Das Landesarbeitsgericht Stuttgart hat sich in einem aktuellen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit den Anforderungen an Verfügungsgrund und Verfügungsanspruch in Bezug auf Streikmaßnahmen beschäftigt.
Bei Unternehmen der Amazon-Gruppe fanden seit April 2013 mehrere Streiks statt. Die Gewerkschaft ver.di forderte die Amazon Pforzheim GmbH im Rahmen dieses Arbeitskampfes dazu auf, mit ihr in Verhandlungen über den Abschluss eines Anerkennungstarifvertrags hinsichtlich der Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels in Baden-Württemberg einzutreten. Dies lehnte Amazon ab. Am 21. und 22.09.2015 kam es deshalb zu Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände. Dabei versammelten sich zeitweise ca. 35 Personen, die trommelten und Flugblätter verteilten.
Kein Streik auf Betriebsgelände?
Im vorliegenden am 22.09.2015 beim Arbeitsgericht Pforzheim eingegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren verlangt Amazon von ver.di die Unterlassung von weiteren Streikmaßnahmen auf ihrem Betriebsgelände und bei Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro. Amazon ist der Ansicht, dass sie auf ihrem privaten Betriebsgelände keine Streikmaßnahmen dulden müsse. Ver.di werde nicht in ihrem Streikrecht beeinträchtigt, wenn die Arbeitskampfmaßnahmen außerhalb des Betriebsgeländes stattfinden müssen. Das Arbeitsgericht Pforzheim hatte die Anträge von Amazon mit Urteil vom 23.09.2015 (5 Ga 4/15) zurückgewiesen, weil nach Beendigung der konkreten Streikmaßnahmen am 22.09.2015 keine besondere Eilbedürftigkeit für den Erlass einer einstweiligen Verfügung mehr bestand.
Keine weiteren Streikmaßnahmen – kein Verfügungsgrund
Das Landesarbeitsgericht Stuttgart wies die Berufung von Amazon am 24.02.2016 zurück (Az. 2 SaGa 1/15). Nach Auffassung des Gerichts liegen im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren weder ein Verfügungsgrund noch ein Verfügungsanspruch für die Anträge vor. Eine besondere Dringlichkeit der einstweiligen Verfügung (Verfügungsgrund) sei deshalb nicht gegeben, weil für Amazon bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vor dem Arbeitsgericht Berlin (voraussichtlich am 07.04.2016) keine erheblichen Nachteile zu befürchten seien, nachdem ver.di nach ihren eigenen Angaben derzeit keine Streikmaßnahmen bei Amazon in Pforzheim plant.
Trotz Hausrecht sind Streikmaßnahmen zulässig
Auch ein Verfügungsanspruch liege nicht vor, weil bei einer Abwägung der Rechtsgüter beider Parteien (insbesondere das Hausrecht von Amazon – Art. 13 GG – gegen das Streikrecht von ver.di – Art. 9 Abs. 3 GG) unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keine offenkundige Rechtswidrigkeit von Streikmaßnahmen erkennbar sei. Bei einer grundrechtsfreundlichen Auslegung des Hausrechts von Amazon seien nicht von vornherein alle Streikmaßnahmen auf den privaten Betriebsparkplätzen unzulässig.
(LArbG Stuttgart, PM vom 24.02.2016 / Viola C. Didier)