In der Revision (Az. XI R 20/19) wird der BFH diesen hoffentlich weiter walten lassen.

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