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07.12.2021

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Steuern und Koalitionsvertrag 2021 – Steuerrecht quo vadis?

Gerade haben wir Frau Dr. Dr. h.c. mult. Angela Merkel, eine sehr beeindruckende, verdiente und international sehr anerkannte Politikerin, mit dem „Großen Zapfenstreich“, dem höchstrangigen militärischen Zeremoniell der Bundeswehr, verabschiedet. Und nun? Nun liegt es in den Händen der neuen Regierung, bestehend aus FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD, die zunächst sondiert und dann verhandelt hat: Das Ergebnis vom 24.11.2021 ist ein 178-Seiten starker Koalitionsvertrag, der überschrieben ist mit „MEHR FORTSCHRITT WAGEN – BÜNDNIS FÜR FREIHEIT, GERECHTIGKEIT UND NACHHALTIGKEIT“. Doch was plant die neue Regierung steuerlich? Steht dies auch unter diesem Motto? Werfen wir einen Blick auf ausgewählte Punkte, die teils sehr verstreut im Koalitionsvertrag zu finden sind – oder auch nicht.

Steuern und Koalitionsvertrag 2021 – Steuerrecht quo vadis?

StB/Tax Advisor Dr. Marco Ottenwälder
ist Counsel bei POELLATH, Frankfurt/M. und Lehrbeauftragter an den Universitäten Bayreuth und Bamberg

Vorab: Keine Steuererhöhungen?!

In den Ergebnissen der Sondierungen wurde noch darauf hingewiesen, dass keine neuen

Substanzsteuern

eingeführt und (keine) Steuern (Einkommen-, Unternehmens- oder Mehrwertsteuer) erhöht werden sollen. Dieser Hinweis findet sich im Koalitionsvertrag hingegen nicht mehr. Angesichts der erforderlichen (Gegen-)Finanzierung der zahlreichen Vorhaben der neuen Regierung, insbesondere in Digitalisierung und Klimaschutz, überrascht dies nicht. Zwar wird eine Erhöhung von Steuern zudem nur im Rahmen der möglichen Erhöhung der Luftverkehrsabgabe nach 2023 erwähnt. Wer jedoch das kleine Einmaleins beherrscht, weiß auch, dass sich die absolute Steuerlast aus dem Produkt von Steuersatz und Bemessungsgrundlage ergibt. Werden z.B. gegenwärtig im Steuerrecht gewährte Freibeträge, Abzüge von Betriebsausgaben und Werbungskosten (z.B. durch eine bislang noch von den drei Parteien nicht weiter definierte Zins„höhen“schranken) und weiteren Begünstigungen (z.B. im Erbschaftsteuerrecht) reduziert bzw. gestrichen, kommt dies einer faktischen Steuererhöhung gleich. Ob dies unter den Begriff einer fairen Besteuerung gefasst werden kann, die ebenfalls im Koalitionsvertrag mit Blick auf die Sicherung des Wohlstands gefordert wird, bleibt zu prüfen.

Gleiches gilt dem Ansinnen der drei Parteien, verstärkt gegen (aggressive) Steuergestaltung und -vermeidung vorgehen zu wollen. Die Notwendigkeit des Vorgehens leuchtet unmittelbar ein, so geklärt ist, was (aggressive) Steuergestaltung und -vermeidung ist und wie sinnvoll und zielgerichtet dagegen vorgegangen werden kann. Nicht nur § 4k EStG, der den „Betriebsausgabenabzug bei Besteuerungsinkongruenzen“ beschränkt, ist jedoch ein Glanzbeispiel für das Motto: „Gut gemeint – schlecht gemacht“. Hierdurch kann es bereits aktuell zu faktischen Steuererhöhungen kommen, da die Norm weit über das hinausgeht, was zur Vermeidung eines Missbrauchs erforderlich ist – von den hohen Kosten der Steuerpflichtigen bei der Umsetzung der teils unklaren Anforderungen des Gesetzgebers ganz zu schweigen.

Der neuen Regierung wünsche ich hier ein besseres Händchen und hoffe, dass die künftigen Steuerreformen – ggf. unter Rückgriff auf das im Koalitionsvertrag ebenfalls geplante

Steuerforschungsinstitut

, das der Evaluierung von Steuerregelungen und der evidenzbasierten Gesetzgebung dienen soll – passgenauere, gerechte und faire Normen nach sich ziehen, die auch auf beiden Seiten administrierbar sind.

Der Steuerhinterziehung und -vermeidung den Kampf angesagt!

Deutlich wird, dass die Koalitionspartner aus Gerechtigkeits- und Fairnessgründen eine Vorreiterrolle bei der

Bekämpfung von Steuerhinterziehung und aggressiver Steuergestaltung

einnehmen wollen. Dies ist nicht weiter verwunderlich und nachvollziehbar. Insbesondre die Einführung eines bundesweit einheitlichen elektronischen Meldesystems für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen ist zu begrüßen. Ebenfalls zu begrüßen ist die Bekämpfung von Dividendenarbitragegeschäften (z.B. Cum/Ex, Cum/Cum) unter Rückgriff auf „neue“ technische Möglichkeiten. Gleiches gilt für die personelle Stärkung insbesondere des Bundeszentralamts für Steuern (BZSt), da die Zusammenarbeit mit der Behörde zum Teil viel bis sehr viel Geduld bei Steuerpflichtigen und Beratern erfordert.

Ob jedoch die geplante Einführung von digitalen Verfahren und die Modernisierung der Steuerprüfung durch „neue“ Technologien, die eine schnellere Kommunikation mit der Verwaltung ermöglichen und die Steuerbürokratie reduzieren soll, schnell umgesetzt werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Der Einsatz einer zentralen Organisationseinheit auf Bundesebene zeigt zumindest, dass das Thema Digitalisierung auf der Priorisierungsliste etwas weiter nach vorne gerückt ist.

Unverständlich ist jedoch die Ausweitung der bisher nur für grenzüberschreitenden Fälle geltenden, sehr komplexen und noch immer nicht abschließend geklärten

Anzeigepflichten für Steuergestaltungen

(„DAC 6“) nun auch auf nationale Fälle, soweit Unternehmen (genauere Definition bleibt offen) einen Umsatz (vermutlich pro Jahr) von mehr als 10 Mio. € erzielen. Zwar wurde bereits bei der Umsetzung der DAC 6-Richtlinie in deutsches Recht die Einführung der nationalen Anzeigepflicht diskutiert und Entwürfe seitens der Finanzminister der Länder (z.B. hier) vorgelegt. Während die FDP im Dezember 2019 mit einem Entschließungsantrag gegen die nationale Anzeigepflicht keinen Erfolg hatte, empfahl der Finanzausschuss des Bundesrates hingegen deren Einführung zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken und zur Förderung der Steuergerechtigkeit. Daher war das Thema nie ganz vom Tisch. M.E. wäre es deutlich zielführender, eine Beschleunigung von Betriebsprüfungen zu forcieren. Dies würde den Unternehmen nicht zusätzliche Steuerbürokratie (und damit unnötigen Aufwand) bescheren, sondern Rechtssicherheit. Das geschulte Betriebsprüferauge würde zudem zeitnah Einblick in die Strukturen der Unternehmen erhalten, um „ungewollte“ Steuergestaltungen zu erkennen.

Letztlich möchte die künftige Regierung – nicht weiter überraschend –auch die Idee der

Mindestbesteuerung

(auch als „OECD Pillar 2“ bekannt) weiter unterstützen und die deutschen Quellensteuern in den Doppelbesteuerungsabkommen erhöhen. Letzteres ist kurzfristig schlicht nicht ohne weiteres möglich. Allerdings ist denkbar, dass diese Idee im Rahmen der bereits aktuell laufenden Verhandlungen zu den Doppelbesteuerungsabkommen Eingang finden dürfte (zum Stand siehe hier, S. 8). Alternativ (oder additiv) könnte versucht werden, dieses Thema im Rahmen der für die OECD Pillar 1 geplanten multilateralen Übereinkommen unterzubringen. Ob dies gelingt, wird die Zeit zeigen.

Fortschrittliche Unternehmensbesteuerung?

Im Rahmen der Unternehmensbesteuerung ist die „

Superabschreibung

“ als Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter sicherlich zu begrüßen. Da letztlich die Abschreibung die steuerliche Bemessungsgrundlage heute mindert (um morgen den Gegeneffekt zu spüren), werden Steuerzahlungen in die Zukunft verlagert, mithin also ein Zinsvorteil durch eine spätere Steuerzahlung für Unternehmen verschafft.

In Kombination mit der geplanten erweiterten

Verlustverrechnung

bis 2023 (gemeint ist hier ein Verlustrücktrag statt – wie im Koalitionspapier angegeben – Verlustvortrag) kann dies auch dazu führen, dass – soweit in den vorangehenden zwei Jahren steuerpflichtige Gewinne angefallen sind – eine Rückerstattung von Steuern die Liquiditätsposition stärken kann. Ein erhöhter Verlustrücktrag auch über einen längeren Zeitraum als einem Jahr wäre bereits als frühzeitige Coronahilfe durchaus sinnvoll gewesen (und ist es noch!). Dies hätte den Prozess der Auszahlungen von Hilfen an die Unternehmen aufgrund der vorhandenen Struktur bei der Finanzverwaltung sicherlich vereinfacht und die Wartezeit verkürzt. Das tatsächlich aktuelle Volumen allein der körperschaftsteuerlichen Verlustvorträge dürfte mittlerweile wesentlich höher sein, als der letzte „aktuelle“ Stand.

Das Vorhaben der Evaluation des

Optionsmodells

, das in 2022 erstmalig überhaupt zur Anwendung kommt, ist m.E. eher als Beruhigungspille zu sehen. Die gegenwärtige Regelung weist bekanntermaßen einige Schwächen und wirft Auslegungsfragen auf, die auch durch das zugehörige BMF-Schreiben nicht gelöst wurden bzw. werden konnten. Bis Daten verfügbar sind, um diese zu evaluieren, werden Jahre vergehen. Auch die 2008 (!) eingeführte

Thesaurierungsbegünstigung

soll (endlich) evaluiert werden. Es bleibt die vage Hoffnung, zumindest für die Thesaurierungsbegünstigung zeitnah eine den Unternehmen dienliche Verbesserung zu erzielen. Sollte es an Daten mangeln (oder die künftige Regierung schnell und beherzt handeln wollen), bietet sich ein Blick in die unzähligen Beiträge und Studien der Wissenschaft zu den betriebswirtschaftlichen Folgen an – man muss das Rad ja nicht immer neu erfinden.

Auch bleibt die Hoffnung, dass die für die

Start-Up-Szene

geplante umfassende Strategie nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein bleibt, sondern eine hohe Attraktivität bietet, nicht nur um die Zahl der deutschen Einhörner deutlich zu steigern, sondern auch um ein fruchtbares Umfeld für die vielen klugen und motivierten Köpfe zu gestalten und auszubauen.

Zwischenfazit

Auch durch die weiteren, noch geplanten Maßnahmen, die hier nicht aufgegriffen werden konnten, werden auf die Steuerpflichtigen zahlreiche Veränderungen zukommen. Es bleibt der Wunsch, dass die Steuerbürokratie deutlich reduziert wird und der Blick nach vorn auch jungen Unternehmerinnen und Unternehmern die Hand reicht, um in Deutschland großartige Ideen zu entwickeln, damit Arbeitsplätze und Wohlstand zu sichern und durch Investitionen in Bildung für die Zukunft vorzusorgen. Wie so oft: Der Blick über die Grenzen kann hier wertvolle Anreize liefern – auch über die steuerliche Forschungsförderung hinaus. Es bleibt also spannend!


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