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03.11.2017

Interview

Revolution im Steuerbereich: Wird Künstliche Intelligenz alles verändern?

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Der Betrieb

Künstliche Intelligenz (KI) wird die Arbeit in den Steuerabteilungen revolutionieren. Zu diesem Schluss kommen das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und die internationale Steuerberatungsgesellschaft WTS in einer aktuellen Studie. Doch was bedeutet das für die Praxis? Wird KI ganze Steuerabteilungen überflüssig machen? Prof. Dr. Peter Fettke, wissenschaftlicher Leiter der Studie am DFKI und Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlandes, erklärt wie die Zukunft im Steuerbereich aussehen könnte.

DB: Herr Prof. Fettke, die Studie „Künstliche Intelligenz im Steuerbereich“ verheißt eine Revolution. Ist Künstliche Intelligenz tatsächlich ein so großer Innovationssprung?

Fettke: „Zurzeit erleben wir einen KI-Hype – oder wie es ein Kollege formuliert hat: ‚KI ist das neue Bio!‘ Andererseits darf man nicht vergessen, dass die KI-Forschung seit Jahrzenten sich stetig weiterentwickelt und in jüngster Zeit bahnbrechende technische Erfolge erzielt hat, beispielsweise im Bereich des maschinellen Lernens. KI hat Merkmale einer Basistechnologie. Es ist bekannt, dass das Leistungsvermögen digitaler Technologien exponentiell wächst und damit der Mensch langfristige Möglichkeiten erheblich unterschätzt. Man denke an die ungeheure Reismenge auf einem Schachbrett, bei dem auf dem ersten Feld des Brettes nur ein Korn, auf jedem weiteren Feld die doppelte Kornmenge des vorherigen Feldes liegt.“

DB: Und weshalb sollte gerade der Steuerbreich so geeignet sein für den KI-Einsatz?

Fettke: „Der Steuerbereich als Anwendungsfeld ist klar abgegrenzt, stark geprägt durch ein fachspezifisches Vokabular, beruht in vielen Teilbereichen auf großen Datenmengen und viele Steueraufgaben sind hoch-repetitiv. Dies alles sind beste Voraussetzungen für eine Automatisierung, bei der KI-Technologien eine zentrale Rolle einnehmen werden.

Ein Blick auf andere Bereiche zeigt, welche Revolutionen digitale Technologien bereits ausgelöst haben! Man denke beispielsweise an den Wechsel von analoger zur digitalen Fotografie oder den Online-Handel über das Internet. Diese Veränderungen haben die jeweiligen Strukturen und Machtverhältnisse auf den relevanten Märkten revolutionär verändert, auch wenn man im Einzelfall natürlich darüber streiten kann, ob die Entwicklung wirklich schon ‚revolutionär‘ oder doch nur ‚evolutionär‘ war. Ich sehe keine Gründe, warum Steuerabteilungen und Steuerberatungen sich nicht ebenso erheblich in den kommenden Jahren verändern werden – oder, schärfer formuliert – verändern müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“

DB: Was sind konkrete Einsatzmöglichkeiten von KI-Technologien im Steuerbereich?

Fettke: „Unsere gemeinsame Studie mit der WTS hat ergeben, dass sich Anwendungsmöglichkeiten durch sämtliche Steuerbereiche angefangen bei der Lohn- und Umsatzsteuer über den Zoll bis hin zu Verrechnungspreisen ziehen. Gleichzeitig liegt ein Einsatzschwerpunkt zurzeit in der Steuerdeklaration und weniger in der Steuergestaltung und Steuerdurchsetzung, obwohl auch dort Anwendungen zukünftig denkbar werden. Aus technischer Perspektive sind Einsatzmöglichkeiten grob in daten- und sprachbasierte Anwendungen zu unterscheiden. Steuerrelevante Massendaten, wie sie im Rahmen der Umsatzsteuer und im Zoll anfallen, können mit KI-Techniken analysiert werden, um steuerlich relevante Compliance-Verstöße oder ungewöhnliche Buchungen der Umsatzsteuer im Kontenplan der Unternehmung aufzudecken. Das besondere an diesen Verfahren ist dabei unter anderem auch, dass entsprechende Regeln für Auffälligkeiten nicht vorab bekannt sein müssen, sondern erst durch die KI-Technik aufgedeckt werden können.

Beispiele für sprachbasierte Anwendungen sind die aus dem privaten Umfeld bekannten Chatbots, die hinsichtlich relevanter Steuerfragen trainiert werden können. Derartige sprachbasierte Systeme sind für einfache Routineanfragen heute schon realisierbar.

Ob derartige Anwendungen auch zur Unternehmenskultur passen oder – allgemeiner formuliert – gesellschaftlich akzeptiert werden, ist eine andere Frage. Andererseits ist es denkbar, dass in naher Zukunft die unterlassene Anwendung von KI-Verfahren für bestimmte Aufgaben als fährlässig zu werten ist – ähnlich wie beispielsweise manche Universitäten den Einsatz einer Plagiatssoftware zur Überprüfung von Studienarbeiten vor Abgabe zwingend vorschreiben. Hier kann ich mir vorstellen, dass Transaktionsdaten zwingend maschinell zu analysieren sind, um bestimmte Compliance-Verstöße auszuschließen oder auffällige Buchungsmuster verpflichtend näher zu erläutern.“

DB: Für die Studie wurden Prototypen für verschiedene Einsatzfelder gebaut. Was können diese Prototypen?

Fettke: „Gemeinsam mit der WTS haben wir fünf Prototypen entwickelt, die Potenziale von unterschiedlichen KI-Technologien im Steuerbereich aufzeigen, erproben und – für unsere Forschung generell besonders wichtig – für Außenstehende erfahrbar machen. Auf diese Weise wird es möglich, mit potenziellen Anwendern, also Steuerberatern und Mandanten, in den Diskurs einzutreten, um zusätzliche Innovationspotentiale von KI im Steuerbereich zu erkunden. Drei Prototypen verdeutlichen Sprachanwendungen. Konkret ist ein Prototyp in der Lage, deutschsprachige Texte, durchsetzt mit steuerfachlichen Vokabeln, korrekt ins Englische zu übersetzen. Ein zweiter Prototyp erlaubt den natürlich-sprachlichen Dialog mit einem Chatbot zur Beantwortung spezifischer Steuerfragen auf Basis gesprochener oder geschriebener Sprache. Der Demonstrator ARGUMENTUM unterstützt die Identifikation und Analyse von Argumenten und Argumentationsstrukturen in Gerichtsurteilen.

Zur Demonstration von KI-Technologien im Bereich Massendaten haben wir einen Demonstrator entwickelt, der Anomalien in transaktionalen Systemen im Zoll aufzeigt. Ein weiterer Prototyp erlaubt die Zuordnung und Vorhersage von Anfragen an eine Steuerabteilung.“

DB: Das klingt schon sehr beeindruckend. Werden KI-Systeme in der Zukunft womöglich sämtliche Aufgaben für Steuerabteilungen übernehmen? Und: wird die gesamte Steuerberatung irgendwann obsolet?

Fettke: „Auch wenn es klare Indikatoren für erhebliche Innovationspotenziale von KI-Technologien im Steuerbereich gibt, ist das gesamte Tätigkeitsspektrum eines Steuerberaters komplex. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass repetitive Tätigkeiten, die nur eine geringe soziale Intelligenz, Kreativität und Umgebungsinteraktion erfordern, mithilfe von KI automatisiert werden. Dadurch sind deutliche Kostensenkungen und Qualitätssprünge möglich. Das Tätigkeitsfeld des Steuerberaters wird sich also wandeln, insbesondere findet eine Konzentration und Ausweitung auf hochwertige Tätigkeiten statt. Gleichzeitig wird es zu erheblichen Standardisierungen und damit verbundenen Auslagerungen von einzelnen Tätigkeiten oder gar ganzen Prozessketten kommen, wie es beispielsweise im Bereich von IT-Dienstleistungen schon heute üblich ist.“

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

 


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