Mit Urteil vom 09.11.2023 (6 K 228/20) hat das Finanzgericht Hamburg die Klage in einem sog. Cum/ex-Verfahren abgewiesen. Inzwischen liegt die Begründung der Entscheidung vor.
Darum ging es im Streitfall
Eine Bank, die Organgesellschaft der Klägerin war, führte in den Streitjahren 2007 bis 2009 außerbörsliche Aktiengeschäfte rund um den Dividendenstichtag durch. Herangetragen an die Bank wurden die maßgeblichen Aktiengeschäfte von zwei Rechtsanwälten. Die entsprechenden Aktienpakete wurden von Anlageberatern, die nicht zur Bank gehörten, zusammengestellt. In den Streitjahren erwarb und veräußerte die Bank im Rahmen dieser Aktiengeschäfte jeweils mehrere Millionen an Aktien inländischer Unternehmen. Sie erzielte dadurch Kapitalerträge im mehrstelligen Millionenbereich. Diese wurden der Klägerin als Organträgerin der Bank steuerlich zugerechnet. Das beklagte Finanzamt rechnete ursprünglich mit den Körperschaftsteuerbescheiden für die Streitjahre aufgrund der Aktiengeschäfte Kapitalertragsteuern und Solidaritätszuschlag im zweistelligen Millionenbereich auf die Steuerlast an.
Im April 2020 änderte das Finanzamt die Körperschaftsteuerfestsetzungen und nahm die Anrechnungen zurück. Es begehrte nunmehr die Erstattung der angerechneten Beträge nebst Zinsen. Kurz vorher, im März 2020, waren zwei der Anlageberater wegen Steuerhinterziehung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung zugunsten der Bank im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Aktiengeschäften verurteilt worden. Das Urteil wurde später rechtskräftig. Ein führender Mitarbeiter der Bank und einer der Rechtsanwälte, die die Geschäfte an die Bank herangetragen hatten, wurden ebenfalls rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung zugunsten der Bank verurteilt.
Die Klägerin legte erfolglos gegen die Änderungs- und Rücknahmebescheide des Finanzamtes Einspruch ein. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Finanzgericht Hamburg machte sie im Kern geltend, dass die Urteilsfeststellungen in den Strafverfahren nicht verwertet werden dürften, weil sie unter schweren Mängeln litten. Die Verantwortlichen der Bank hätten keinen Vorsatz hinsichtlich einer Steuerhinterziehung gehabt. Auch wenn die Kapitalertragsteuer auf die streitgegenständlichen Dividendenerträge nicht erhoben und abgeführt worden sei, lägen die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Anrechnungen nicht vor. Zudem habe das Finanzamt sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt und die Frist für die Rücknahme sei abgelaufen gewesen. Ferner hätten die Rücknahmebescheide wegen eingetretener Zahlungsverjährung nicht erlassen werden dürfen.
Kein Erfolg vor dem Finanzgericht
Das Finanzgericht Hamburg ist den Argumenten der Klägerin nicht gefolgt. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Das Finanzamt habe die Körperschaftsteuerbescheide ändern und die Anrechnungsverfügungen zurücknehmen dürfen. Die Körperschaftsteuerbescheide hätten formell und materiell geändert werden dürfen.
Die Festsetzungsfrist sei in allen Streitjahren nicht abgelaufen gewesen, weil sie wegen einer Steuerhinterziehung zugunsten der Bank jeweils 10 Jahre betragen habe (§ 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung – AO). Das Gericht mache sich insoweit die Feststellungen in den rechtskräftigen Urteilen gegen den Rechtsanwalt und gegen die beiden Anlageberater zu eigen. Diese Feststellungen seien von der Klägerin nicht angegriffen worden, sodass insoweit keine eigene Beweisaufnahme des Finanzgerichts erforderlich sei.
Die Bescheide hätten auf der Grundlage von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (für 2007) und § 164 Abs. 2 Satz 1 AO (für 2008 und 2009) geändert werden dürfen. Es hätten neue Tatsachen vorgelegen: Es sei erst nachträglich bekannt geworden, dass die angerechnete Kapitalertragsteuer und der Solidaritätszuschlag nicht erhoben worden seien. Die Bank habe sich selbst insoweit inhaltlich unzutreffende Steuerbescheinigungen ausgestellt, deren Beweiskraft erschüttert sei.
Auch die Rücknahme der Anrechnungsverfügungen sei zu Recht erfolgt. Es lägen mit § 130 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 4 AO drei Rücknahmetatbestände vor. Die Anrechnungen seien unter anderem durch arglistige Täuschungen des rechtskräftig verurteilten Rechtsanwalts und der ebenso verurteilten Anlageberater erwirkt worden (§ 130 Abs. 2 Nr. 2 AO). Diese Täuschungen seien der Klägerin im Rahmen der Ermessensentscheidung des Finanzamtes zu Recht zugerechnet worden. Das Finanzamt sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Verantwortlichen der Bank jedenfalls grob fahrlässig gehandelt hätten und die Unrichtigkeit der selbst ausgestellten Steuerbescheinigungen hätten erkennen müssen.
Die Jahresfrist für die Rücknahme der ursprünglichen Anrechnungsverfügungen (§ 130 Abs. 3 Satz 1 AO) sei – soweit es auf sie ankam – jeweils eingehalten worden und es liege auch keine Zahlungsverjährung vor. Letztere habe mit jeder zwischenzeitlichen Änderung der Körperschaftsteuerfestsetzungen neu zu laufen begonnen.
Auch die Änderungen der jeweiligen Zinsfestsetzungen seien rechtmäßig. Sie seien eine gesetzliche Folge der Rücknahmen der Anrechnungsverfügungen (§ 233a Abs. 5 Satz 1 AO).
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.