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26.03.2020

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Sozio-ökonomische Ungleichheit und progressive Besteuerung ‒ „Steuerirrtümer“ des Ökonomen Thomas Piketty

Rund sechs Jahre nach dem Erscheinen seines Wissenschaftsbestsellers „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ im Jahre 2013 hat der französische Ökonom Thomas Piketty sein zweites monumentales Grundlagenwerk „Kapital und Ideologie“ veröffentlicht. Es liegt seit Anfang 2020 in deutscher Übersetzung vor. Auf rund 1.300 Seiten ‒ damit deutlich voluminöser als sein Erstwerk und gedacht als dessen Fortsetzung ‒ entfaltet Piketty in vier Teilen mit insgesamt 17 Kapiteln seine Analyse ideologiegestützter, sozio-ökonomischer Ungleichheiten in der Menschheitsgeschichte über alle Teile der Welt. Er sucht nach den zeitgeschichtlichen, ideologischen Rechtfertigungen für Ungleichheitsregime und stellt dabei die Möglichkeiten und Grenzen des Eigentums als Quelle der „Gewinner/Verlierer einer Gesellschaft“ in den Mittelpunkt.

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Prof. Dr. Ulrich Prinz
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Piketty’s Ungleichheitsanalyse und die gerechte Gesellschaft

Das jeweilige Eigentumsregime hat nach den Feststellungen von Piketty einen zentralen gestaltenden Einfluss auf soziale Ungleichheit und deren Entwicklung vom Altertum bis in die Zeiten modernen, digitalgestützten globalisierten Wirtschaftens. Kurzum: kein nüchtern geschriebenes Wissenschaftsbuch, sondern ein ideologisches Monumentalwerk zur Rechtfertigung von wirtschaftlicher Umverteilung mit dem Ziel des Erreichens einer „gerechten Gesellschaft“. Piketty erweist sich dabei als akribischer, unglaublich detailbetonter und unbändig fleißiger Analytiker, der aus ideologiegeleiteter Ökonomensicht gesellschaftliche Ungleichheiten beschreibt und letztlich in der Jetztzeit die Gesellschaftsordnung eines „partizipativen Sozialismus“ über massive Umverteilung von Vermögen/Einkommen anstrebt. Beeindruckend ist seine historische Aufarbeitung geschichtlich belegter Ungleichheiten; beängstigend sind seine Schlussfolgerungen daraus für eine angestrebte „gerechte Gesellschaft“. Gesamtökonomisch ausgerichtete Besteuerungsfragen spielen in der Piketty-Ungleichheitsanalyse eine wichtige Rolle. Den praktisch wie akademisch ausgerichteten Steuerökonomen oder Steuerjuristen interessiert dies!

Steuerkonzept Piketty’s als Element eines „partizipativen Sozialismus“

In Kapitel 17 seines Buches beschreibt Piketty die „Bausteine“ zur Erreichung einer gerechten Gesellschaft, die ‒ ganz in der Traditionslinie eines demokratischen Sozialismus ‒ allen ihr angehörenden Mitgliedern möglichst umfänglichen Zugang zu Grundgütern (wie insbesondere Bildung, Gesundheit und Teilhabe an allen gesellschaftlichen Formen des Lebens) gewährt. Damit sollen den am wenigsten begünstigten Mitgliedern einer Gesellschaft bestmögliche Existenzbedingungen geboten werden (S. 1188). Zugleich soll als politisches Ziel das gegenwärtige System des Privateigentums überwunden werden (S. 1214). Das Konzept Piketty’s für einen partizipativen Sozialismus beruht dabei vereinfacht auf zwei Grundpfeilern, die Bedingungen für „gerechtes Eigentum“ entfalten sollen:

  • Dies ist zum einen die „Überwindung des Privateigentums“, indem Arbeitnehmer und ihre Vertreter in die Führung von Unternehmen einbezogen werden. Angestrebt wird eine bessere Machtverteilung in den Unternehmen. Piketty versteht dies weit über das deutsche Mitbestimmungskonzept hinausgehend. Stimmrechte in den Unternehmen sollen zwischen Arbeitnehmern und Aktionären im Verhältnis 50:50 aufgeteilt werden. Der Zugang zum Bildungssystem spielt des Weiteren eine besondere Rolle. Hinzu kommt das Konzept eines „Eigentums auf Zeit“ mit einer permanenten Vermögenszirkulation. Das Ganze soll dezentralisiert sein und einen Kontrapunkt zum „hyperzentralisierten Staatssozialismus“ bilden. Durch all dies soll nach Meinung von Piketty der „Privatkapitalismus“ überwunden werden.
  • Der zweite Baustein im Umverteilungskonzept von Piketty ist ein „gerechtes Steuersystem“. Etwas schwer verständlich verwendet Piketty den Begriff „Triptychon der progressiven Steuer“ (S. 1205) und meint damit eine jährlich progressive Eigentumsteuer ‒ dies ist im Wesentlichen eine Vermögensteuer ‒, eine progressive Erbschaftsteuer sowie eine progressive Einkommensteuer. Letzteres beinhaltet die Körperschaftsteuer als eine Art Vorauszahlung auf die Einkommensteuer. Darüber hinaus sollen in der progressiven Einkommensteuer Sozialabgaben und eine ebenfalls progressiv ausgestaltete CO2-Steuer für Umweltschutzmaßnahmen und die Finanzierung der Energiewende einbezogen werden. Mit diesen Steuermitteln werden konzeptionell der Sozialstaat einschließlich seines Gesundheits-, Bildungs- und Rentensystems sowie ein Grundeinkommen für Jedermann finanziert. Die Ausgestaltung der Progression orientiert sich dabei am „Vielfachen des durchschnittlichen Vermögens/Einkommens“ und liegt in der Spitze bei 90 % aller drei Steuerbereiche. Schon ab dem Zehnfachen des durchschnittlichen Erbes/Einkommens sollen Steuersätze von 60 % und mehr zur Anwendung kommen (siehe Tabelle S. 1206). Mit alldem soll ein „öffentliches System von Erbschaften“ implementiert werden, um junge Erwachsene von 25 Jahren mit einem „Startkapital“ auszustatten. Schließlich entwickelt Piketty ein „Gutscheinkonzept“ für demokratische Gleichheit, um eine gerechte, partizipative Parteiendemokratie zu bewerkstelligen. In diesem Zusammenhang sehr lesenswert sind auch die politisch „äußerst gefärbten“ Überlegungen eines Ökonomen zum Verfassungsrecht (S. 1222-1228). Als Beispiel für den „Machtmissbrauch von Verfassungsrichtern“ nimmt Piketty auch auf Deutschland Bezug mit der „Affäre“ um den Steuerrechtler Paul Kirchhof. Das Halbteilungsgebot und der „Skandalvorschlag“ einer Flat Tax von 25 % Einkommensteuerspitzensatz wird genannt. Eine doch sehr verkürzte Sicht der Dinge, die mit „Affäre“ und „Machtmissbrauch“ nun überhaupt nichts zu tun hat. Schließlich entwickelt Piketty Überlegungen zu einer „globalen Steuergerechtigkeit“, die in einer transnationalen Demokratie organisatorisch umgesetzt werden soll (S. 1261). Der aus Sicht von Piketty weiter akzelerierte, Ungleichheit hervorrufende internationale Steuerwettbewerb mit Steuer-Dumping und der Nichtbesteuerung von Unternehmensgewinnen soll dadurch verhindert werden.

Wettbewerb und eigenwirtschaftliches Interesse als Quelle des Fortschritts in einer demokratischen Gesellschaft

Piketty selbst räumt ein: „Die Vorschläge mögen radikal anmuten“. Das stimmt! Die von ihm entwickelte „Steuervision“ ist für den im Hier und Jetzt lebenden Steuerfachmann beängstigend. Sie enthält eine Reihe von „Webfehlern“ die offenkundig sind. Zwei Beispiele zur Veranschaulichung:

  • Zum ersten: Progressive Steuersätze sind nach allgemeiner Meinung ein Instrument sozialstaatlicher Umverteilung und finden sich in Deutschland sowohl bei der Einkommensteuer (mit einem Reichensteuer-Spitzensatz von 45 %) sowie bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer (gem. § 19 EStG mit steuerklassenabhängigen 30 %/43 %/50 % bei einem steuerpflichtigen Erwerb von über 26 Mio. €). Insoweit erfolgt in Deutschland eine reale Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Das Piketty-Steuerkonzept „überzieht“ die Progressionswirkung allerdings völlig überbordend und zerstört damit jegliche, über rein intrinsische Motive hinausgehende Leistungsbereitschaft Einzelner sowie der Wirtschaft/Gesellschaft als Ganzes. Gerade in Zeiten disruptiver Veränderungen müssen Kreativkräfte in Wirtschaft und Gesellschaft als Elemente freiheitlicher Selbstbestimmung belohnt und nicht per „Enteignungssteuersätzen“ bestraft werden. Piketty dagegen löst mit seinem Konzept eine gigantische Umverteilungsmaschinerie aus, die sämtliche produktiven Wettbewerbskräfte beseitigen wird. Individuelle Freiheit und eigenwirtschaftliche Interessenverfolgung kommen im Piketty-Konzept nicht vor. Ein Analysefehler par excellence.
  • Zum zweiten: Schaut man sich einmal das Gesamtsteueraufkommen in Deutschland und in anderen Industrieländern an, so lässt sich eindeutig eine Zunahme der indirekten Steuern ‒ vor allem der Umsatzsteuer als allgemeiner Verbrauchsteuer der Konsumenten ‒ erkennen. Sie lösen relativ geringen Verwaltungsaufwand aus, der „Steuerwiderstand“ ist deutlich geringer als bei den direkten Steuern und Erosionswirkungen durch globalen Steuerwettbewerb sind insoweit deutlich weniger merklich. Indirekte Steuern wie die Umsatzsteuer belasten den Konsumenten ‒ unabhängig davon, ob es sich um einen „reichen“ oder „armen“ Steuerpflichtigen handelt. Auch indirekte Steuern müssen allerdings Steuergerechtigkeitsanforderungen erfüllen, die etwa bei Umsatzsteuerbefreiungen oder ermäßigten Steuersätzen deutlich werden (siehe Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 7 Rz. 15/16). Im Steuerkonzept von Piketty dagegen tritt die Umsatzsteuer als bedeutsame Finanzierungsquelle für Staatsausgaben mehr oder weniger gar nicht in Erscheinung.

Zusammengefasst: Das Buch von Piketty bietet dem interessierten Steuerökonomen/Steuerrechtler eine großartige Gelegenheit, sich mit mehr intellektuell behafteten Steuerthemen auf einem ideologischen Hintergrund ganz anderer Art zu befassen. Man kann viel aus der breit angelegten, weltanschaulich gefärbten Ungleichheitsanalyse von Piketty lernen. Seine Steuerthesen sind aber aus meiner Sicht „abenteuerlich“, da sie dem zentralen Leistungsstreben in einer Gesellschaft als Ausdruck freiheitlicher Entfaltung der eigenen und gemeinsamen Möglichkeiten in keiner Weise Rechnung tragen. Vermutlich wird es dem zweiten Werk von Piketty so gehen wie dem ersten: Viele werden es kaufen, wenige werden es komplett studieren und ‒ so die begründete Erwartung ‒ Realität wird das Steuerkonzept von Piketty sicher nicht!

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