Der Fall
Mit Urteil vom 04.10.2024 hat der EuGH eine Vorlagefrage aus Spanien beantwortet. Es ging um eine Fluggesellschaft, bei der die Arbeitsbedingungen des Boden- und Kabinenpersonals in einem zwischen der Gesellschaft und verschiedenen Gewerkschaften geschlossenen Tarifvertrag (TV-TCP) geregelt waren, die Arbeitsbedingungen der Piloten in einem mit einer anderen Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag (TV-Piloten). In den Tarifverträgen sind Tagegelder geregelt, die – mit Ausnahme der für Unterkunft und Beförderung entstandenen Auslagen – die Kosten decken, die den Mitgliedern des Kabinenpersonals bzw. den Piloten bei ihren Dienstreisen entstehen. Im TV-Piloten sind deutlich höhere Tagegelder vorgesehen als im TV-TCP.
Die Gewerkschaft des Kabinenpersonals der Luftfahrtgesellschaften erhob Klage gegen die Tagegeldregelung im TV-TCP. Da das Kabinenpersonal zu 94% weiblich, die Piloten hingegen zu fast 94% männlich seien, stelle die unterschiedliche Tagegeldhöhe eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei den Arbeitsbedingungen dar, die nach der Gleichbehandlungs-RL verboten sei.
Tagegelder als Entgeltbestandteil
Das vorlegende Gericht hatte die Tagegelder nicht als Entgelt, sondern als Arbeitsbedingung angesehen. Die Zuordnung hat weitreichende Folgen, die überraschend sein mögen. Während Art. 14 Abs. 1 der RL 2006/54 jede mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen untersagt, verbietet Art. 4 dieser RL eine Ungleichbehandlung in Bezug auf das Entgelt der Arbeitnehmer nur insoweit, als sie die gleiche Arbeit oder eine Arbeit betrifft, die als gleichwertig anerkannt wird.
Der EuGH qualifiziert die Tagegelder als Entgelt. Sie stellten offensichtlich einen wirtschaftlichen Vorteil dar, den der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer unmittelbar als Geldleistung gewährt und mit dem bestimmte Auslagen, die dem Arbeitnehmer im Rahmen der Erfüllung der sich aus seinem Arbeitsvertrag ergebenden Verpflichtungen entstanden sein können, pauschal ausgeglichen werden sollen. Der vom vorlegenden Gericht hervorgehobene Umstand, dass mit diesen Tagegeldern keine bestimmte Arbeit nach Zeit- oder Arbeitseinheiten vergütet werde, reiche nicht aus, um diese Tagegelder vom Begriff „Entgelt“ im Sinne der RL auszuschließen.
Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass das spanische Arbeitsstatut Tagegelder ausdrücklich von den Arbeitsentgelten ausnimmt. Für die Auslegung von EU-Recht gilt selbstverständlich die europarechtliche Definition.
Gleiche oder gleichwertige Arbeit
Aufgrund der zahlenmäßig eindeutigen Geschlechterverteilung in der Gruppe der Piloten einerseits und des Kabinenpersonals andererseits war für die Beantwortung der Vorlagefrage ausschlaggebend, ob das Tagegeld „bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird“, gezahlt würde. Das hat der EuGH verneint. Das Kabinenpersonal und die Piloten verrichteten offensichtlich nicht die gleiche Arbeit. Außerdem könne in Anbetracht der für die Ausübung des Pilotenberufs erforderlichen Ausbildung und der mit diesem Beruf verbundenen Verantwortlichkeiten nicht davon ausgegangen werden, dass die Arbeit der Piloten der Arbeit des Kabinenpersonals gleichwertig im Sinne von Art. 4 der RL 2006/54 sei.
EU-Entgelttransparenzrichtlinie
Die hier besprochene Entscheidung hat die Entgelttransparenz-RL, die zum Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses noch nicht in Kraft war, unberücksichtigt gelassen. Sie hätte zu keinem anderen Ergebnis geführt.
Aus ErwG 21 der Entgelttransparenz-RL ergibt sich noch deutlicher, dass der Begriff des Entgelts umfassend zu verstehen ist. So werden Fahrvergünstigungen, Wohnungs- und Verpflegungszuschüsse ausdrücklich genannt. Und noch klarer als in der Gleichbehandlungs-RL definiert Art. 3 Abs. 1 g) „gleichwertige Arbeit“ als Arbeit, die gemäß nichtdiskriminierenden und objektiven geschlechtsneutralen Kriterien als gleichwertig gilt.
Tarifvertrag als Rechtfertigungsgrund?
Nach der Rechtsauffassung des EuGH folgerichtig brauchte die Frage, ob eine solche mittelbare Ungleichbehandlung dadurch gerechtfertigt werden kann, dass die in Rede stehenden Vergütungen in zwischen verschiedenen Parteien geschlossenen unterschiedlichen Tarifverträgen vorgesehen sind, nicht beantwortet zu werden. Die Frage hat mehrere Dimensionen:
Aus dem Sachverhalt wird nicht klar, ob die verfahrensführende Gewerkschaft selbst an dem Abschluss des TV-TCP beteiligt war. Es wäre schon befremdlich, wenn eine Gewerkschaft den von ihr selbst geschlossenen Tarifvertrag mit der Begründung angreifen könnte, eine andere Gewerkschaft habe erfolgreicher verhandelt.
Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum sich die Gewerkschaft gegen die Tagegeldregelung im TV-TCP wandte. Wenn das Gericht die Regelung als unwirksam erachtet hätte, dann hätte damit nicht automatisch die günstigere Tagegeldregelung aus dem TV-Piloten gegolten.
Und schließlich: Die Wirkung von Tarifverträgen im Rahmen der Entgeltgleichheit ist ein heißes Eisen. Unter Experten ist nahezu unbestritten, dass eine so weitreichende Privilegierung wie im derzeit geltenden Entgelttransparenzgesetz zukünftig nicht zu halten sein wird. Inwieweit Tarifverträge im Geltungsbereich der Entgelttransparenz-RL noch rechtfertigende Wirkungen entfalten können, ist demgegenüber äußerst umstritten. In diesem Streit bringt die aktuelle EuGH-Entscheidung keine Klarheit.