Ein Insolvenzverwalter wird nun prüfen, ob die Geschäftsführung sich auf die unverbindliche Finanzierungszusage der Gesellschafter verlassen durfte oder möglicherweise schon früher hätte Insolvenz anmelden müssen. Sofern zu spät Insolvenz angemeldet wird, drohen strafrechtliche Verantwortung und persönliche Haftungsrisiken.
Entscheidungskriterium positive Fortführungsprognose
Der Insolvenzgrund der Überschuldung ist für die Geschäftsführung von Start-ups in dem dargestellten Szenario höchst relevant. Eine Überschuldung liegt gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 InsO dann vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten 12 Monaten ist überwiegend wahrscheinlich. Entscheidend ist also die sog. Fortführungsprognose. Fällt diese positiv aus, entfällt der Insolvenzgrund der Überschuldung und mit ihm die Antragspflicht und die Haftungsrisiken für die Geschäftsführung. Die Fortführungsprognose ist eine Prognose über die zukünftigen Geschäftsverläufe und die mittelfristige Zahlungsfähigkeit des Unternehmens. Sie erfordert in subjektiver Hinsicht den Fortführungswillen der Gesellschaft bzw. ihrer Organe und in objektiver Hinsicht ein aussagekräftiges Unternehmenskonzept, dem grundsätzlich ein Ertrags- und Finanzplan zugrunde liegen soll, aus dem sich ergibt, dass die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens ausreicht. Die Geschäftsführung muss sich bei der Beurteilung der Fortführungsprognose im Hinblick auf eine unverbindlich zugesagte Finanzierung daher zwei Fragen stellen:
- Reicht die in Aussicht gestellte Finanzierung aus, um die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft im gesamten Prognosezeitraum sicherzustellen?
- Ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Finanzierung tatsächlich gewährt wird?
Und genau Letzteres ist Gegenstand der neuen Entscheidung des OLG Düsseldorf: Denn der BGH hatte u.a. in seiner Entscheidung vom 13.07.2021 (II ZR 84/20, DB 2021 S. 1864) entschieden, dass Finanzierungszusagen von Gesellschaftern nicht nur dann bei der Beurteilung der Fortführungsprognose berücksichtigt werden dürfen, wenn sie bereits rechtsverbindlich zugesagt wurden. Wird mit der unverbindlichen Finanzierungszusage (im konkreten Fall eine weiche Patronatserklärung der Muttergesellschaft) aber eine sich in der Planung bereits abzeichnende Liquiditätslücke geschlossen, verengt sich der Beurteilungsspielraum des Geschäftsführers. Im dem dem BGH vorgelegten Fall wurde dem Geschäftsführer die Berücksichtigung der weichen Patronatserklärung in der Fortführungsprognose trotz Erfüllung entsprechender Finanzierungszusagen in der Vergangenheit verwehrt. Das OLG Düsseldorf nimmt nun in seiner aktuellen Entscheidung auf diese Entscheidung des BGH Bezug und stellt zunächst fest, dass die Situation eines Start-ups grundsätzlich eine andere ist, als die eines anderen Unternehmens in der Krise und die Fortführungsprognose daher an diese besonderen Voraussetzungen anzupassen ist. Junge Unternehmen seien in ihrer Ideenumsetzung, Marktetablierung und Expansion in der Regel auf Außenfinanzierung angewiesen. Ein Rückgriff auf die Ertragsfähigkeit würde ihnen daher die Überlebensfähigkeit absprechen und sie sofort zum Marktaustritt zwingen. Eine unverbindliche Finanzierungszusage eines bereits investierten Gesellschafters darf nach dem OLG Düsseldorf dann berücksichtigt werden, wenn sie auf einer nachvollziehbaren, realistischen Finanzplanung mit einem operativen Konzept beruht, das die geplante Geschäftsausrichtung erfolgversprechend erscheinen lässt. Eine Finanzierung durch die Gesellschafter kann allerdings nicht auf Dauer erwartet werden. Daher muss dargelegt werden, dass mit dem operativen Geschäft mittelfristig ausreichend eigene Erträge erzielt werden können. Die erfolgversprechende Marktentwicklung, plausibel und nachvollziehbar dargelegt, kann daher für ein Start-up Bestandteil der positiven Fortführungsprognose sein, wenn sie Grundlage der weiteren unverbindlichen Finanzierungszusage ist. Das OLG Düsseldorf deutet allerdings an, dass dieses Privileg entfällt, wenn der die Finanzierung zusagende Gesellschafter nicht auf Basis einer entsprechenden Planung die Zusage abgibt, sondern aus anderen Motiven handelt. Dies kann der Fall sein, wenn sein Interesse allein auf die Übertragung weiterer Anteile gerichtet ist. In diesem Fall geht es ihm nicht darum, das Unternehmen bis zur Etablierung am Markt finanziell zu unterstützen.
Was ist also zu tun: drei praktische Tipps für die Gestaltung von Finanzierungszusagen
Es ist erfreulich, dass das OLG Düsseldorf die komplexen Regelungen zur Fortführungsprognose an die Lebenswirklichkeit von Start-ups anpasst. Auch wenn eine Entscheidung des BGH zu den hier aufgeworfenen Fragen noch aussteht, sollten folgende Punkte zukünftig von der Start-up-Geschäftsführung im Umgang mit unverbindlichen Finanzierungszusagen durch Gesellschafter beachtet werden:
- Es sollte in Vorbereitung der konkreten Finanzierungsrunde eine nachvollziehbare und realistische Finanzplanung mit einem operativen Konzept vorgelegt werden, aus der sich die erfolgversprechende Entwicklung des Unternehmens am Markt ergibt. Mittelfristig sollte sich eine Finanzierung aus eigenen Erträgen darstellen lassen.
- Es sollte genau dokumentiert werden, dass die in Aussicht gestellte Finanzierung seitens der Gesellschafter allein dem Zweck der Umsetzung dieses Konzeptes dient.
- Die Finanzierungszusage sollte den Prognosezeitraum von 12 Monaten zuzüglich eines Sicherheitspuffers von mehreren Monaten abdecken.
Redaktioneller Hinweis:
Vgl. zu diesem Thema u.a. auch:
Wittmann/Lücke, Das Unternehmen in der Krise: Haftungsrisiken im Zusammenhang mit Patronatserklärungen, DB 2022 S. 781;
Bruder, Anforderungen an Patronatserklärungen im Rahmen der Fortführungsprognose, DB 2021 S. 2408