Ausgangslage
Der im Inland wohnhafte Kläger erzielte im Streitjahr 2012 als Angestellter eines im Inland ansässigen Unternehmens Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Da er während eines erheblichen Zeitraums im Jahr 2012 von seinem Arbeitgeber in die Schweiz entsendet worden war, bezog er überwiegend Arbeitslohn aus der Schweiz, der nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz steuerfrei gestellt wurde. Der inländischen gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterlag der Kläger mit seinem gesamten, sowohl aus deutschem als auch aus schweizerischem Arbeitslohn bestehenden Gehalt.
Mit dem Einkommensteuerbescheid 2012 hatte das Finanzamt den steuerfreien Arbeitslohn des Klägers aus der Schweiz zwar einerseits im Wege des Progressionsvorbehalts in die Berechnung des Steuersatzes einbezogen, ihn aber andererseits bei den abzugsfähigen Sonderausgaben außer Acht gelassen und lediglich die auf dem inländischen Arbeitslohn entfallenden Beiträge für die Altersvorsorge berücksichtigt. Einen Abzug für die auf den schweizerischen Arbeitslohn entfallenden Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung hatte das Finanzamt hingegen mit der Begründung versagt, dass diese Beiträge in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem steuerbefreiten Arbeitslohn des Klägers aus der Schweiz und somit mit steuerfreien Einnahmen stünden. Dies verhindere ihre Abzugsfähigkeit (§ 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG). Der Kläger war hingegen der Auffassung, dass auch die auf seinen schweizerischen Arbeitslohn entfallenden Beiträge an die deutsche Rentenanstalt in voller Höhe als Sonderausgaben anerkannt werden müssten, da auch die auf seinen schweizerischen Arbeitslohn entfallenden Beiträge bei seinem Renteneintritt zu voll steuerpflichtigen Renteneinkünften führen würden. Nach einem erfolglosen Einspruch schloss sich das FG Rheinland Pfalz (Urteil vom 23.01.2017 – 5 K 1463/14) in erster Instanz der Auffassung des Finanzamts an und bestätigte das Sonderausgabenabzugsverbot, da der steuerfreie schweizerische Arbeitslohn des Klägers gleichzeitig die Verpflichtung zur Abführung der darauf entfallenden Beiträge an den Sozialversicherungsträger auslöse (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) und insofern ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang bestünde, sodass vorliegend das Abzugsverbot i.S.v. § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG gelte.
Das Revisionsverfahren vor dem BFH
Die Revision des Klägers vor dem BFH hatte nun Erfolg. Mit Verweis darauf, dass ihm einerseits der volle steuerliche Abzug seiner Vorsorgeaufwendungen versagt werde, andererseits aber später die Rentenbezüge voll besteuert würden, hatte der Kläger die Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots sowie des objektiven Nettoprinzips gerügt. Zudem hatte er die Unvereinbarkeit des Abzugsverbot i.S.v. § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG mit der Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit gerügt, die aufgrund des Freizügigkeitsabkommens (FZA) zwischen der EU und der Schweiz vorliegend entsprechend gelte.
Der letzteren Rüge ist der BFH nun gefolgt und hat einen Verstoß gegen die Grundsätze der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Gleichbehandlung gem. Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bejaht. Dabei hat sich der BFH von der Entscheidung des EuGH (Urteil vom 22.06.2017 – Rs. C-20/16, Bechtel) leiten lassen, mit der das Sonderausgabenabzugsverbot von den im Ausland gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen einer in Frankreich tätigen Beamtin mit Wohnsitz in Deutschland bei Berechnung des Progressionsvorbehalts als Verstoß gegen die unionsrechtlich garantierte Arbeitnehmerfreizügigkeit qualifiziert wurde. Der Kläger – so der BFH – sei durch das Abzugsverbot für die auf seinen schweizerischen Arbeitslohn entfallenden Rentenversicherungsbeiträge i.S.v. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG in seiner durch das FZA (Art. 9 Abs. 1 und 2 des Anhangs I) gewährleisteten Arbeitnehmerfreizügigkeit und Gleichbehandlung beschränkt, denn hätte er seinen Arbeitslohn im Streitjahr ausschließlich im Inland bezogen, wären die von ihm geleisteten Rentenversicherungsbeiträge vollständig abzugsfähig gewesen. Das Abzugsverbot für die auf schweizerischen Arbeitslohn entfallenden Rentenversicherungsbeiträge sei daher geeignet, inländische Arbeitnehmer davon abzuhalten, in der Schweiz eine Beschäftigung zu suchen, anzunehmen oder ihr weiter nachzugehen.
Zudem verweist der BFH auf die mit dem Jahressteuergesetz 2018 neu eingefügte, rückwirkend auf alle offenen Fälle anwendbare Ausnahme vom Sonderausgabenabzugsverbot gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Hs. 2 EStG. Gemäß dieser neuen (Rück-)ausnahmebestimmung sind Vorsorgeaufwendungen, die mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, abzugsfähig, wenn diese steuerfreien Einnahmen aus einer nichtselbstständigen Tätigkeit in einem EU- oder einem EWR-Mitgliedstaat stammen. Gestützt auf den Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts, der sich auch auf den Inhalt des FZA erstreckt, sei die rückwirkend eingefügt Ausnahme vom Abzugsverbot zwar nicht gemäß ihrem Wortlaut, wohl aber im Wege unionsrechtskonformer Auslegung auch für Fälle einer nichtselbständigen Erwerbstätigkeit in der Schweiz anzuwenden.
Nicht gefolgt ist der BFH jedoch der vom Kläger ebenfalls gerügten Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots, da diese erstmals mit Beginn der Rentenauszahlungsphase gerügt werden könne. Auch sei der Ausschluss des Sonderausgabenabzugs nicht am Maßstab des objektiven Nettoprinzips zu messen, da es sich bei Altersvorsorgeaufwendungen eben um Sonderausgaben und nicht um Werbungskosten handle.