Die Bahn macht die behauptete Tarifunfähigkeit der GDL an deren organisatorischer und personeller Verwobenheit mit der von ihr selbst gegründeten Leiharbeitsgenossenschaft „Fair Train“ fest. Daran ist richtig, dass die von GDL und Fair Train miteinander abgeschlossenen Tarifverträge nicht wirksam sein können, weil beim Abschluss die für das Funktionieren der Tarifvertragsordnung notwendige wechselseitige Gegnerunabhängigkeit gefehlt hat. Aber das kann kaum zur Folge haben, dass der GDL nun auch die Gegnerunabhängigkeit gegenüber von ihr unabhängigen Arbeitgebern und deren Verbänden und damit auch gegenüber der Bahn fehlt.
Das Bundesarbeitsgericht vertritt zwar das Prinzip der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Tariffähigkeit für den von einer Vereinigung beanspruchten Zuständigkeitsbereich. Eine teilweise, auf bestimmter Branchen, Regionen, Berufskreise oder Personengruppen beschränkte Tariffähigkeit könne es nicht geben. Es sagt in der maßgebenden Entscheidung vom 13.09.2022 (1 ABR 24/21, DB 2023 S. 334) aber auch, dieses Prinzip bedinge, dass einer Arbeitnehmerorganisation die Tariffähigkeit „insgesamt nicht versagt werden kann, wenn ihr die Durchsetzungskraft oder die organisatorische Leistungsfähigkeit in einem Teilbereich des von ihr gewählten Organisationsbereichs fehlt“. Es liegt nahe, diese Einschränkung auch gelten zu lassen, wenn der Gewerkschaft die Unabhängigkeit von der Gegenseite nur in einem Teilbereich des von ihr in Anspruch genommenen Zuständigkeitsbereichs fehlt, sie in den übrigen Bereichen aber in ihren tarifpolitischen Entscheidungen unabhängig ist.
Prozessrechtlich ist die Frage, wie in einem einstweiligen Verfügungsverfahren mit dem anhängig gemachten Antrag auf Feststellung fehlender Tariffähigkeit umzugehen ist. Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits davon ab, ob eine Vereinigung tariffähig ist oder nicht, ist nach § 97 Abs. 5 ArbGG der Rechtsstreit an sich auszusetzen, bis im Beschlussverfahren über den Antrag entschieden worden ist. Bei den Landesarbeitsgerichten und in der Literatur herrscht zwar die Ansicht vor, dass diese Pflicht zur Aussetzung im einstweiligen Verfügungsverfahren grundsätzlich nicht gelten kann, weil das auf eine Verweigerung des Rechtsschutzes hinausliefe. Auf der anderen Seite vertreten Landesarbeitsgerichte und Stimmen in der arbeitskampfrechtlichen Literatur aber auch die Ansicht, dass „bei einer in hohem Maße zweifelhaften Rechtslage regelmäßig keine einstweilige Verfügung ergehen“ kann (so das LAG Köln vom 14.06.1996 – 4 Sa 177/96; diesem folgend Kissel, Arbeitskampfrecht 2002, § 65 Rn. 23ff.). Dass die Rechtslage hier jedenfalls in hohem Maße zweifelhaft ist, lässt sich kaum bestreiten.