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04.11.2019

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Reform des Deutschen Corporate Governance Kodex – Aufsichtsrat im Wandel

Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex hat am 09.05.2019 eine Novelle des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) beschlossen. 17 Jahre nach seiner Einführung steht die bislang größte und umfangreichste Reform des Kodex bevor. Ein moderneres und klareres Regelwerk mit hoher praktischer Relevanz soll entstehen. In einem vorgeschalteten Konsultationsverfahren gingen umfangreiche Stellungnahmen zu einem Erstentwurf vom 25.10.2018 ein; Anregungen und Kritik aus dieser Konsultation fanden in der finalen Kodex-Novelle häufig Berücksichtigung. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Fassung steht noch nicht fest, da hiermit bis nach dem Inkrafttreten des ARUG II gewartet werden soll. Bis dahin gilt weiter die Kodex-Fassung vom 07.02.2017.

Reform des Deutschen Corporate Governance Kodex – Aufsichtsrat im Wandel

RA Dr. Moritz Maier
Hogan Lovells, München

RA Dr. Thomas Richter
Hogan Lovells, München

Die Reform des DCGK bringt Neuerungen für Systematik und Format sowie ein beträchtliches Maß an inhaltlichen Änderungen. Der Aufsichtsrat steht insbesondere mit den Themen Anzahl der Aufsichtsratsmandate (sog. Overboarding) und Anforderungen an die Unabhängigkeit der Mitglieder im Fokus der Novelle.

Overboarding: Entflechtung statt „Deutschland AG“

Die neuen Vorschriften zur zulässigen

Anzahl an Aufsichtsratsmandaten

stellen eine erhebliche Verschärfung dar. Die Kodex-Fassung von 2017 (Ziffern 5.4.1 Abs. 5 und 5.4.5 Abs. 1) stellte hier noch lediglich den allgemeinen Grundsatz auf, dass ein Aufsichtsratsmitglied „ausreichend Zeit“ für seine Aufsichtsratstätigkeit haben müsse. Nur wer dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehörte, sollte insgesamt nicht mehr als drei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder in vergleichbaren Aufsichtsgremien konzernexterner Gesellschaften wahrnehmen. Für Aufsichtsratsmitglieder, die keinem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehörten, galt lediglich die seit jeher im Aktienrecht verankerte Begrenzung auf zehn Mandate in gesetzlich zu bildenden Aufsichtsräten (§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG). Der novellierte Kodex empfiehlt nunmehr, dass Aufsichtsratsmitglieder maximal fünf Mandate bei konzernexternen börsennotierten Gesellschaften wahrnehmen sollen, wobei ein Aufsichtsratsvorsitz doppelt zählt (Empfehlung C.4). Für amtierende Vorstandsmitglieder börsennotierter Unternehmen gelten noch engere Grenzen: Wer dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehört, soll insgesamt nicht mehr als zwei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder vergleichbare Funktionen und keinen Aufsichtsratsvorsitz in einer konzernexternen börsennotierten Gesellschaft wahrnehmen (Empfehlung C.5). Der Erstentwurf der Regierungskommission vom 25.10.2018 sah an dieser Stelle sogar vor, dass „dem geschäftsführenden Organ einer Unternehmung“ nicht mehr als zwei Aufsichtsratsmandate zugestanden werden sollten. Diese ausufernde Formulierung wurde in der finalen Fassung des Kodex wieder kassiert und die begrüßenswerte Präzisierung auf den „Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft“ vorgenommen. Zugleich erweitert die finale Fassung aber die Empfehlung C.5 im Vergleich zum Erstentwurf dahingehend, dass der Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft keinen Aufsichtsratsvorsitz innehaben soll. Zusammengefasst führt der reformierte DCGK also zu einer konkreten Begrenzung der Höchstzahl der Aufsichtsratsmandate auf fünf Mandate (doppelte Wertung eines Aufsichtsratsvorsitzmandats), anstatt sich auf das weiche und subjektiv zu bewertende Kriterium „genügend Zeit“ zu beschränken. Vorstandsmitglieder börsennotierter Gesellschaften sollen zukünftig auf zwei anstelle der bisherigen drei Aufsichtsratsmandate beschränkt sein sowie keinen Aufsichtsratsvorsitz übernehmen.

Unabhängigkeit: Indizienkatalog mit Hintertür

Der zweite Schwerpunkt der aufsichtsratsbezogenen Neuerungen im DCGK beinhaltet die Konkretisierung der Anforderungen an die Unabhängigkeit der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat. Auch in der Neufassung wird zwischen der

Unabhängigkeit von Vorstand und Gesellschaft

auf der einen und der

Unabhängigkeit von einem kontrollierenden Aktionär

auf der anderen Seite differenziert. Damit ein Aufsichtsratsmitglied insgesamt das Kriterium der Unabhängigkeit erfüllt, muss es beiden Aspekten Rechnung tragen (Empfehlung C.6 Abs. 2). Ein Aufsichtsratsmitglied ist als unabhängig von Gesellschaft und Vorstand anzusehen, wenn es in keiner persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann (Empfehlung C.7 Abs. 1 Satz 2). Diese Formel hatte in ähnlicher Weise bereits der Kodex von 2017 aufgestellt (Ziffer 5.4.2 Satz 2). Nunmehr gibt die Neufassung des Kodex dem Leser konkrete Kriterien für die Beurteilung der Unabhängigkeit an die Hand. Ein Katalog von Indikatoren soll in Zukunft zur Hilfestellung bei der Einschätzung dienen (Empfehlung C.7 Abs. 2). Fehlende Unabhängigkeit von Gesellschaft und Vorstand liegt demnach nahe, wenn das Aufsichtsratsmitglied oder ein naher Familienangehöriger des Aufsichtsratsmitglieds:

  • in den zwei Jahren vor der Ernennung Mitglied des Vorstands der Gesellschaft war,
  • aktuell oder in dem Jahr bis zu seiner Ernennung direkt oder als Gesellschafter oder in verantwortlicher Funktion eines konzernfremden Unternehmens eine wesentliche geschäftliche Beziehung mit der Gesellschaft oder einem von dieser abhängigen Unternehmen unterhält oder unterhalten hat (z.B. als Kunde, Lieferant, Kreditgeber oder Berater),
  • ein naher Familienangehöriger eines Vorstandsmitglieds ist oder
  • dem Aufsichtsrat seit mehr als zwölf Jahren angehört.

Die Regierungskommission verweist zur näheren Bestimmung des Begriffs „naher Familienangehöriger“ in ihren Erläuterungen zur DCGK-Novelle auf die Definition in IAS 24.9. Nahe Familienangehörige sind demnach Familienmitglieder, von denen angenommen werden kann, dass sie bei ihren Transaktionen mit dem Unternehmen auf die Person Einfluss nehmen oder von ihr beeinflusst werden können. Dazu gehören:

  • Kinder und Ehegatte oder Lebenspartner dieser Person,
  • Kinder des Ehegatten oder Lebenspartners dieser Person,
  • abhängige Angehörige dieser Person oder des Ehegatten oder Lebenspartners dieser Person.

Bereits bei Erfüllung eines der vorstehend genannten Indikatoren liegt ein Fehlen der Unabhängigkeit nahe. Die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat können das Aufsichtsratsmitglied im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nach pflichtgemäßem Ermessen dennoch als unabhängig einstufen; diese Entscheidung ist dann in der Erklärung zur Unternehmensführung zu begründen (Empfehlung C.8). Neu ist auch die Einführung einer

Mindestquote unabhängiger Anteilseignervertreter

(Empfehlung C.7). Bisher sprach der Kodex nur von einer „angemessenen Anzahl“ unabhängiger Mitglieder (Ziffer 5.4.2 Satz 1), wohingegen nach der Reform des DCGK

mehr als die Hälfte

der Anteilseignervertreter von Gesellschaft und Vorstand unabhängig sein soll, darunter der Aufsichtsratsvorsitzende, der Vorsitzende des Prüfungsausschusses sowie der Vorsitzende des Vergütungsausschusses. Auch hinsichtlich der

Unabhängigkeit von einem kontrollierenden Aktionär

legt die Kodex-Novelle Indikatoren fest und stellt eine Mindestquote auf (Empfehlung C.9). Empfohlen wird, dass in einem Aufsichtsrat mit mehr als sechs Mitgliedern mindestens zwei Anteilseignervertreter unabhängig vom kontrollierenden Aktionär sein sollen, in kleineren Aufsichtsräten mindestens ein Anteilseignervertreter, darunter in jedem Fall der Vorsitzende des Prüfungsausschusses (Empfehlung C.10 Satz 2). Aufsichtsratsmitglieder gelten nach Empfehlung C.9 Abs. 2 als abhängig von einem kontrollierenden Aktionär, wenn sie selbst oder ein naher Familienangehöriger:

  • kontrollierender Aktionär sind,
  • dem geschäftsführenden Organ des kontrollierenden Aktionärs angehören oder
  • in einer persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zum kontrollierenden Aktionär stehen, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann.

Handlungsbedarf in börsennotierten Gesellschaften

Die Umsetzung der neuen Vorgaben zu Overboarding und Unabhängigkeit hat das Potenzial, Aufsichtsräten (bzw. ihren Nominierungsausschüssen) Kopfzerbrechen zu bereiten. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Russell Reynolds (Stand: 27.05.2019) müssten allein 38 Aufsichtsräte aus DAX-Gesellschaften Sitze abgeben, um die empfohlene Mandatshöchstzahl nicht zu überschreiten. Auch die Prüfung der Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern wird nach der neuen Kodexfassung deutlich komplexer. Die neu eingeführte Indikatorenlösung führt nach der vorgenannten Studie dazu, dass 22 DAX-Aufsichtsräte, darunter sieben Aufsichtsratsvorsitzende, als abhängig gelten. Wollen die Anteilseignervertreter die betreffenden Aufsichtsratsmitglieder hiervon abweichend als unabhängig einstufen, bedarf dies einer Begründung in der Erklärung zur Unternehmensführung. Die Möglichkeit einer solchen Ermessensentscheidung durch den Aufsichtsrat ist für den Fall des Overboarding nicht vorgesehen. Hier verbleiben nur die Alternativen, die Anzahl der Mandate des betreffenden Anteilseignervertreters zu reduzieren oder insoweit eine Abweichung von Empfehlung C.4 zu erklären. Ein Inkrafttreten der Kodexnovelle ist noch im Herbst 2019, also noch vor der nächsten Hauptversammlungssaison zu erwarten. Börsennotierte Gesellschaften sollten daher frühzeitig die Mandatssituation ihrer Aufsichtsratsmitglieder evaluieren, um Handlungsbedarf zu erkennen. Gerade im Hinblick auf die Höchstzahl von Aufsichtsratsmandaten ist zu erwarten, dass zahlreiche Unternehmen in den ersten Jahren nach Inkrafttreten der Kodexnovelle auf eine Abweichungserklärung zurückgreifen werden, um die organisatorischen und politischen Unwägbarkeiten kurzfristiger personeller Veränderungen zu vermeiden. Hierbei können sie immerhin auf eine Aussage verweisen, die im Rahmen der Reform unangetastet geblieben ist: „Eine gut begründete Abweichung von einer Kodexempfehlung kann im Interesse einer guten Unternehmensführung liegen“ (Präambel, Abs. 4 Satz 3).


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