Nachspaltungsveräußerungssperre
Der Gesetzgeber hat das Risiko gesehen, dass zunächst ein Teilbetrieb/Mitunternehmeranteil steuerneutral auf eine Schwestergesellschaft abgespalten (oder ggf. durch Aufspaltung übertragen) wird und anschließend diese Schwestergesellschaft durch die gemeinsame Muttergesellschaft (fast) steuerneutral veräußert wird, während der Verkauf des Teilbetriebes/Mitunternehmeranteiles die „normale“ Beteuerung ausgelöst hätte.
Dies soll nach dem Willen des Gesetzgebers jedenfalls in größerem Umfange nicht möglich sein. Deshalb hat der Gesetzgeber eine „
Nachspaltungsveräußerungssperre
“ (§ 15 Abs. 2 Sätze 3 und 4 UmwStG) aufgenommen. Danach ist eine Buchwertübertragung auf Ebene der übertragenden Körperschaft nicht möglich, „…. wenn durch die Spaltung die Voraussetzungen für eine Veräußerung geschaffen werden. Davon ist auszugehen, wenn innerhalb von fünf Jahren […] Anteile einer an der Spaltung beteiligten Körperschaft, die mehr als 20 Prozent der […] Anteile ausmachen, veräußert werden.“ (Die mögliche Steuerneutralität der Spaltung auf Ebene der Gesellschafter der Spaltgesellschaft bleibt hiervon unberührt.)
Die Anwendung der 20%-Grenze ist in der praktischen Anwendung schon kompliziert genug. Ein weiteres Problem ergab sich bisher aus dem Wortlaut der Regelung. Der Wortlaut wurde überwiegend so verstanden, dass
nur
unter den
genannten Bedingungen
(20 Prozent, fünf Jahre) eine schädliche Veräußerung vorliegt. Die
Finanzverwaltung
hat hingegen zumindest seit 2014 die Regel so interpretiert, dass eine schädliche Veräußerungsvorbereitung daneben
auch
vorliegen kann, wenn nach der Spaltung eine Veräußerung erfolgt, die genannten Kriterien zwar nicht getroffen werden, aber bereits die Spaltung
mit dem Ziel
der Vorbereitung
einer zeitnahen Veräußerung
erfolgte (FinBeh. Hamburg vom 13.04.2015, DStR 2015 S. 1871; FinMin. Brandenburg vom 16.07.2014, DStR 2014 S. 2180; der UmwStE 2011 enthält diese Aussage noch nicht, BMF vom 11.11.2011, Tz. 15.22 ff.)).
In der Fachliteratur hat diese Auffassung zwar einige gewichtige Befürworter (z.B. Schießl, in: Widmann/Mayer, UmwR, § 15 UmwStG Rz. 294 ((März 2016)), aber nicht die Mehrheit gefunden (z.B. Vogt, in: Eisgruber, UmwStG, 2. Aufl. 2018, § 15 Rz. 284; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl, UmwG, UmwStG, 9. Aufl. 2020, § 15 UmwStG Rz. 149 m.w.N.); selbst verwaltungsnahe Autoren konnten sich ihr nicht anschließen (z.B. Dötsch/Stimpel; in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock; KStG, § 15 UmwStG Tz. 277, ((Nov. 2019)).
BFH entscheidet
Der BFH hat hier klar Stellung bezogen und entschieden, dass eine Veräußerung unterhalb der Schwelle von 20 Prozent unschädlich ist, selbst wenn sie bereits bei der Spaltung beabsichtigt gewesen sein sollte (Urteil vom 11.08.2021 – I R 39/18). Gleiches gilt für eine Veräußerung nach Ablauf der 5-Jahres-Frist. Der Gesetzeswortlaut gibt es nicht her, neben den ausdrücklich genannten Kriterien noch eine allgemeine Veräußerungsabsicht als schädlich anzusehen. § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG ist also kein eigenständiger Ausschlussgrund, sondern ist nur zusammen mit Satz 4 anzuwenden.
Das FG Hamburg (Urteil vom 18.09.2018 – 6 K 77/16, EFG 2019 S. 140) hatte dies in der ersten Instanz noch anders gesehen; in einem anderen Verfahren hatte das FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 31.05.2018 – 9 K 9143/16, EFG 2018 S. 1681, (in der Revision offen gelassen vom BFH-Urteil vom 11.08.2021 – I R 27/18)) allerdings auch schon so wie jetzt der BFH in diesem Verfahren entschieden. Der BFH hatte seine Auffassung vor längerer Zeit bereits angedeutet, ohne damals abschließend entschieden zu haben (Urteil vom 03.08.2005 – I R 62/04, BStBl. II 2006 S. 391).
Bewertung
Für die Praxis ist dieses Urteil sehr hilfreich. Die Unsicherheit, die durch die Verwaltungsauffassung im Zusammenhang mit Spaltungen entstanden ist, war kontraproduktiv auch für „normale“, nicht steuergetriebene Spaltungen. Denn im wirklichen Leben gibt es nicht nur die eindeutigen Fälle, in denen eine Veräußerung kurz nach einer Spaltung bereits von vornherein feststeht. Häufiger sind vielmehr die Fälle, in denen nach einer Spaltung eine von mehreren Handlungsalternativen eine Veräußerung sein kann. Ob und unter welchen weiteren Voraussetzungen dann bereits von einer schädlichen Absicht auszugehen gewesen wäre, war in der Praxis nicht vorhersehbar.
Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO)?
Wenn es um solche „Gestaltungen“ geht, stellt sich immer auch die Frage, ob und wie § 42 AO eine Rolle spielt. Das ist auch nach diesem Urteil noch nicht abschließend geklärt. Zwar hat der BFH dem im Urteilsfall entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung eine klare Absage erteilt. Der Gesetzgeber hat mit § 15 Abs. 2 Sätze 3 und 4 UmwStG das Feld „gesichtet“ und entschieden, was dort geht und was nicht mehr geht. Diese Entscheidung kann nicht durch Anwendung des § 42 AO unterlaufen werden.
Allerdings galt im Streitjahr noch § 42 AO in seiner alten Fassung. Seit 2008 ist in § 42 Abs. 1 AO geregelt, dass die Anwendung gesperrt ist, wenn der Tatbestand einer speziellen Missbrauchsvermeidungsnorm erfüllt ist. Soweit dies (wie hier) nicht der Fall ist, bleibt § 42 AO grundsätzlich anwendbar. Allerdings erfordert er (immer noch) eine „unangemessene rechtliche Gestaltung“. Und somit stellt sich weiterhin die Frage, ob eine Gestaltung unangemessen sein kann, wenn der Gesetzgeber in diesem Bereich „Gut“ und „Böse“ unterschieden hat und die gewählte Vorgehensweise danach zu den „guten“ gehört.
Ausblick
Gegenwärtig bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung das Urteil des BFH allgemein akzeptiert, also im Bundessteuerblatt veröffentlicht. Und dann bleibt immer noch die Frage, in welchem Umfang die Verwaltung künftig, quasi als Ersatz, in ähnlich gelagerten Fällen auf § 42 AO zurückgreifen wird.