DB: Frau Oehlsen, können Sie uns bitte kurz erklären, was PPAs sind und wie sie Unternehmen dabei helfen, ihren grünen Energiebedarf zu decken?
Oehlsen: PPAs sind ein entscheidendes Instrument, die Energiewende weiter voranzutreiben, da diese ausschließlich auf erneuerbare Energien – beispielsweise Wind oder Solar – ausgerichtet sind. Es wird ein Vertrag zwischen einem Abnehmer und einem Erzeuger von erneuerbaren Energien geschlossen. Dabei kommt insbesondere den langfristigen PPAs, bei denen der Strom zum Festpreis bezahlt wird, immer mehr Bedeutung zu. Gleichzeitig können die Unternehmen ihre CO2-Emissionen (Scope 2- Emissionen) reduzieren. Dabei können PPAs in Abhängigkeit des vorherrschenden Strommarktes unterschiedliche Vertragsstrukturen aufweisen.
DB: Welche verschiedenen Vertragsstrukturen sind das?
Oehlsen: Die PPAs unterscheiden sich insbesondere je nach den lokalen Verhältnissen des Strommarktes. So unterscheidet man zwischen sog. Gross und Net Pool Markets. In einem Gross Pool Market werden alle Stromeinkäufe und -verkäufe innerhalb des Marktes über einen Marktbetreiber auf Bruttobasis abgerechnet, d.h. ohne dass der Marktbetreiber die Lieferung oder den Weiterverkauf von Strom physisch übernimmt. Die erzeugte Energie wird vom Betreiber in das lokale Stromnetz eingespeist und i.d.R. werden nur die Herkunftsnachweise für die erzeugte grüne Energie dem Abnehmer physisch geliefert. Hierbei handelt sich also um einen virtuellen PPA, der auch als „Contract for Difference“ bezeichnet wird und bei dem ein Nettoausgleich zwischen dem vereinbarten Festpreis und Marktpreis auf die jeweils produzierte Energiemenge erfolgt.
Im Gegensatz dazu werden in einem Net Pool Market bilaterale Verträge zwischen dem Anlagenbetreiber und Abnehmer direkt geschlossen und der erzeugte Strom wird physisch an den Abnehmer geliefert. Dieser zahlt im Gegenzug den vereinbarten Festpreis.
DB: Das klingt sehr komplex …
Oehlsen: Das ist es! Grundsätzlich sind PPAs auch keine Standardlösung. Sie werden je Vertragspartner, strategischer Zielsetzung oder lokalen Verhältnissen individuell ausgehandelt.
Für den Abschluss von PPA-Verträgen sind daher umfassende Kenntnisse der Branche und deren Risiken erforderlich. Die strategische Zielsetzung des Unternehmens (z.B. die Gewährung einer langfristigen Planungssicherheit) muss zu der Vertragsausgestaltung passen. Deshalb vergehen meist mehrere Monate zwischen Planung und Vertragsunterzeichnung.
Neben den operativen und strategischen Herausforderungen stellen sich weitere komplexe Fragestellungen auf Ebene der Bilanzierung von PPA-Verträgen.
Es ist daher essenziell, sich im Vorfeld mit diesen Fragestellungen auseinanderzusetzen, um unerwartete Bilanzierungseffekte nach Vertragsunterzeichnung zu vermeiden.
DB: Wo liegen die Schwierigkeiten bei der Bilanzierung?
Oehlsen: Die Schwierigkeiten liegen im ersten Schritt insbesondere in der Klassifizierung dieser Verträge. In Abhängigkeit der Umstände beim Unternehmen und der vertraglichen Ausgestaltung kann es sich um ein Leasingverhältnis handeln, ein Derivat oder ein schwebendes Geschäft. Ebenfalls ist es möglich, dass es sich um einen hybriden Vertrag mit einem eingebetteten trennungspflichtigen Derivat handelt. Da die Verträge individuell ausgehandelt werden, sind hier keine allgemeingültigen Bilanzierungsaussagen möglich.
DB: Und welche Fallstricke gibt es bei der finanziellen Berichterstattung?
Oehlsen: Hier stellen sich zahlreiche komplexe Accounting-Fragen im Zusammenhang mit der Bilanzierung von PPAs. Nehmen wir an, dass keine Konsolidierung des Wind- oder Solarparks im Sinne des IFRS 10 erfolgt und auch die Definition eines Leasingverhältnisses gem. IFRS 16 nicht erfüllt sei, so werden physische Energielieferverträge wie Warentermingeschäfte i.S.d. IFRS 9 behandelt, sofern die beschaffte Bezugsmenge nicht vollständig für den Eigenbedarf verbraucht werden kann. Bei virtuellen PPA-Verträgen ist die Definition eines Derivats aufgrund des vereinbarten Nettoausgleichs ebenfalls erfüllt oder sie weisen ein eingebettetes trennungspflichtiges Derivat auf, sofern der Bezug von Herkunftsnachweisen als Basisvertrag klassifiziert werden kann.
In den genannten Fällen ist die Definition eines Derivats grundsätzlich erfüllt, denn der Abschluss des PPA-Vertrages erfordert i.d.R. keine oder nur eine geringe Anfangsauszahlung, die Lieferung der vereinbarten Energiemenge liegt in der Zukunft und der Fair Value des PPA-Vertrages schwankt in Abhängigkeit von einem Marktindex (Spotpreis an der jeweiligen Strombörse).
Kann das Unternehmen nicht nachweisen, dass die beschaffte Energiemenge ausschließlich für den Eigenbedarf genutzt wird, so ist der PPA-Vertrag als Derivat zu bilanzieren. Insbesondere bei Pay-as-produced-Profilen kann es in der Praxis mitunter schwierig sein, die gelieferte Energie ausschließlich selbst zu nutzen, da Energie nicht oder nur begrenzt lagerfähig ist und überschüssige Produktionsmengen, die nicht verbraucht werden können, zwangsläufig am Markt veräußert werden müssen.
Die Bilanzierung als Derivat hat zur Folge, dass alle Wertschwankungen, die aus Fair-Value-Änderungen des PPA-Vertrages resultieren, erfolgswirksam in der Gewinn- und Verlustrechnung zu erfassen sind.
Hier liegt aktuell ein Spannungsverhältnis zwischen der ökonomischen Absicht der Beschaffung von grüner Energie und der IFRS-Bilanzierung vor. Für die genannten Pay-as-produced-Profile ist die Anwendung der own use exemption in den meisten Fällen nicht zulässig.
DB: Welche Lösungen bietet das „Hedge Accounting“ bei der Bilanzierung von virtuellen PPA-Verträgen?
Oehlsen: Hedge Accounting kann bei virtuellen PPA-Verträgen eine Lösung darstellen. Schafft man es, den PPA-Vertrag in einer Sicherungsbeziehung zu designieren, so werden alle effektiven Wertschwankungen aus der Fair-Value-Änderung des PPA-Vertrages bzw. des Derivats im Eigenkapital (Other Comprehensive Income) erfasst. Die Hürden zur Erfüllung der Anforderungen an das Hedge Accounting sind allerdings sehr hoch und daher in der Praxis bisher nicht weit verbreitet.
DB: Welche Vor- und Nachteile hat das Hedge Accounting in Bezug auf virtuelle PPAs und wie hoch ist der damit verbundene Aufwand?
Oehlsen: Ein großer Vorteil ist die Reduzierung der Ergebnisvolatilität, da die effektiven Fair-Value-Änderungen des PPA-Vertrages ergebnisneutral im OCI zu erfassen sind. Bei der Designation sind diverse Anforderungen zu erfüllen.
Beispielsweise ist fachlich zu würdigen, inwieweit der PPA-Vertrag als Sicherungsinstrument geeignet ist und inwieweit das zu sichernde Grundgeschäft (der eigentliche Energiebedarf) verlässlich bewertbar ist. Es müssen u.a. verlässliche Prognosen des Energiebedarfs über die gesamte Vertragslaufzeit des PPAs erstellt werden und aufseiten des Sicherungsinstruments sind umfangreiche Analysen zur erwarteten Produktionsmenge erforderlich, da diese insbesondere bei Pay-as-produced-Profilen regelmäßigen Schwankungen ausgesetzt sind. Dadurch sind Ineffektivitäten zu erwarten, die beim Nachweis der ökonomischen Sicherungsbeziehung betrachtet werden müssen. In der Folge ist eine fortlaufende Überwachung der Effektivität erforderlich. Hier können verschiedene weitere Faktoren der Effektivität im Wege stehen wie z.B. das Kreditrisiko, Day-One-Effekte oder Inflationsklauseln. Auch bei erfolgreicher Designation sind hohe Ineffektivitäten zu erwarten.
Selbst wenn prospektiv zunächst eine effektive Sicherungsbeziehung nachgewiesen werden kann, besteht insbesondere bei Pay-as-produced-Profilen das Risiko, dass die tatsächliche Energieproduktion von der geplanten Prognose zu stark abweicht, nicht mehr zum Grundgeschäft passt, Ineffektivitäten überwiegen und der ökonomische Sicherungszusammenhang nicht mehr nachgewiesen werden kann.
DB: Was ist darüber hinaus bei der Bilanzierung von Herkunftsnachweisen noch zu beachten?
Oehlsen: Die Herkunftsnachweise werden bei physischen wie auch bei virtuellen PPAs in Abhängigkeit der produzierten Strommenge je MWh generiert. Sie bescheinigen dem Käufer, dass er eine MWh Strom aus einer Anlage für erneuerbare Energien bezogen hat. In Europa werden die Herkunftsnachweise als Guarantees of Origin (GoO) bezeichnet, in den USA als Renewable Energy Certifikate (REC).
Bei physischen wie auch bei virtuellen PPAs kann der Vertrag i.d.R. in einen Strombezugsvertrag und einen Liefervertrag für die RECs/ GoOs unterteilt werden. Es handelt sich also um einen kombinierten, hybriden Vertrag, der auch als solcher analysiert werden muss. Selbst wenn der Strombezug (ob physisch oder virtuell) nicht die Anforderungen an die own use exemption erfüllt, so kann der Bezug der RECs/ GoOs ggfs. für own use qualifizieren.
DB: Was ist aus Ihrer Sicht aktuell die größte Herausforderung bei der Bilanzierung von PPAs?
Oehlsen: Die größte Herausforderung ist aus meiner Sicht aktuell, die Anwendbarkeit der own-use-exemption für Pay-as-produced-Verträge. Strom ist nicht oder nur sehr begrenzt lagerbar, insofern können überschüssige Energiemengen aus physischen PPA-Bezugsverträgen nicht zwischengelagert und zu einem späteren Zeitpunkt verbraucht werden. In der Regel müssen diese Mengen am Markt veräußert werden. Das hat jedoch zur Folge, dass die Verträge als Derivate zu bilanzieren sind und damit eine hohe Ergebnisvolatilität mit sich bringen.
Die Bilanzierung von Energielieferverträgen ist inzwischen auch beim IASB angekommen. Laut Workplan wurde bereits eine umfangreiche Research-Phase eingeleitet und 2024 wird man sich entscheiden, wie man weiter vorgehen möchte. Denkbar wäre ein Amendment zum IFRS 9, das sowohl für physische als auch virtuelle PPA-Verträge Anwendung finden soll. Eine kurzfristige Lösung ist jedoch nicht in Sicht und insofern müssen wir mit dem aktuellen Wortlaut des IFRS 9 weiter verfahren.
DB: Vielen Dank für das Interview!