DB: Herr Serth, darf der Arbeitgeber eigenständig eine Verlagerung der Arbeitszeit festlegen? Welche Formulierungen in Arbeitsverträgen machen das möglich bzw. unmöglich?
Serth: Die Arbeitszeit regelt der Arbeitgeber mit jedem seiner Arbeitnehmer einzelvertraglich. Diese Individualabreden gehen vorformulierten Bestimmungen vor. Allerdings müssen sich diese im Rahmen der Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes befinden. Das Arbeitszeitgesetz erlaubt nur gesetzlich geregelte Ausnahmen.
Der Arbeitgeber könnte also mit jedem Arbeitnehmer eine andere Regelung treffen. Insofern könnten die Arbeitnehmer selbst entscheiden, ob sie eine Siesta wollen oder nicht. In einem Arbeitsvertrag könnte also die „gewöhnliche Arbeitszeit von montags bis freitags von 09:00 bis 18:00 Uhr inklusive einer einstündigen Ruhepause betragen“, während ein anderer die „Arbeitszeit von montags bis freitags von 08:00 bis 13:00 Uhr und von 16:00 Uhr bis 19:00 Uhr“ festlegt.
Eine einheitliche Lösung wäre allerdings für den Betriebsablauf einfacher. Zudem bedarf es auch keiner Siesta in den Wintermonaten, weshalb sich eine Vertragsklausel mit der Formulierung, dass sich „die Lage der Arbeitszeit nach den betrieblichen Erfordernissen richtet und vom Arbeitgeber festgelegt wird“, am besten an die Bedürfnisse der Arbeitnehmer anpassen ließe.
Falls sich eine solche Klausel bereits in den Arbeitsverträgen befindet, kann der Arbeitgeber in Zukunft bei Hitzeperioden eine Siesta über sein Weisungsrecht nach § 106 GewO einführen.
DB: Wobei so ein Eingriff in die Arbeitszeiten schon recht gravierende Auswirkungen auf die Freizeit haben kann – muss man da nicht erst andere Maßnahmen ausschöpfen?
Serth: Es gibt bis dato noch keine verpflichtenden Maßnahmen, die der Arbeitgeber vor Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells ergreifen muss. Lediglich zur Zielsetzung des Arbeitszeitgesetzes nach § 1 ArbZG sollte eine solche Maßnahme beitragen. Die Einführung einer Siesta in den besonders heißen Sommermonaten soll der Gesundheit der Arbeitnehmer zugutekommen und trägt damit zur Erreichung der Zielsetzung des Arbeitsschutzgesetzes bei.
Allerdings könnten die Arbeitgeber unterschiedliche Maßnahmen ergreifen, falls sie oder der Arbeitnehmer keine Siesta einführen wollen. Hier wäre zunächst zu denken an den Ausbau von Klimaanlagen, kostenloses Wasser für jeden Mitarbeiter bereitstellen, Abkühlungsmöglichkeiten (z.B. kühles Fußbad), kostenlose Kopfbedeckungen bei Arbeiten im Freien, Erlaubnis/Bereitstellung luftiger Kleidung usw. Natürlich bedarf es einer Abwägung, welches der genannten Beispiele tatsächlich zur Zielerreichung beitragen kann. Dies hängt auch hauptsächlich von der bestimmungsgemäßen Tätigkeit ab.
DB: Inwiefern werden Pausen bei der täglichen/wöchentlichen Höchstarbeitszeit mit eingerechnet? Kann es hier zu Konflikten kommen?
Serth: Gem. § 2 I 1 ArbZG meint die (tägliche) Arbeitszeit grundsätzlich die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen. Die Höchstarbeitszeit beträgt gem. § 3 S. 1 ArbZG in der Regel acht Stunden. Der Arbeitgeber müsste mithin beachten, dass der Arbeitnehmer vor und nach der Siesta zusammengerechnet nicht mehr als acht Stunden seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit nachgeht.
Da eine Siesta als lange Ruhepause anzusehen ist, wird die Zeit nicht zur Arbeitszeit gezählt. Für eine solche Wertung ist allerdings erforderlich, dass der Arbeitgeber während der Siesta nicht auf die Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers zurückgreift bzw. zurückgreifen kann. Besonders problematisch wird dies, wenn der Arbeitnehmer während der Siesta im Büro verbleibt (könnte beispielsweise bei Pendlern regelmäßig der Fall sein). Hier wird dann die Abgrenzung zum Bereitschaftsdienst schwierig. Ein solcher ist nämlich unter gewissen Umständen nach neuerer Rechtsprechung zur täglichen Arbeitszeit hinzuzurechnen. Damit wäre die tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden (maximal und ausnahmsweise zehn Stunden) nur schwer einzuhalten.
Für die wöchentliche Höchstarbeitszeit gilt dies gleichermaßen.
DB: Wie lang darf eine Mittagspause maximal sein, bevor die Arbeitseinsätze getrennt voneinander zu betrachten sind und die 11-stündige Ruhezeit zwischen zwei „Schichten“ gilt?
Serth: Gem. § 5 I ArbZG tritt die ununterbrochene 11-stündige Ruhezeit nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit ein. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber am Ende des Arbeitstages diese Ruhezeit bis zur Aufnahme der Arbeit am nächsten Arbeitstag einhalten muss. Die Arbeitszeiteinsätze vor und nach einer Siesta sind also nie getrennt zu betrachten, egal wie lang die Siesta ist. Zu beachten ist hierbei nur, dass vor der Siesta noch nicht die tägliche Arbeitszeit geleistet worden sein darf.
Problematisch könnte § 5 I ArbZG dann aber dennoch werden, wenn die Arbeitszeiten durch die Siesta so lange gestreckt werden, dass zwischen Feierabend und Arbeitsaufnahme weniger als 11 Stunden liegen. Ein Beispiel: Arbeitsbeginn ist immer um 07:00 Uhr, von 12:00 bis 17:30 Uhr findet dann die Siesta statt und bis 20:30 Uhr wird dann erneut gearbeitet …
DB: Mit welchen anderen Gesetzen und Vorgaben würde eine Siesta und die damit verbundene Verschiebung der Arbeitszeit womöglich kollidieren?
Serth: Mögliche kollidierende Gesetze und Vorgaben, je nachdem, wie früh oder spät aufgrund der Siesta begonnen wird: § 14 Jugendarbeitsschutzgesetz, § 3 Ladenschlussgesetz, Nichteinhaltung der Nachtruhe. Zudem wird es für Mitarbeiter mit minderjährigen Kindern schwer, diese noch über den späten Nachmittag hinaus zu betreuen. Kindergärten schließen in aller Regel gegen 17 Uhr; auch eine Nachmittagsbetreuung an Schulen geht jedenfalls nicht in die Abendstunden hinein.
Insofern müssten auch solche (gesellschaftlichen) Vorgaben an die Siesta angepasst werden.
DB: Nutzen deutsche Unternehmen diese Form der verlängerten Mittagspause bereits und welche Erfahrungswerte haben sich daraus ergeben?
Serth: In Deutschland gibt es nach unserer Kenntnis bisher kein Unternehmen, in dem regelmäßig eine Siesta abgehalten wird. Es gibt jedoch einige Stimmen, die die Einführung einer Siesta befürworten würden. Allerdings wurde in Spanien, welches als Entstehungsland der Siesta gilt, die Siesta im öffentlichen Dienst bereits im Jahre 2005 per Gesetz abgeschafft. Grund hierfür war, dass sie der Wirtschaft und dem Familienfrieden schadete. Bis 2016 wurde nur noch in rund 40 % der spanischen Betriebe eine Siesta abgehalten; auch diese Zahl soll stetig verringert werden.