Im vergangenen Jahr sorgte der Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität, insbesondere dessen Kernstück, das Verbandssanktionengesetz (VerSanG), für Aufsehen. Der aktuell veröffentlichte Referentenentwurf berücksichtigt zum Teil die scharfe Kritik aus der Wirtschaft und Unternehmenspraxis. Weshalb das VerSanG dennoch nicht zu unterschätzen ist, erklärt CMS-Anwältin Dr. Laura Blumhoff.
DB: Frau Dr. Blumhoff, bereits im letzten Jahr geisterte der Begriff ‚Unternehmensstrafrecht‘ durch die Medien – ist der aktuelle Referentenentwurf das im Kern noch immer? Ein Strafrecht für Unternehmen?
Blumhoff: „Der Referentenentwurf vermeidet das Wort ‚Strafe‘. Stattdessen ist von Sanktion die Rede. Rechtsdogmatisch macht dies einen Unterschied. In den praktischen Auswirkungen merkt das Unternehmen diesen Unterscheid jedoch erstmal nicht. Es ist egal, ob das Unternehmen 10 Millionen Strafe oder 10 Millionen Sanktion zahlen muss.
Fest steht, dass das VerSanG – wie ein Unternehmensstrafrecht – vorsieht, Unternehmen härter und vor allem regelmäßiger zu sanktionieren. Daher führt das VerSanG das Legalitätsprinzip ein. Dies bedeutet, dass Staatsanwaltschaften Unternehmen in Zukunft bei dem Anfangsverdacht einer Unternehmenstat verfolgen müssen. Das VerSanG sieht zudem grundsätzlich eine öffentliche Hauptverhandlung gegenüber Unternehmen vor. Daneben bestehen auch Möglichkeiten das Verfahren einzustellen und das Unternehmen zum Beispiel durch Auflagen zur Besserung anzuhalten. All diese Regelungen sind stark an das deutsche Strafrecht angelehnt.“
DB: In welchen Punkten wurde der aktuelle Referentenentwurf entschärft?
Blumhoff: „Die Möglichkeit der Auflösung von Unternehmen per Gerichtsbeschluss wurde gestrichen. Auch werden nur noch Verbände, die auf eine wirtschaftliche Betätigung ausgerichtet sind, erfasst. Gemeinnützige Vereine hingegen nicht mehr. Zudem formuliert der Gesetzgeber nun deutlich, dass Gerichte Sanktionen für Unternehmen mildern müssen, wenn das Unternehmen kooperativ ist. Zuvor war dies lediglich eine Kann-Vorschrift.
Insgesamt ist der aktuelle Referentenentwurf stärker an den Gedanken angelehnt, die Rechtstreue der überwältigenden Mehrheit der Unternehmen zu würdigen, statt sie zu kriminalisieren. So heißt das Gesetz nun auch ‚Gesetz zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft‘ statt ‚Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität‘. Damit kommt der Entwurfsverfasser der Kritik der Wirtschaft, Unternehmen würden kriminalisiert, entgegen.“
DB: Welche Regelungen bleiben weiterhin unangetastet?
Blumhoff: „Die geplanten Regelungen zur Sanktionsmilderung bei Aufklärungshilfe durch interne Untersuchungen bleiben bestehen.
Die Bedeutung der Aufklärungshilfe durch interne Untersuchungen wurde im Referentenentwurf sogar noch einmal hervorgehoben. Das Gericht soll bei der Bemessung der Sanktion insbesondere die Art und den Umfang der offenbarten Tatsachen, deren Bedeutung für die Aufklärung und den Zeitpunkt der Offenbarung durch das Unternehmen berücksichtigen.
Gleichzeitig stellt der Referentenentwurf jedoch auch formale Anforderungen an interne Untersuchungen. So muss das Unternehmen die Grundsätze eines fairen Verfahrens einhalten. Befragten Mitarbeitern muss zum Beispiel das Recht auf einen anwaltlichen Beistand und auf Selbstbelastungsfreiheit eingeräumt werden. Hierzu besteht bisher keine Verpflichtung.“
DB: Sanktionsmilderungen durch Kooperation bei internen Untersuchungen zu erhalten ist doch grundsätzlich ein positiver Ansatz …
Blumhoff: „Ja, dennoch bestehen aus meiner Sicht noch einige Problempunkte. So besteht weiterhin die Möglichkeit, Unterlagen aus internen Untersuchungen zu beschlagnahmen. Dies gilt auch für Korrespondenz zwischen dem Unternehmen und seinen Anwälten. Rechtsanwälte hatten gehofft – wenn auch nicht unbedingt erwartet – dass das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Unternehmen besser geschützt wird.
Der Referentenentwurf sieht vor, dass der Unternehmensverteidiger nicht gleichzeitig die interne Untersuchung bei dem Unternehmen durchführen darf. Eine sachgerechte Unternehmensverteidigung kann jedoch nur auf Grundlage eingehender Sachverhaltskenntnis erfolgen. Der Verteidiger müsste den Sachverhalt also eigenständig aufklären. Dies erscheint wenig effizient und kann vor allem für kleinere Unternehmen finanziell problematisch sein. Die Staatsanwaltschaft hat hingegen jederzeit unmittelbar und umfassend Zugriff auf die Ergebnisse der internen Untersuchung.
Die Möglichkeit der Beschlagnahme von Dokumenten aus internen Untersuchungen kann zudem dazu führen, dass Staatsanwaltschaften den Unternehmen die Möglichkeit der Sanktionsmilderung durch Kooperation nehmen: Unternehmen werden dazu angehalten, die Ergebnisse einer internen Untersuchung des Sachverhalts gegenüber den Staatsanwaltschaften offen zu legen. Eine Sanktionsmilderung erhalten sie jedoch nur, wenn die interne Untersuchung wesentlich zur Aufklärung des Sachverhalts beiträgt. Hat die Staatsanwaltschaft zuvor jedoch schon die Untersuchungsergebnisse beschlagnahmt, kann das Unternehmen gar nicht mehr wesentlich zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen.
Um die Sanktionsmilderung zu erreichen, müssen die Unternehmen ununterbrochen und uneingeschränkt kooperieren. Der Referentenentwurf gibt hierfür jedoch kaum Kriterien vor. Das Unternehmen bemüht sich möglicherweise über Monate um Kooperation und muss später dennoch auf Sanktionsmilderung verzichten. Weitere Leitlinien zur Kooperation wären wünschenswert.“
DB: Das bedeutet, dass es keine „Waffengleichheit“ zwischen Unternehmen und Strafverfolgungsbehörden geben wird?
Blumhoff: „Ja genau. Unternehmen werden stark in die Pflicht genommen. Wer dies fordert, der muss für Unternehmen auch eine stärkere Rechtssicherheit bieten.“
DB: In jedem Fall aber kommt Compliance-Management-Systemen (CMS) künftig eine wesentlich höhere Bedeutung zu als bisher. Was raten Sie Unternehmen, um ihr CMS im Hinblick auf das VerSanG zu optimieren?
Blumhoff: „Grundlage eines jeden CMS ist eine Risikoanalyse. Hierauf aufbauend sollten Unternehmen dokumentieren, dass sie risikoangemessene Compliance-Maßnahmen ergriffen haben. Insgesamt wird die Dokumentation der Compliance-Maßnahmen an Bedeutung gewinnen. Dies gilt sowohl für die Gründe bei der Auswahl zwischen verschiedenen möglichen Maßnahmen als auch für die routinemäßige oder anlassbezogene Kontrolle der Compliance-Maßnahmen. Warum sollte das Unternehmen mehr dokumentieren? Auch in Gerichtsverfahren kommt es sog. Rückschaufehlern. Nachdem ein Ereignis eingetreten ist, wird dessen Vorhersehbarkeit überschätzt. Hier kann nur eine Dokumentation helfen, die zeigt, dass das Unternehmen Compliance-Maßnahmen jederzeit risikoangemessen implementiert und kontrolliert hat.“
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.