Berufskrankheiten stehen – ebenso wie Arbeitsunfälle – unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine solche Berufskrankheit kann auch eine durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung sein.
Bei der Prüfung der Kausalität zwischen Schadstoffexposition und Atemwegserkrankung ist zu berücksichtigen, dass die Versicherten in dem gesundheitlichen Zustand geschützt sind, in dem sie mit dem gefährdenden Stoff konfrontiert werden. Eine vorliegende Krankheitsanlage des Versicherten steht daher der Ursächlichkeit der Gefahrstoffexposition nicht entgegen (Hessisches Landessozialgericht, Verfahren vom 18.07.2017 – L 3 U 59/13).
Der Streitfall: Anerkennung als Berufskrankheit
Ein 1967 geborener Karosseriemeister war seit seinem 16. Lebensjahr im Karosseriebau tätig. Dabei war er unter anderem Lösungsmitteldämpfen, Motorenabgasen (Stickoxiden) und Stäuben (Schweißrauche, Schleifstäube) ausgesetzt. Bereits im Alter von 37 Jahren wurde bei ihm eine schwere obstruktive Atemswegserkrankung mit Lungenemphysem diagnostiziert. Ferner wurde bei ihm ein Alpha-1-Antitrypsin-Mangel festgestellt. Dieser genetisch bedingte Enzym-Mangel bewirkt, dass die körpereigene Abwehr nicht nur eindringende Bakterien zerstört, sondern auch das umgebende gesunde Gewebe.
BG lehnte Anerkennung ab – Erkrankung sei nicht beruflich bedingt
Die Berufsgenossenschaft lehnte den Antrag des Mannes auf Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Die Atemwegserkrankung sei nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ursächlich auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen. Der zeitliche Bezug zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung sei nicht dokumentiert. Ferner seien der Enzym-Mangel und der Nikotinkonsum des Klägers konkurrierende Faktoren hinsichtlich der Atemwegserkrankung.
Vor dem Landesozialgericht erkennt die BG die Berufskrankheit an
Im Verfahren vor dem Landessozialgericht erfolgten Ermittlungen zur Gefahrstoffexposition und deren Auswirkung auf den an Alpha-1-Antitrypsin-Mangel erkrankten Kläger. Dabei wurde festgestellt, dass der erkrankte Mann mehr als 18 Jahre chemisch-irritativen oder toxisch wirkenden Stoffe knapp unterhalb des MAK-Grenzwertes (= maximale Arbeitsplatzkonzentration in der Luft am Arbeitsplatz) ausgesetzt war. Am Arbeitsplatz des Mannes habe keine adäquate Absaugung bestanden, Atemschutz sei nicht getragen worden. Zudem würden die MAK-Grenzwerte nur für gesunde, nicht aber für kranke Personen gelten. Die Gefahrstoffexposition sei zumindest als gleichwertig mit dem Zigarettenkonsum des Mannes anzusehen.
Tabakkonsum steht Anerkennung nicht entgegen
Das LSG wies die Beteiligten darauf hin, dass nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der Versicherte in dem gesundheitlichen Zustand geschützt sei, in dem er mit dem gefährdenden Stoff konfrontiert werde. Daher könne die Kausalität zwischen der berufsbedingten Gefahrstoffexposition und der Atemwegserkrankung nicht unter Verweis auf die bei dem Kläger festgestellte Krankheitsanlage – dem Enzymmangel – verneint werden. Die Gefahrstoffexposition sowie der Zigarettenrauch seien zudem für die Atemwegserkrankung gleichermaßen (mit)ursächlich gewesen, so dass auch der Tabakkonsum der Anerkennung der Berufskrankheit nicht entgegenstehe.
Gerichtsverfahren ohne gerichtliche Entscheidung einvernehmlich beendet
Nach diesen gerichtlichen Ausführungen erkannte die Berufsgenossenschaft die Atemwegserkrankung des Klägers als Berufskrankheit Nr. 4302 an. Der inzwischen erwerbsunfähige Mann wird nunmehr von der Berufsgenossenschaft mit einer Rente entschädigt. Damit wurde das Verfahren ohne gerichtliche Entscheidung beendet.
(LSG Hessen, PM vom 18.07.2017/Viola C. Didier)