22.10.2018

Interview

Wie sieht die Arbeit der Zukunft aus?

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Der Betrieb

Mit den Begriffen „Digitalisierung“ und „Change“ sind derzeit die großen Themen beschrieben, die die Unternehmen beschäftigen. Im Zusammenwirken mit dem demografischen Wandel ergeben sich daraus Fragestellungen für das Arbeiten von morgen. Welche Herausforderungen und Chancen sich daraus für die Unternehmen und den steuerberatenden Berufsstand ergeben, erläutert StB Karl-Heinz Bonjean, Präsident der Steuerberaterkammer Köln und Präsidiumsmitglied der Bundessteuerberaterkammer.

DB: Durch die Digitalisierung der Arbeitswelt ergeben sich neue Anforderungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, welche sehen Sie aus Sicht des Berufsstandes der Steuerberater, Herr Bonjean?

Bonjean: „Steuerberater sind Mittler zwischen unseren Mandanten und der Finanzverwaltung. Manchmal bedeutet das einen Spagat zwischen den Vorgaben des Fiskus und den Strukturen und Möglichkeiten im Mandantenbetrieb. Wir müssen dafür sorgen, dass wir alle nötigen Informationen vom Mandanten bekommen und sie in die Struktur bringen, die das Finanzamt haben will. Das ist nicht immer einfach, wie z. B. die Einführung der E-Bilanz gezeigt hat. Und wir müssen natürlich auch unsere Kanzleien an neue Anforderungen anpassen. Das betrifft nicht nur steuerrechtliche Vorgaben, sondern ebenso die Digitalisierung und auch die Nachwuchsgewinnnung.“

DB: Wie beurteilen Sie die Situation bei den Mandantenunternehmen?

Bonjean: „Das ist sehr unterschiedlich. Zwischen dem innovativen Start-up, der ein digitales Geschäftsmodell verfolgt und papierlos arbeitet, und dem alteingesessenen Produktionsbetrieb, für den Digitalisierung bedeutet, nun auch eine Homepage und eine E-Mail-Adresse zu haben, sind alle vorstellbaren Varianten vertreten. Unterschiede gibt es natürlich zwischen den verschiedenen Branchen. Vor allem entscheidend ist aber die Persönlichkeit des Unternehmers. Wer Chancen in der Digitalisierung sieht und sich für neue Entwicklungen interessiert, ist weiter als andere.“

DB: Welche Anforderungen oder Anforderungsprofile sehen Sie aus Sicht der Arbeitgeber?

Bonjean: „Aus Sicht der Arbeitgeber werden im Zuge der Digitalisierung auf jeden Fall Arbeitnehmer gesucht, die technikaffin sind, also die keine Angst vor dem Arbeiten mit digitalen Prozessen haben. Es muss nicht jeder gleich programmieren können, aber ein Verständnis dafür, was Algorithmen sind, wird wichtiger werden. Das ist z.B. notwendig, damit man beim Prüfen der Ergebnisse digitaler Prozesse ein Gespür dafür entwickeln kann, ob die Ergebnisse plausibel sind, oder ob man nicht im Einzelfall das Ergebnis noch einmal genauer nachvollziehen muss. Auch die Fähigkeit, eine strukturierte Datenanalyse durchzuführen, wird in Zukunft in vielen Berufen zu den Anforderungen gehören. Deshalb müssen wir auch die Bildungs- und Ausbildungsinhalte anpassen. Auf der anderen Seite darf man aber nicht zu technikgläubig sein. Nur die Tatsache, dass ein Programm eine bestimmte Zahl ermittelt, macht sie nicht richtig. Wir brauchen den kritischen Blick auf die Ergebnisse. Gleichzeitig bleiben bei den Mitarbeitern Team- und Kommunikationsfähigkeit sehr wichtig. Besonders wird es in Zukunft darum gehen, dass Personen aus unterschiedlichen Fachrichtungen sich gegenseitig verstehen und austauschen können. Wie schwierig das sein kann, merken Sie ja bereits heute, wenn sich ein Steuerexperte mit einem IT-Experten austauschen will, um eine richtige edv-technische Umsetzung steuerlicher Prozesse zu erreichen.“

DB: Und welche Anforderungen werden von den Arbeitnehmern geäußert?

Bonjean: „Arbeitnehmer wollen heute, dass Arbeitszeit, Arbeitsorganisation und Arbeitsumfeld an ihre persönlichen Bedürfnisse angenähert werden. Eine starre Arbeitszeit von 9 Uhr bis 17 Uhr wird nicht mehr als zeitgemäß empfunden. Sie wollen auch einmal von zu Hause aus arbeiten können, um Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren, oder weil sich vielleicht ein Handwerker angekündigt hat. Die Technik bietet da ja viele Optionen, und Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen abstimmen, wie und welche dieser Optionen im konkreten Fall umgesetzt werden können. Ich möchte das mit dem Stichwort „Individualisierung“ zusammenfassen; darin sehe ich den Schlüssel zum Erfolg. Und Mitarbeiter möchten auch Verantwortung übernehmen und eigenständig arbeiten können. Das motiviert sie zum Mitdenken und zur Kunden- oder Mandantenorientierung. Damit das funktioniert, müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen durch den Arbeitgeber geschaffen werden.“

DB: Sehen Sie Besonderheiten, die durch die sogenannte Generation „Z“ auf den Arbeitsmarkt zukommen.

Bonjean: „Nach allem, was wir über die Generation Z hören, wollen und brauchen diese Arbeitnehmer klare Strukturen. Sie wollen wissen, wann was zu tun ist und wie die Abläufe aussehen. Das heißt, der Arbeitgeber muss den organisatorischen Rahmen setzen, innerhalb dessen die vorhandenen Aufgaben zu bearbeiten sind. Weniger Selbstorganisation durch den Arbeitnehmer heißt natürlich dann mehr Vorgaben durch den Arbeitgeber, z.B. durch Checklisten oder Qualitätsmanagementsysteme. Das betrifft auch die Arbeitszeit. Die Generation Z möchte auch hier klare Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit, keine ständige Erreichbarkeit und, anders als teilweise suggeriert wird, auch kein sogenanntes Work-Life-Blending, also das Verschmelzen von Lebenswelt und Arbeitswelt. Insgesamt glaube ich, dass die Anforderungen an die Fähigkeit zur Personalführung durch die gerade schon angesprochene Individualisierung zunehmen werden. Und Unternehmen müssen vermehrt deutlich machen, welche Vorteile sie ihren Arbeitnehmern bieten können. Nur ein angemessenes Gehalt zu zahlen, reicht heute bei weitem nicht mehr aus. Unternehmen müssen sich als attraktive Arbeitgeber darstellen. Wir als Steuerberater brauchen uns da nicht zu verstecken und können gut auf die Bedürfnisse unserer Mitarbeiter eingehen.“

DB: Welche Hilfestellungen kann der Berater seinen Mandanten geben?

Bonjean: „Er kann in diesem Bereich vor allem Denkanstöße geben. Viele Steuerberater befassen sich aufgrund der schwierigen Nachwuchssituation verstärkt mit Fragen der Mitarbeitergewinnung und Personalführung. Wenn man dabei erkennt, was heute anders ist als vor zehn oder zwanzig Jahren – was damals vielleicht ging, aber heute nicht mehr geht – dann kann man dies auch an die Mandanten weitergeben und sie dabei unterstützen, für sie passende Beratungsangebote zu finden. Der Steuerberater kann hier zum Coach seines Mandanten werden. Er kann die Auseinandersetzung mit betriebswirtschaftlichen Themen anstoßen, er kann strategische Überlegungen beim Mandanten anregen. Gerade bei grundlegenden Umwälzungen wie der Digitalisierung muss sich der Unternehmer die Frage stellen, wo will ich in fünf Jahren stehen, und was muss ich tun, um dies zu erreichen.“

DB: Wie beurteilen Sie angesichts der bestehenden Herausforderungen die rechtlichen Rahmenbedingungen?

Bonjean: „Sicherlich müssen alte Gesetze wie das Arbeitszeitgesetz daraufhin überprüft werden, ob sie nicht an heutige Gegebenheiten angepasst werden können und müssen. Neue Gesetze wie die Datenschutzgrundverordnung müssen erst noch überall umgesetzt werden und sich in der Praxis bewähren. Im Steuerrecht müssen wir darauf achten, das sich nicht das Recht an der Technik orientiert, sondern dass vielmehr die technische Umsetzung den rechtlichen Vorgaben folgt. Darüber hinaus müssen wir dafür sorgen, dass die Inhalte der Berufsausbildung an die neuen Praxisanforderungen angepasst werden.“

DB: Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Bonjean: „Für uns Steuerberater sehe ich den größten Handlungsbedarf im Bereich der Ausbildung. Die Arbeitsinhalte und damit auch die Arbeitsprozesse in den Kanzleien und den Mandantenunternehmen werden sich weiter verändern. Die Ausbildung der Steuerfachangestellten, der Steuerfachwirte und der Steuerberater selbst muss so ausgerichtet werden, dass die mit der Digitalisierung benötigten Fähigkeiten auch gelehrt werden. Außerdem müssen die heutigen Mitarbeiter entsprechend fortgebildet werden.“

DB:? Ihr abschließender Rat für Unternehmen und Steuerberater, wie sollen sich Arbeitgeber auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen oder reagieren?

Bonjean: „Wie in anderen Bereichen gilt auch hier: Nicht den Kopf in den Sand stecken! Das Entscheidende am Unternehmertum ist ja gerade, sich auf veränderte Gegebenheiten einzustellen, neue Wege zu finden und kreativ zu sein. Diese Eigenschaften müssen wir jetzt auch in den Prozess der Digitalisierung und der Mitarbeitergewinnung und Personalführung einbringen. Dazu gehört auch, Gewohnheiten zu hinterfragen und über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und miteinander zu reden. Kommunikation ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Das gilt für Berater natürlich ganz besonders, für alle anderen aber auch: Kommunikation nicht nur mit Kunden oder Lieferanten, auch mit Projektpartnern, Dienstleistern und den derzeitigen und künftigen Mitarbeitern. Nur gemeinsam werden wir gute Ergebnisse erzielen können.“

Vielen Dank für das Interview, Herr Bonjean!

Das Interview führte Marko Wieczorek, DER BETRIEB.


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