Bisherige Rechtslage
Bereits bisher war in § 55 Abs. 4 InsO a.F. geregelt, dass bestimmte Umsatzsteuerverbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters im Rahmen eines vorläufigen Insolvenzverfahrens (Regelverfahren) begründet wurden, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten. Der Staat als Umsatzsteuergläubiger muss sich hinsichtlich solcher Umsatzsteuerforderungen gegen den Schuldner dann nicht auf die Befriedigung in Höhe einer häufig geringen Insolvenzquote verweisen lassen, sondern wird (abgesehen von masseunzulänglichen und massearmen Verfahren) insoweit vor den übrigen Insolvenzgläubigern in voller Höhe befriedigt.
Diese als „Fiskusprivileg“ (z.T. stark) kritisierte Regelung zugunsten des Staates soll verhindern, dass der Schuldner bzw. vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsbefugnis (sog. „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter) im Rahmen des vorläufigen Regelverfahrens Umsatzsteuerbeträge für erbrachte Leistungen vereinnahmt, diese aber nicht an das Finanzamt abgeführt, sondern stattdessen zur Verbesserung der schuldnerischen Liquiditätssituation verwendet werden. Denn aus Sicht des Gesetzgebers steht die Heranziehung erhaltener Umsatzsteuer zur Unternehmenssanierung nicht in Einklang mit dem Zweck der Umsatzsteuer, die – jedenfalls konzeptionell – darauf angelegt ist, vom Unternehmer an das Finanzamt weitergeleitet zu werden. Dagegen wird vorgebracht, die in Rede stehende Privilegierung des Staates nach § 55 Abs. 4 InsO a.F. sei ihrerseits ein unsystematischer Fremdkörper im Gefüge der Insolvenzordnung.
Sowohl der Bundesgerichtshof als auch der Bundesfinanzhof haben im November 2018 (DB 2018 S. 3043) bzw. Juli 2020 (DB 2020 S. 2336) geurteilt, dass diese umsatzsteuerliche Privilegierung des Staates nicht auf Umsatzsteuerverbindlichkeiten anzuwenden ist, die ein Schuldner im Rahmen eines vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens nach § 270a InsO a.F. begründet hat. Dies wurde maßgeblich damit begründet, dass der im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren dem Schuldner beiseite gestellte vorläufige Sachwalter nicht über vergleichbare Befugnisse verfügt wie ein sog. „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter. Es habe auch keine planwidrige Gesetzeslücke bestanden, die zugunsten des Staates zu schließen gewesen wäre. Anders als im vorläufigen Regelverfahren handelte es sich nach dieser Rechtsprechung bei den im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren begründeten Umsatzsteuerverbindlichkeiten demnach nicht um Masseverbindlichkeiten, sondern um Insolvenzforderungen des Staates, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur zur Insolvenztabelle angemeldet und quotal befriedigt werden konnten. Das ließ die vorläufige Eigenverwaltung gegenüber der vorläufigen Regelverwaltung vorteilhaft erscheinen.
Während der vorläufigen Eigenverwaltung vom Schuldner vereinnahmte Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit
Mit Wirkung zum 01.01.2021 hat der Gesetzgeber § 55 Abs. 4 Satz 1 InsO dahingehend ergänzt, dass nunmehr auch solche Umsatzsteuerverbindlichkeiten im eröffneten Insolvenzverfahren zu (bevorzugt zu befriedigenden) Masseverbindlichkeiten des Schuldners umzuqualifizieren sind, die der Schuldner während eines vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet hat. Damit bezweckt der Gesetzgeber, Fehlanreize für eigentlich ungeeignete Schuldner zu vermeiden, eine vorläufige Eigenverwaltung anzustreben, und stellt zugleich eine Gleichbehandlung der vorläufigen Eigenverwaltung mit der vorläufigen Regelverwaltung her, wobei er sich in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf das Urteil des Bundesgerichtshofs von November 2018 (DB 2018 S. 3043) bezieht. Die Neuregelung gilt für alle Insolvenzverfahren, für die ein Insolvenzeröffnungsantrag nach dem 31.12.2020 gestellt wurde.
§ 55 Abs. 4 Satz 1 InsO sollte auch für das sog. „Schutzschirmverfahren“ nach § 270d InsO (§ 270b InsO a.F.) gelten, denn auch in dieser besonderen Art des vorläufigen Verfahrens wird ein vorläufiger Sachwalter bestellt. Hierfür sprechen auch gesetzessystematische Argumente. Eine solche Auslegung steht darüber hinaus im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers, sämtliche vorläufigen Insolvenzverfahren dem umsatzsteuerlichen „Fiskusprivileg“ in § 55 Abs. 4 InsO zu unterstellen. Es kommt künftig auch nicht mehr darauf an, ob der Schuldner im sog. „Schutzschirmverfahren“ vom Insolvenzgericht dazu ermächtigt wurde, Masseverbindlichkeiten zu begründen (vgl. § 270b Abs. 3 InsO a.F.) und ob von einer solchen Ermächtigung – jedenfalls im Falle einer sog. Globalermächtigung – auch die aus den so geschlossenen Verträgen resultierenden Umsatzsteuerverbindlichkeiten erfasst sind. Denn § 55 Abs. 4 Satz 1 InsO gilt unabhängig von einer solchen Ermächtigung. Zudem sind künftig sowohl für die vorläufige Eigenverwaltung als auch für das sog. „Schutzschirmverfahren“ nur noch Einzelermächtigungen vorgesehen (vgl. § 270c Abs. 4 InsO und die Gesetzesbegründung), bei denen sich diese Frage bereits nach bisheriger Rechtslage typischerweise nicht gestellt hat.
Ausblick
In dogmatischer Hinsicht bewegt sich die Neuregelung zwischen der Herstellung gleicher Verhältnisse innerhalb der verschiedenen vorläufigen Verfahrensarten und dem Vorwurf, eine bereits dem Grunde nach unsystematische Begünstigung des Staates bzgl. Umsatzsteuerforderungen im Insolvenzverfahren weiter zu vertiefen. Aus praktischer Sicht ist zu erwarten, dass sich die Neuregelung der insolvenzrechtlichen Einordnung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung als Masseverbindlichkeiten negativ auf die Sanierungserfolgsaussichten solcher Verfahren auswirken wird.