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04.04.2022

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Whistleblower als Kontrolleure des Arbeitsrechts?

In Deutschland muss die Whistleblower-Richtlinie der EU vom 23. Oktober 2019 umgesetzt werden. Eigentlich hätte die Umsetzung bis zum 17. Dezember 2021 erfolgen müssen. Diese Frist hat der Gesetzgeber verstreichen lassen, so dass die EU-Kommission inzwischen gegen Deutschland (wie auch gegen 23 weitere Mitgliedsstaaten) ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat. Bundesjustizminister Buschmann will jetzt rasch einen Gesetzentwurf vorlegen. Es verweist dazu auf die Existenz von Vorarbeiten, die nur noch angepasst werden müssten.

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Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Löwisch
Leiter der Forschungsstelle für Hochschularbeitsrecht an der Universität Freiburg und Rechtsanwalt in Lahr

Mit diesen nur noch anzupassenden Vorarbeiten meint Buschmann ersichtlich den in der Großen Koalition gescheiterten Referentenentwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Dieser Referentenwurf (Bearbeitungsstand 26. November 2010) greift in seinem sachlichen Anwendungsbereich über die Vorgaben der Richtlinie weit hinaus und betrifft so in vollem Umfang auch das Arbeitsrecht: Die Richtlinie beschränkt sich auf Verstöße gegen das Unionsrecht in den Bereichen öffentliches Auftragswesen, Finanzdienstleistungen, Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Strahlenschutz. Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz sowie Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten. Sie setzt zudem voraus, dass die Verstöße in den Anwendungsbereich bestimmter in einem Anhang einzeln aufgeführter Rechtsakte der Union fallen. Unmittelbare Anknüpfungen an arbeitsrechtliche Regelungen enthält sie damit nicht. Von den Einschränkungen der Richtlinie weicht der Referentenentwurf in zweifacher Hinsicht ab. § 2 Absatz 1 Nr. 1 sieht ohne entsprechendes Vorbild in der Richtlinie pauschal den Schutz der Melder und Offenleger von Verstößen vor, die straf- oder bußgeldbewehrt sind. Hier habe der Gesetzgeber durch die Sanktionierung deutlich gemacht, dass ein nicht unerheblicher Verstoß vorliege. Deshalb sei es sachgerecht, hinweisgebende Personen zu schützen. § 2 Absatz 1 Nr. 2 schützt zwar Meldung und Offenlegung sonstiger Verstöße gegen Gesetze, Rechtsverordnungen und sonstige Vorschriften ebenfalls nur, wenn sie einen der dort aufgezählten Bereiche betreffen. Die Regelung verzichtet aber auf die weitere Voraussetzung des Verstoßes gegen eine ausdrückliche genannte Vorschrift. Die in § 2 Absatz 1 Nr. 1 vorgesehene Ausweitung hätte gravierende Auswirkungen zunächst im Arbeitnehmerschutzrecht. Dieses enthält insbesondere im Arbeitsschutzgesetz, im Arbeitssicherheitsgesetz, im Arbeitszeitgesetz, in der Gewerbeordnung, im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, im Heimarbeitszeitgesetz, aber auch im Mindestlohngesetz und im Arbeitnehmerentsendegesetz zahlreiche Ordnungswidrigkeitstatbestände. Gemeinsam mit den Ordnungswidrigkeitstatbeständen der Sozialgesetzbücher bilden sie ein dichtes Netz staatlicher Prävention und Sanktion der Verletzung von Arbeitnehmerrechten. Das behördliche Einschreiten steht aber aus gutem Grund unter dem Vorbehalt des Opportunitätsprinzips: Ob sie eine Ordnungswidrigkeit verfolgt, liegt nach § 47 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Sie soll unter Abwägung aller Umstände und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips entscheiden, ob sie tätig wird oder nicht und was sie unternimmt. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit hat die Behörde dabei hier wie sonst auch abzuwägen, ob die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit mehr schadet als nutzt, etwa weil sie die Lösung des Streits über eine Verpflichtung des Arbeitgebers behindert oder verzögert. Dieser Vorbehalt des Opportunitätsprinzips würde durch den vorgeschlagenen § 2 Absatz 1 Nr. 1 ausgehebelt. Denn jeder Beschäftigte könnte Informationen über einen Verstoß gegen eine bußgeldbewehrte Verpflichtung nicht nur intern, sondern kraft des ihm in § 7 des Entwurfs ausdrücklich eingeräumten Wahlrechts auch bei der externen Meldestelle des Bundes melden und dort ein Prüfverfahren auslösen. Ob er selbst betroffen ist, spielte dabei keine Rolle. Jeder Beschäftigte könnte sich in solchen Fällen, gebeten oder ungebeten, zum Anwalt anderer Beschäftigter machen. Für seine Legitimation genügte es, dass er, wie es § 32 Absatz 1 Nr. 2 des Entwurfs formuliert, hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die von ihm gemeldeten Informationen der Wahrheit entsprachen. Jeder Beschäftigte hätte zudem die Möglichkeit, Ordnungswidrigkeiten offen zu legen, das heißt seine Informationen der Öffentlichkeit und damit insbesondere den Medien zugänglich zu machen. Dafür genügte nach § 31 Nr. 2 des Entwurfs, dass er hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann oder dass er im Falle einer bloßen externen Meldung Repressalien zu befürchten hätte oder dass aufgrund der besonderen Umstände des Falles die Aussichten gering sind, dass die externe Meldestelle wirksame Folgemaßnahmen einleiten würde. § 2 Absatz 1 Nr: 1 beträfe auch die Betriebsverfassung. Das BetrVG stellt in § 119 Absatz 1 die Behinderung oder Störung der Wahl und der Tätigkeit des Betriebsrats und anderer Organe der Betriebsverfassung und die Benachteiligung oder Begünstigung von Betriebsräten und anderen Organmitgliedern unter Strafe. Nach § 120 ist die Verletzung von Geheimnissen strafbar. § 121 stuft Nichterfüllung und wahrheitswidrige, unvollständige oder verspätete Erfüllung einer ganzen Reihe im BetrVG bezeichneter Aufklärungs- und Auskunftspflichten als ordnungswidrig ein. Auch diese Verstöße könnten von jedem Beschäftigten der externen Meldestelle gemeldet und unter den Voraussetzungen des § 31 Nr. 2 des Entwurfs in die Öffentlichkeit getragen werden. Das konterkarierte nicht nur das Opportunitätsprinzip. Es ließe auch außer Acht, dass die genannten Straftatbestände als Antragsdelikte ausgestaltet sind: Behinderung und Störung von Wahl und Tätigkeit des Betriebsrats sowie Benachteiligung oder Begünstigung von Betriebsräten und anderen Organmitgliedern werden nur auf Antrag des zuständigen Betriebsrats bzw. des Wahlvorstands, des Unternehmers oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft verfolgt. Im Falle der Verletzung eines Geheimnisses muss der Verletzte Strafantrag stellen. Mit dieser Ausgestaltung als Antragsdelikt will das Gesetz die zukunftsorientierte interne Konfliktlösung sichern. Wenn Betriebsrat, Unternehmer und im Betrieb vertretene Gewerkschaffen den Streit über eine mögliche Behinderung oder Störung der Betriebsratstätigkeit oder über eine Benachteiligung oder Begünstigung von Betriebsräten in Verhandlungen beilegen, soll es dabei sein Bewenden haben und nicht noch mit dem Eingreifen von Staatsanwaltschaft und Strafgericht zu rechnen sein. Gäbe man mit dem Entwurf jedem Beschäftigten das Recht, einen Streit über Behinderung oder Störung und über Benachteiligung oder Begünstigung extern zu melden, könnten auch gar nicht Betroffene, aus welchen Motiven auch immer, ein Verfahren auslösen, das die betriebliche Einigung behindert, jedenfalls aber verzögert. Besonders gravierend wäre die Möglichkeit der Offenlegung. Die Erörterung betriebliche Konflikte in der Öffentlichkeit führt häufig dazu, dass sich die Standpunkte unter dem entstehenden Rechtfertigungsdruck verhärten und Lösungen erschwert werden. Auch die in § 2 Absatz 1 Nr. 2 vorgesehene Abweichung von der Richtlinie wirft Probleme auf. Werden die für Meldung und Offenlegung relevanten Vorschriften nicht ausdrücklich genannt, entsteht Rechtsunsicherheit. Es ist dann beispielsweise nicht klar, ob der Tatbestand „zum Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie zur Sicherheit von Netz- und Informationssystemen“ (§ 2 Absatz 1 Nr. 2 lit. k) nur Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften erfassen oder sich auch auf andere Vorschriften zum Schutz der Privatsphäre des Arbeitnehmers, insbesondere die Schutzvorschrift des § 75 Absatz 2 BetrVG und die arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, erstrecken soll. Der Wortlaut spricht für Letzteres. Auch lässt sich aus dem Zusammenhang mit der Richtlinie keine Einschränkung ableiten, weil diese ausdrücklich die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt lässt, den Schutz nach nationalem Recht auszudehnen.

Fazit: Das im Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vorgeschlagene Whistleblower-Gesetz hätte erhebliche Auswirkungen auf Arbeitsverhältnisse und Betriebe. Denn es eröffnete jedem Beschäftigten ohne Rücksicht auf eigene Betroffenheit die Möglichkeit, die Einhaltung der Regeln des Arbeitnehmerschutzrechts und des Betriebsverfassungsrechts durch Einschaltung der externen Meldestelle des Bundes und auf dem Weg über die Medien kontrollieren zu lassen. Individuelle und betriebliche Konfliktlösung könnte so leicht auf der Strecke bleiben. Soll der Referentenentwurf Gesetz werden, bedarf er also nicht nur der Anpassung im Detail, sondern jedenfalls in seinem sachlichen Anwendungsbereich der Änderung der Konzeption.  

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