Werden bestandskräftige Bescheide wegen neuer Tatsachen vom Finanzamt geändert, ist häufig streitig, ob das Finanzamt dazu verfahrensrechtlich überhaupt befugt ist. In einem aktuellen Fall hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz klargestellt, dass sich ein Finanzamt nicht darauf berufen kann, archivierte Unterlagen seien bereits vernichtet worden.
Eine Rentnerin wohnte bis 2007 in Nordrhein-Westfalen. Das dort zuständige Finanzamt hatte eine ihrer Renten (90.000 Euro pro Jahr) nach Prüfung der dazu vorgelegten Unterlagen alljährlich nur mit dem Ertragsanteil (17 Prozent) der Besteuerung unterworfen. Nach ihrem Umzug nach Rheinland-Pfalz übernahm das zuständig gewordene Finanzamt ungeprüft diese Besteuerung und berücksichtigte die Rente ebenfalls nur mit dem Ertragsanteil (17 Prozent).
Steuernachzahlung von 140.000 Euro
Im Jahr 2012 erfuhr das Finanzamt vom Finanzamt Düsseldorf im Wege einer Kontrollmitteilung, dass die Rentenzahlungen vom Sohn der Rentnerin stammten, dem sie dafür im Jahr 1993 ihr Vermögen übertragen hatte. Daraufhin änderte das Finanzamt nachträglich die bereits bestandskräftigen Steuerbescheide für die Jahre 2007, 2008, 2009 und 2010, weil es der Auffassung war, dass diese Art von Rente in voller Höhe hätte besteuert werden müssen. Die geforderte Steuernachzahlung betrug insgesamt rund 140.000 Euro.
Erfolg vor dem Finanzgericht
Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.06.2015, Az. 5 K 1154/13). Das Gericht ließ offen, ob die Rente tatsächlich in voller Höhe zu besteuern sei, weil es darauf nicht ankam. Das Finanzamt sei nämlich schon nicht befugt gewesen, die bereits bestandskräftigen Steuerbescheide zu ändern. Bereits vor Erlass dieser Bescheide hätte das Finanzamt die Rechtslage prüfen und z.B. beim früher zuständigen Finanzamt in Nordrhein-Westfalen die seinerzeit dazu vorgelegten Unterlagen – vor allem den Übertragungsvertrag – anfordern müssen. Selbst wenn dieser Vertrag dort inzwischen archiviert oder mit Altakten vernichtet worden sei, könne sich das beklagte Finanzamt nicht auf Unkenntnis berufen. Denn in diesem Fall hätte der Vertrag erneut von der Klägerin angefordert werden müssen. Die Klägerin hingegen treffe kein Versäumnis, weil sie die erhaltenen Zahlungen in gleicher Weise wie in den Vorjahren in ihren Einkommensteuererklärungen angegeben habe. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Hinweis: Die Entscheidung hat über den entschiedenen Einzelfall hinaus für alle Dauersachverhalte Bedeutung, d.h. auch für andere Einkunftsarten (Arbeitslohn, Vermietungseinkünfte, Kapitaleinkünfte usw.) oder andere Steuerarten (z.B. Gewerbe- oder Umsatzsteuer).
(FG Rheinland-Pfalz / Viola C. Didier)