Mögliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge können nicht im Billigkeitsverfahren auf vollständigen Erlass der kraft Gesetzes entstehenden Säumniszuschläge berücksichtigt werden, entschied das FG Hamburg.
In zwei Verfahren hatte ein Insolvenzverwalter geklagt. In der Sache 2 K 192/18 begehrte er den vollständigen Erlass der Säumniszuschläge, nachdem das Finanzamt auf seinen Antrag unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BFH die Hälfte der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirkten Säumniszuschläge erlassen hatte. Zunächst hatte er sich darauf gestützt, diese seien in voller Höhe Druckmittel und müssten aus diesem Grunde vollständig erlassen werden. Im Verlaufe des Klageverfahrens berief er sich dann auf mögliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Zuschläge, soweit sie Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit seien.
FG Hamburg widerspricht FG München
Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil vom 30.07.2020 – 2 K 192/18). Das Gericht ist damit nicht dem Weg des FG München gefolgt. Dieses hatte angenommen, dass ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge „nahe liege“. Die Anwendung von § 240 AO unterliege dann schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln, wenn die Säumniszuschläge wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit zum Teil zu erlassen seien und der verbleibende Zweck der Höhe nach mit einer Verzinsung vergleichbar sei (Beschluss vom 13.08.2018 – 14 V 736/18). Nach Auffassung des FG Hamburg können demgegenüber etwaige verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe des Zinssatzes gem. § 238 Abs. 1 AO nicht im Erlassverfahren zum Tragen kommen. Mit einer Billigkeitsmaßnahme dürfen nicht die einem gesetzlichen Tatbestand innewohnenden Wertungen des Gesetzgebers korrigiert werden.
Verfassungsrechtliche Einwände gegen Säumniszuschläge
In der Sache 2 K 11/18 hatte das Finanzamt ebenfalls die Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge erlassen und den verbleibenden Rest neben weiteren Abgabenforderungen nach § 251 Abs. 3 AO festgestellt, nachdem der Insolvenzverwalter den Anspruch auf die restlichen Säumniszuschläge bestritten hatte. Eine Billigkeitsentscheidung über die noch offenen Säumniszuschläge hat das FG nicht getroffen. Im Streitverfahren ging es folglich allein um die Frage, ob die verwirkten Säumniszuschläge zu Recht festgestellt worden waren. Da diese unstreitig richtig berechnet waren, konnten gegen die kraft Gesetzes entstehenden Säumniszuschläge nur verfassungsrechtliche Einwände zum Erfolg führen.
Kein Erfolg vor dem FG Hamburg
Das FG Hamburg hat auch diese Klage abgewiesen und verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge verneint (Urteil vom 01.10.2020 – 2 K 11/18). Die Verfassungsmäßigkeit des typisierenden AO-Zinssatzes von 6 % p. a. nach § 238 AO stehe angesichts einer anhaltenden Niedrigzinsphase seit geraumer Zeit auf dem Prüfstand (beim BVerfG anhängige Verfassungsbeschwerden für Zinszeiträume ab 2009 bzw. ab 2012 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17).
Eine Übertragung derartiger verfassungsrechtlicher Erwägungen auf Säumniszuschläge, die 12 % p. a. betragen, setze zunächst voraus, dass den Säumniszuschlägen ein definitiver und definierbarer Zinsanteil innewohne. Ihr Charakter sei umstritten, insbesondere ob sie in voller Höhe Druckmittel seien oder ob sie neben dem Druckmittelcharakter auch eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuerschulden und die Abgeltung von Verwaltungsaufwand darstellten. Das FG Hamburg ist dieser Auffassung zwar gefolgt und hat einen Zinsanteil an den Säumniszuschlägen bejaht, im Ergebnis hatte die Klage aber keinen Erfolg, weil es nicht davon überzeugt war, dass die Höhe der Säumniszuschläge verfassungswidrig ist. Ein genauer prozentualer Zinssatz, der verfassungsrechtlich verprobt werden könne, lasse sich angesichts des besonderen Charakters der Säumniszuschläge nicht ausmachen. Auch unklar sei, ob neben einem Zinsanteil ein bestimmter bezifferbarer Anteil für Verwaltungsaufwand anzusetzen ist. Die Säumniszuschläge verstießen auch nicht insgesamt mit einem Zinssatz von 12 % p. a. gegen das Übermaßverbot.
Hinweis für die Praxis
Die beiden Fälle zeigen, dass zwischen dem Billigkeitsverfahren und dem Festsetzungs-/Feststellungsverfahren unterschieden werden muss. In Insolvenzfällen wird die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ab einem bestimmten Zeitpunkt regelmäßig zu bejahen sein und werden die Säumniszuschläge zur Hälfte erlassen. Der vollständige Erlass muss dann im Wege einer Verpflichtungsklage verfolgt werden. Da die Säumniszuschläge kraft Gesetzes entstehen, bedarf es für die Geltendmachung anderer Einwendungen als Billigkeitsgründe des Erlasses eines Feststellungsbescheides nach § 251 Abs. 3 AO oder außerhalb des Insolvenzverfahrens eines Abrechnungsbescheides (§ 218 Abs. 2 AO).
(FG Hamburg, NL vom 22.12.2020 / Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro)