08.12.2022

Rechtsboard

Schadensersatz wegen zu wenig Arbeit?

Vor einigen Wochen ging der Fall eines WDR-Redakteurs durch die Presse, der seinen Arbeitgeber wegen „Nichtbeschäftigung“ auf eine Entschädigung von 75.000 € verklagt. Der Berichterstattung war zu entnehmen, dass der Redakteur bei einem Jahresgehalt von 100.000 € brutto nur wenige Stunden im Monat arbeitet. Bei Umrechnung des Gehaltes auf die tatsächliche Arbeitszeit ergibt dies einen beeindruckenden Stundenlohn, den man sonst nur von Profifußballern kennt und der wenig Anlass zur Klage geben sollte. Es mag daher auf den ersten Blick absurd erscheinen, dass der Redakteur aus seiner geringen Beschäftigung einen Schadensersatzanspruch ableitet.

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Alexander Greth
ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht im Düsseldorfer Büro der Wirtschaftskanzlei Simmons & Simmons.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass Arbeit im günstigen Fall nicht nur Last und Plackerei ist, sondern dass die aktive Tätigkeit in einem als erfüllend und gar sinnstiftend empfundenen Arbeitsverhältnis dem Arbeitnehmer eine wesentliche Möglichkeit zur Entfaltung und zum Ausdruck der Persönlichkeit bietet. Das Landesarbeitsgericht Hamburg leitet daraus ab, dass Arbeitnehmer einen Achtungs- und Wertschätzungsanspruch haben, der nicht so sehr auf dem wirtschaftlichen Wert der Tätigkeit in Form des Gehaltes, als vielmehr darauf beruht, wie Arbeitnehmer die ihnen obliegenden Aufgaben erfüllen.

Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers

Das Bundesarbeitsgericht erkennt daher an, dass Arbeitnehmer einen Beschäftigungsanspruch haben können. Den allgemeinen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers leitet das Bundesarbeitsgericht aus den §§ 611a, 613 BGB i. V. m. der Generalklausel des § 242 BGB, die durch die Wertentscheidung des Artikel 2 Abs.1 GG in Verbindung mit Art.1 Abs.1 GG zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausgefüllt wird, ab. Der Beschäftigungsanspruch tritt im Rahmen einer Interessenabwägung erst zurück, wenn überwiegende und schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Dies ist in der Regel der Fall, wenn die Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehr möglich ist, z. B. weil wegen Auftragsmangels schlicht keine Arbeit anfällt, oder eine auf einer rechtmäßigen unternehmerischen Entscheidung beruhende Umorganisation zum Wegfall der Arbeit führt. Andererseits gibt es keine Beschäftigungsgarantie. Der Arbeitgeber kann daher nicht dazu gezwungen werden, unternehmerische Entscheidungen so zu treffen, dass eine aktive Beschäftigung des Arbeitnehmers weiterhin möglich bleibt.

Typisches Ziel: Rückkehr an den Arbeitsplatz

Typischerweise wird über Beschäftigungsansprüche im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, insbesondere nach Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung, gestritten. Das Begehren der Arbeitnehmer richtet sich dann darauf, an den Arbeitsplatz zurückkehren zu dürfen und weiterhin vertragsgemäß beschäftigt zu werden. Dagegen wenden Arbeitgeber regelmäßig ein, dass ungeachtet einer etwaigen Unwirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr bestehe. Arbeitnehmer, die den Kündigungsschutzprozess gewinnen, dürfen dann zwar an den Arbeitsplatz zukehren, erhalten aber keine Arbeitsaufträge mehr, da der Arbeitgeber zumindest für die Dauer des Berufungsverfahrens demonstrieren möchte, dass der Beschäftigungsbedarf entfallen ist.

Schadensersatzansprüche wegen Nichtbeschäftigung selten

Vergleichsweise selten sind dagegen Fälle, in denen Arbeitnehmer wegen unterbliebener oder nicht ausreichender Beschäftigung Schadensersatzansprüche gegen ihren Arbeitgeber geltend machen. Typischerweise erleiden Arbeitnehmer durch eine fehlende Beschäftigung keinen materiellen Schaden, da die Vergütung weiterhin gezahlt wird. Materielle Schadenersatzansprüche kommen allenfalls in Betracht, wenn Arbeitnehmer wegen der zu Unrecht unterbliebenen Beschäftigung Einbußen bei der variablen Vergütung erleiden, beispielsweise, weil der Arbeitgeber ihnen dadurch die Möglichkeit nimmt, Umsatzziele zu erreichen, oder sie Nachteile für ihre zukünftige Karriere erleiden. Letzteres nahm das Bundesarbeitsgericht in dem Fall eines Schauspielers an, der wegen unzureichender Beschäftigung seine künstlerischen Fähigkeiten zeitweise nicht entwickeln konnte und in seinem künstlerischen Ansehen beeinträchtigt war. Nur in wenigen, mobbingähnlichen Einzelfällen haben Landesarbeitsgerichte bislang Arbeitnehmern eine Geldentschädigung wegen einer durch die unterbliebene Beschäftigung versursachten Persönlichkeitsverletzung zugesprochen. Die Landesarbeitsgerichte haben dies damit begründet, dass ohne einen solchen Anspruch die Verletzung der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktionen bliebe mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Bei der Entschädigung steht damit die Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll sie der Verhinderung weiterer schwerwiegender Verletzungen des Persönlichkeitsrechts dienen. Den wenigen entschiedenen Fällen lagen dabei massive und langdauernde Pflichtverletzungen des Arbeitgebers zu Grunde, angesichts derer die zugesprochenen Entschädigungen, die im mittleren vierstelligen Bereich lagen, moderat anmuten. Selbst wenn Gerichte im eingangs beschriebenen Fall des WDR-Redakteurs eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts annehmen sollte, dürfte er mit seiner Forderung nach einer Entschädigung in Höhe von 75.000 € viel zu hoch gegriffen haben. 


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