Sachverhalt
Der Entscheidung des BFH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Käufer erwarb mit notariell beurkundetem Grundstückskaufvertrag im Jahr 2009 ein Grundstück mit einem sanierungsbedürftigen Gebäude, um dieses zu sanieren und umsatzsteuerpflichtig weiterzuverkaufen. In dem notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag verzichtete der Verkäufer auf die Umsatzsteuerbefreiung für Grundstückslieferungen nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG und optierte damit vollständig zur Umsatzsteuer. Im Jahr 2011 veräußerte der Käufer eine Teilfläche des Grundstücks mit dem sanierungsbedürftigen Gebäude – ohne auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UstG zu verzichten. Mit notariellem Vertrag („Änderung eines Grundstückskaufvertrags“) vereinbarten der Käufer und der Verkäufer im Jahr 2012 die (vollumfängliche) Rückgängigmachung des im Grundstückskaufvertrag aus dem Jahr 2009 erklärten Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung.
Das zuständige Finanzamt war dabei der Auffassung, dass der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung der Grundstückslieferung nur in dem zugrunde liegenden notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag erklärt werden könne. Dies gelte auch für die Rückgängigmachung eines solchen Verzichts.
Entscheidung des BFH
Der BFH ist dieser Auffassung der Finanzverwaltung in seiner Entscheidung nunmehr ausdrücklich entgegengetreten und hat entschieden, dass der Widerruf des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung nicht innerhalb des notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrags erfolgen muss:
Der Wortlaut des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG betreffe nicht den Widerruf, sondern nur den auf die Umsatzsteuerbefreiung (formal und auch zeitlich) begrenzten Verzicht. Denn würde das Recht zum Widerruf des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung gleichzeitig mit dem Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung ausgeübt werden müssen, wäre der Widerruf des Verzichts faktisch ausgeschlossen. Außerdem stehe der Zweck der Vorschrift des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG einem solchen Verständnis nicht entgegen. Die Regelung solle nämlich den Leistungsempfänger vor einem nachträglichen Verzicht des Leistungserbringers auf die Umsatzsteuerbefreiung schützen, um eine nachträgliche Steuerschuld des Leistungsempfängers zu verhindern. Der Widerruf der Option führe dagegen zu einer Umsatzsteuerbefreiung und damit nicht zu einer Belastung des Leistungsempfängers. Außerdem bestünde durch den Widerruf kein Risiko von Steuerausfällen für den Fiskus, da nicht nur die Steuerlast beim Leistungsempfänger wegfiele, sondern ggf. gleichzeitig auch sein Recht zum entsprechenden Vorsteuerabzug. In zeitlicher Hinsicht sei der Widerruf des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung solange möglich, wie die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung noch anfechtbar oder aufgrund des Vorbehalts der Nachprüfung noch nach § 164 AO änderbar ist. Dabei sei auf die Steuerfestsetzung des Käufers abzustellen, weil dieser im Falle der Grundstückslieferung wegen der Umkehr der Steuerschuldnerschaft (vgl. § 13b Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 UStG) Schuldner der Umsatzsteuer ist. Der Widerruf des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung wirke dann auf das Jahr der Ausführung des Umsatzes zurück.
Folgen für die Praxis
In der Praxis wird diese Entscheidung des BFH begrüßt (vgl. hierzu ausführlich Gerhards/Seibt-Pfitzner, DStR 2022 S. 77 ff.). Während ein Immobilien-Projektentwickler bislang eine Vorhersage zur zukünftigen umsatzsteuerlichen Situation in Bezug auf das Grundstück bzw. dessen Mieter treffen musste, kann aufgrund der vorliegenden Entscheidung des BFH nun flexibel auf Änderungen in der Mieterschaft hinsichtlich der Umsatzsteuer – unter Vermeidung von Vorsteuerschäden – reagiert werden. Springt etwa ein umsatzsteuerpflichtiger Mieter im Laufe der Projektentwicklung ab und kann kein (umsatzsteuerpflichtiger) Ersatz gefunden werden, besteht nun die Möglichkeit eines (teilweisen) Widerrufs des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung (vgl. Gerhards/Seibt-Pfitzner, DStR 2022 S. 78).
Die Praxis wird durch die Entscheidung des BFH allerdings auch vor neue Herausforderungen gestellt sowie mit neuen Unklarheiten konfrontiert (vgl. hierzu ausführlich Gerhards/Seibt-Pfitzner, DStR 2022 S. 77 ff.). So gilt es nun die Frist des Widerrufs nicht zu verpassen, welche regelmäßig mit dem Wegfall des Vorbehalts der Nachprüfung i.S.d. § 164 AO endet. Der Vorbehalt der Nachprüfung kann jederzeit aufgehoben werden und entfällt, wenn Festsetzungsverjährung eintritt. Außerdem ist ein Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 3 Satz 3 AO nicht mehr möglich, wenn sich nach einer Außenprüfung keine Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung ergeben. Im Einzelfall kann überdies geprüft werden, ob ein Einspruch sinnvoll ist, um das „Fenster zur Widerrufsausübung“ offenzuhalten (vgl. Gerhards/Seibt-Pfitzner, DStR 2022 S. 79). Außerdem ist die Form des Widerrufs unklar, da der BFH hierzu mangels Entscheidungserheblichkeit keine Stellung nehmen musste. Aus der vorinstanzlichen Entscheidung des FG Baden-Württemberg folgt nach Auffassung von Gerhads/Seibt-Pfitzner, dass es für den Widerruf einer „Reaktion beider Parteien“ bedürfe; eine einseitige Erklärung des Leistungserbringers (=Verkäufer) reiche nicht aus (vgl. Gerhards/Seibt-Pfitzner, DStR 2022 S. 80). In der Literatur wird teilweise vertreten, dass der Widerruf der Umsatzsteueroption im Rahmen einer notariell beurkundeten Vertragsänderung zu erfolgen habe (vgl. Schüler-Täsch, in: Sölsch/Ringleb, UStG, § 9 Rz. 179) und zum Teil wird das Erfordernis einer notariellen Beurkundung abgelehnt (vgl. Wenzel, in: Rau/Dürrwächter, UStG, § 9 Rz. 130). Bis zu einer Konkretisierung diesbezüglich durch Rechtsprechung und/oder Finanzverwaltung bleibt den Parteien des Grundstückskaufvertrages vor dem Hintergrund mangelnder Rechtssicherheit nichts anderes übrig, als einen notariell beurkundeten Vertrag über den Widerruf des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG abschließen (so überzeugend Gerhards/Seibt-Pfitzner, DStR 2022 S. 80).
Fazit
Die Entscheidung des BFH, einen Widerruf der Umsatzsteueroption auch zeitlich nach dem Abschluss des notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrags zuzulassen, überzeugt. Eine gegenteilige Auffassung würde gegen den Wortlaut des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG und dessen Sinn und Zweck verstoßen. Nichtsdestotrotz ergeben sich aufgrund der Entscheidung neue Herausforderungen und Unklarheiten für die Praxis. Es bleibt außerdem abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf die Entscheidung des BFH reagiert, da die (derzeitige) Auffassung der Finanzverwaltung, wonach die Rücknahme des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung nur in dem (ursprünglichen) notariell zu beurkundenden Grundstückskaufvertrag erklärt werden kann, im kompletten Widerspruch zu der vorliegenden Entscheidung des BFH steht.