I. Sachverhalt
Die Ausgangslage des beim FG Hamburg entschiedenen Falls war eine Außenprüfung bei einer deutschen GmbH innerhalb eines internationalen Konzerns. Die Gesellschaft erbrachte auf Basis eines „Sales and Marketing Services Agreement“ (SMS‑Agreement) Dienstleistungen für eine ausländische Konzerngesellschaft. Das Finanzamt forderte im Zuge der Prüfung die Vorlage empfangener und abgesandter Handels‑ und Geschäftsbriefe sowie sonstiger steuerlich bedeutsamer Unterlagen; weil zahlreiche Dokumente elektronisch geführt wurden, verlangte es zusätzlich die Bereitstellung der E‑Mails in maschinell auswertbarer Form. Zusätzlich verlangte die Finanzverwaltung ein sogenanntes „Gesamtjournal“, im Ergebnis eine umfassende tabellarische Übersicht aller ein‑ und ausgehenden E‑Mails der Jahre 2012 bis 2014 einschließlich Metadaten (Absender, Empfänger inkl. cc/bcc, Datum/Uhrzeit, Betreff, Anlagen) und einem Zusatzfeld, in dem das Unternehmen das Ergebnis seiner Erstqualifikation vermerken sollte. Im Rahmen des Datenzugriffs gemäß § 147 Abs. 6 AO steht dem Steuerpflichtigen ein sogenanntes Erstqualifikationsrecht zu. Das bedeutet, dass er zunächst selbst beurteilen darf, welche elektronischen Unterlagen steuerlich relevant sind. Private Korrespondenz und rein interne Kommunikation sollten ausgenommen sein; im Kern zielte das Verlangen jedoch auf die konzernbezogene E‑Mail‑Korrespondenz rund um die Vorbereitung, Durchführung und Abwicklung des SMS‑Agreements ab.
Die GmbH legte Einspruch und Klage ein, unter anderem mit der Begründung, das Verlangen sei zu unbestimmt, unverhältnismäßig und dem Gesamtjournal mangele es an einer Rechtsgrundlage.
II. Entscheidungen
Das FG Hamburg entschied im März 2023 differenziert: Die Aufforderung, steuerlich relevante E‑Mails, die als Handels‑ und Geschäftsbriefe (§ 147 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO) oder als sonstige Unterlagen (§ 147 Abs. 1 Nr. 5 AO) anzusehen sind, in elektronischer Form vorzulegen, sei grundsätzlich rechtmäßig. Die Verpflichtung zur Erstellung und Vorlage eines Gesamtjournals in der beanspruchten Breite sei hingegen rechtswidrig, weil sie über die Grenzen des § 147 Abs. 6 AO hinausgehe und auch nicht über § 200 AO gestützt werden könne. Das Gericht betonte, dass der Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO ausschließlich auf solche Unterlagen zulässig sei, die nach § 147 Abs. 1 AO tatsächlich aufzubewahren sind (Akzessorietät). Ein Index, der zwangsläufig auch nicht aufbewahrungspflichtige E‑Mails erfasst, sprenge diesen Rahmen.
Der BFH hat diese Linie mit Beschluss vom 30.04.2025 (XI R 15/23) bestätigt.
E‑Mails können danach Handels‑ und Geschäftsbriefe sein, sofern sie die Vorbereitung, Durchführung oder Rückgängigmachung eines Handelsgeschäfts im Sinne des § 343 HGB betreffen; auf ihre Form kommt es nicht an. Zugleich können E‑Mails „sonstige Unterlagen“ nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO sein, etwa wenn sie zur Plausibilisierung von Verrechnungspreisen beitragen. Im Rahmen einer Außenprüfung darf die Finanzverwaltung solche E‑Mails auch „en bloc“ anfordern, also in einer allgemein gefassten, aber sachbezogenen Weise; hier konkret bezogen auf das SMS‑Agreement, indem alle E-Mail mit Bezug zu diesem SMS-Agreement angefordert werden. Diese Pflicht zur Mitwirkung entfällt nicht mit dem Hinweis auf zeitlichen Aufwand oder etwaige dadurch entstehende Kosten.
Unzulässig bleibt ein Gesamtjournal, das unabhängig von der Steuerrelevanz sämtliche Mails samt Metadaten erfasst und möglicherweise erst neu erstellt werden müsste.
III. Auswirkungen auf die Praxis
Für Unternehmen bedeutet das in der Theorie einen klaren Rechtsrahmen. Jedoch ist der Umfang der Unterlagen, die angefragt werden dürfen, nicht gesondert eingegrenzt worden. Die Aufbewahrungs‑ und Vorlagepflicht knüpft nicht an alles digital Vorhandene an, sondern an das, was nach den gesetzlichen Aufzeichnungspflichten aufzubewahren ist. Der Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO kann Einsicht, maschinelle Auswertung und die Überlassung in maschinenlesbarem Format verlangen; dies gilt jedoch ausschließlich für aufbewahrungspflichtige Inhalte. Diese Differenzierung schützt vor Übermaß, legt aber zugleich die Messlatte für eine ordentliche Organisation der E‑Mail‑Bestände höher: Wer in Prozessen, Dokumentation und Technik nicht vorbereitet ist, wird im Prüfungsfall unnötig belastet.
E-Mails sollten so organisiert werden, dass steuerrelevante Inhalte zuverlässig erkannt, archiviert und bei Bedarf wiedergefunden werden können. Aufbewahrungspflichtig sind E-Mails, wenn sie selbst relevante Informationen enthalten; andernfalls reicht es, den Anhang zu sichern. Private oder interne Nachrichten ohne steuerlichen Bezug müssen nicht aufbewahrt werden.
Unternehmen sollten festlegen, wer die steuerliche Relevanz von E-Mails beurteilt, nach welchen Kriterien dies geschieht und wie diese Entscheidung dokumentiert wird; idealerweise in der Verfahrensdokumentation zur GoBD. Diese sollte auch die technischen Abläufe zur Archivierung, Unveränderbarkeit und Zugriffsverwaltung beschreiben. Die Dokumentation dient dazu, nachvollziehbar zu machen, warum bestimmte E-Mails als relevant oder irrelevant eingestuft wurden, ersetzt aber kein vollständiges E-Mail-Register. E-Mails sind vor allem als ergänzende Belege nützlich, um Sachverhalte oder Anweisungen zu belegen. Eine klare Dokumentation kann Prüfungen verkürzen, doch darf die Finanzverwaltung zusätzliche E-Mails anfordern, wenn sie für das Verständnis steuerlicher Aufzeichnungen notwendig sind.
Des Weiteren betont die BFH‑Rechtsprechung, dass der Datenzugriff regelmäßig in den Räumen des Unternehmens oder der Finanzverwaltung erfolgen soll; ein unkontrollierter Abfluss auf mobile Datenträger ist damit gerade nicht intendiert.
IV. Fazit und Ausblick
Die Entscheidung des BFH, dass die Anforderung eines umfassenden „Gesamtjournals“ rechtswidrig ist, bringt für Unternehmen auf den ersten Blick eine gewisse Entlastung: Es besteht keine Pflicht, sämtliche E-Mails, unabhängig von ihrer steuerlichen Relevanz, in einem zentralen Index zu erfassen und vorzulegen.
Allerdings bleibt die praktische Reichweite der Vorlagepflicht nach wie vor sehr weit gefasst. Der BFH hat zwar die Grenzen der Datenanforderung formal gezogen, inhaltlich aber kaum Einschränkungen vorgenommen. Die Finanzverwaltung darf weiterhin „en bloc“ alle E-Mails verlangen, die sich auf die Vorbereitung, Durchführung oder Abwicklung eines bestimmten Vertrags (wie hier das SMS-Agreement) beziehen und das können im Einzelfall mehrere tausende Nachrichten sein. Die Entscheidung, welche E-Mails tatsächlich steuerlich relevant sind, liegt zwar beim Steuerpflichtigen (Erstqualifikationsrecht), doch die Schwelle für die Relevanz ist niedrig: Es genügt bereits die entfernte Möglichkeit, dass aus einer E-Mail steuerliche Folgerungen gezogen werden könnten.
Die Entscheidung des BFH ist daher ambivalent: Sie schützt vor der Pflicht, ein künstliches Gesamtjournal zu erstellen, öffnet aber zugleich die Tür für sehr weitreichende Datenanforderungen. Die Verantwortung für die Organisation, Archivierung und Selektion der E-Mails liegt weiterhin voll beim Steuerpflichtigen. Wer hier frühzeitig keine klaren Prozesse und technische Lösungen etabliert, läuft Gefahr, im Prüfungsfall überfordert zu werden.

