• Home
  • /
  • Meldungen
  • /
  • Polnische Wegzugsteuer vor dem EuGH – mögliche Auswirkungen auf die deutsche Wegzugbesteuerung

26.09.2025

Steuerboard

Polnische Wegzugsteuer vor dem EuGH – mögliche Auswirkungen auf die deutsche Wegzugbesteuerung

Ein polnisches Bezirksverwaltungsgericht hat dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens Fragen zur Vereinbarung der polnischen Wegzugsteuerregelung mit dem EU-Recht vorgelegt. In der Vorlagefrage geht es darum, ob eine wegzugsteuerliche Regelung Erleichterungen für Wegzüge in das innereuropäische Ausland gegenüber dem Wegzug in das außereuropäische Ausland vorsehen muss. Der folgende Beitrag ordnet die Vorlagefragen ein und gibt einen Überblick, wann eine Entscheidung des EuGH auch für die deutsche Wegzugbesteuerung relevant sein wird.

Nachhaltigkeitsbericht: Die Herausforderung erfolgreich meistern

StB/WP Marc Krischer, LL.M.
ist Partner bei Oppenhoff in Köln.

RA Dr. Jan Keesen, M.A.
ist Associate bei Oppenhoff in Köln.

Die polnische Wegzugsteuer

In Polen existiert eine dem deutschen § 6 AStG vergleichbare Wegzugsteuer. Die polnische Wegzugsteuer gilt seit dem 01.01.2019, mit ihr hat Polen die EU-ATAD-Richtlinie umgesetzt. Anwendbar ist sie auf natürliche sowie juristische Personen. Das polnische Wegzugsteuerrecht kennt zwei Anwendungsfälle:

  • Ein Steuerpflichtiger überträgt Wirtschaftsgüter aus dem Hoheitsgebiet Polens. Polen verliert dadurch das Besteuerungsrecht an den Einkünften aus der Veräußerung des Wirtschaftsguts ganz oder teilweise. Das übertragene Wirtschaftsgut verbleibt im Eigentum desselben Rechtsträgers.
  • Ein in Polen unbeschränkt Steuerpflichtiger verändert seine steuerliche Ansässigkeit. Dadurch, dass keine unbeschränkte Steuerpflicht mehr in Polen besteht, verliert Polen das Besteuerungsrecht an den Einkünften aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern, die im Eigentum des Steuerpflichtigen stehen.

Besteuert wird in diesen Fällen der hypothetische Veräußerungsgewinn, d.h. die in den Wirtschaftsgütern vorhandenen stillen Reserven.

Bei Einkommensteuerpflichtigen beträgt die Steuer auf den hypothetischen Veräußerungsgewinn regelmäßig 19 % (in Ausnahmefällen 3 %). Beträgt der gemeine Wert der dem polnischen Besteuerungsrecht entzogenen Wirtschaftsgüter bei Einkommensteuerpflichtigen weniger als 4 Mio. PLN (ca. 940.000 EUR), wird die Steuer nicht erhoben.

Besondere Befreiungs- oder Stundungsregelungen für einen Wegzug in das innereuropäische Ausland sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr wird die Steuer grds. bereits im Monat nach dem Wegzug (bzw. dem Überschreiten des Schwellenwerts) fällig.

Vorlage des Bezirksverwaltungsgerichts Warschau

Zu der oben beschriebenen polnischen Wegzugbesteuerung hat das Bezirksverwaltungsgericht Warschau dem EuGH Fragen zu dem folgenden Sachverhalt vorgelegt:

Der Steuerpflichtige, ein italienisch/U.S.-amerikanischer Staatsbürger, ist in Polen seit dem 01.01.2023 steuerlich ansässig und ist bei einem polnischen Unternehmen angestellt. Er beabsichtigt, bis mindestens zum 01.01.2028 in Polen ansässig zu bleiben, danach möchte er seinen Wohnsitz – und damit seine steuerliche Ansässigkeit – nach Deutschland verlegen. Vor dem Zuzug nach Polen hatte er Wirtschaftsgüter erworben, die nicht mit seiner Anstellung in Polen in Verbindung stehen, u.a. ein Aktienportfolio und Immobilien im Ausland. Bei diesen Wirtschaftsgütern konnte er bereits vor dem Zuzug in Polen erhebliche Wertzuwächse verzeichnen. Er beantragte bei der zuständigen polnischen Steuerbehörde ein tax ruling, mit dem er Art und Umfang der Wegzugsteuer bei einem potenziellen Wegzug geklärt wissen wollte. Das tax ruling wurde z.T. abschlägig beschieden. Dagegen setzte sich der Steuerpflichtige gerichtlich zur Wehr und bemängelte u.a., dass auch Wertzuwächse besteuert würden, die vor seiner steuerlichen Ansässigkeit in Polen entstanden seien und dass die Zahlung nicht bis zur tatsächlichen Veräußerung der Wirtschaftsgüter gestundet werden könne.

Prüfprogramm des EuGH

Das Bezirksverwaltungsgericht Warschau fragt den EuGH nun, ob die Art. 21 und 45 AEUV eine mitgliedsstaatliche Regelung zulassen, die

  • bei der Bemessung der Wegzugsteuer bei natürlichen Personen auch solche Wertsteigerungen der besteuerten Wirtschaftsgüter berücksichtigt, die bereits eingetreten sind, als die Person (noch) nicht in diesem Mitgliedstaat ansässig war;
  • die Bemessungsgrundlage so ermitteln, dass nur Einkünfte aus Wirtschaftsgütern, deren Wert gestiegen ist, berücksichtigt werden, während Verluste aus Wirtschaftsgütern, deren Wert gesunken ist, unberücksichtigt bleiben;
  • vorsieht, dass ein Wegzug zur sofortigen Erhebung dieser Steuer oder alternativ zu deren Zahlung in Raten über einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren führt, anstatt die Zahlung bis zur Veräußerung des jeweiligen Wirtschaftsguts aufzuschieben.

Der EuGH wird diese Fragen vor dem Hintergrund überprüfen, ob die polnischen Regelungen mit dem Recht auf Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV und dem Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV vereinbar sind.

Zunächst wird sich der EuGH mit der Frage auseinandersetzen, ob die Wegzugsteuer auch solche Wertsteigerungen berücksichtigen darf, die bereits eingetreten sind, bevor der Steuerpflichtige zugezogen ist. Hierbei wird es also um die Frage gehen, ob es europarechtlich geboten ist, dass es bei einem innereuropäischen Zuzug zwingend zu einem step-up der Anschaffungskosten auf den gemeinen Wert der Wirtschaftsgüter zum Zeitpunkt des Zuzugs kommen muss. Grundsätzlich sind die Mitgliedsstaaten zwar befugt, die Kriterien für die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwar (auch) einseitig festzulegen (EuGH vom 19.11.2009 – C-540/07, Rn. 29). Dies könnte allerdings dann nicht gelten, wenn durch mangelnde innereuropäische Harmonisierung der Ertragsteuern qualifizierte Arbeitnehmer effektiv davon abgehalten werden, eine Tätigkeit in Polen aufzunehmen.

Die zu überprüfende polnische Regelung sieht außerdem vor, dass bei der Besteuerung mehrerer Wirtschaftsgüter Wertzuwächse in einem Wirtschaftsgut besteuert werden, während Verluste bei einem anderen Wirtschaftsgut nicht zu berücksichtigen sind. Dies ist anders als bei der Veräußerung mehrerer Wirtschaftsgüter bei einem rein innerpolnischen Sachverhalt, bei dem die Verrechnung von Verlusten bei einem Wirtschaftsgut mit Gewinnen eines anderen Wirtschaftsguts möglich ist. Hier wird der EuGH feststellen müssen, ob insoweit eine europarechtliche Diskriminierung vorliegt.

Schließlich muss der EuGH zur Frage Stellung nehmen, ob es europarechtlich geboten ist, die Wegzugbesteuerung bis zur tatsächlichen Veräußerung der Wirtschaftsgüter aufzuschieben. Bereits in seiner Wächtler-Entscheidung hatte der EuGH festgestellt, dass eine Stundung der geschuldeten Steuer bis zur Veräußerung der Wirtschaftsgüter – und damit der tatsächlichen Realisierung der Steuern grundsätzlich erforderlich ist (EuGH vom 26.2.2019 – C-581/17, Rn. 68). Hier wird der EuGH sich zu dieser Fragestellung jedoch bei einem Sachverhalt innerhalb der EU und zu einem Rechtsstand unter Geltung der EU-ATAD-Richtlinie äußern.

Relevanz für die deutsche Wegzugbesteuerung

Auch wenn es in dem Vorabentscheidungsverfahren nicht unmittelbar um die deutsche Wegzugsteuer nach § 6 AStG geht, wird die Entscheidung des EuGH aller Voraussicht nach für die deutschen Regelungen von großer Relevanz sein:

Dies betrifft zunächst die Frage, ob bereits vor dem Zuzug realisierte Wertsteigerungen bei einem Wegzug aus Deutschland nach § 6 AStG zu versteuern sind. In Deutschland ist in § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG (auch mit Wirkung für § 6 AStG) vorgesehen, dass mit Zuzug nach Deutschland ein solcher step-up erfolgt. Voraussetzung für die Anwendung von § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG ist aber, dass die Anteile im Zeitpunkt des Wegzugs aus dem ausländischen Staat nach Deutschland einer § 6 AStG vergleichbaren Besteuerung unterlegen haben. Das bedeutet nach der BFH-Rechtsprechung, dass eine entsprechende Steuer tatsächlich auch festgesetzt worden sein muss (BFH vom 26.10.2021 – IX R 13/20). Zwar ist diese Regelung weniger einschneidend als die polnische Regelung, die nach unserem Verständnis keinerlei step-up vorsieht. Folgt man jedoch der Argumentation des Vorlagebeschlusses des polnischen Gerichts, könnte auch die deutsche Regelung nicht im Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben stehen. Nach der Argumentation des polnischen Gerichts könne nämlich schon dann ein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit vorliegen, wenn eine Regelung qualifizierte Arbeitnehmer mit Auslandserfahrung davon abhält, eine Beschäftigung in Polen aufzunehmen. In der Tat liegt nach der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zu Art. 45 AEUV eine Ungleichbehandlung bei einer mitgliedstaatlichen Regelung vor, die praktisch ausschließlich oder weit überwiegend nachteilige Auswirkungen auf EU-Ausländer hat und diese damit benachteiligt, wenn sie eine wirtschaftliche Tätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausüben wollen (EuGH vom 05.12.2013 – C-514/12, Rn. 32). Es ist gut vertretbar, dass qualifizierte Arbeitnehmer stets von der Aufnahme einer Beschäftigung in einem anderen Mitgliedsstaat abgehalten werden, wenn sie schon im Zuzugszeitpunkt bestehende Wertzuwächse bei von ihnen gehaltenen Wirtschaftsgütern bei einem späteren Wegzug aus diesem Mitgliedsstaat versteuern müssen. Solche Auswirkungen hat eine Wegzugsteuerregelung u.E. unabhängig davon, ob die Wertzuwächse im Staat der ursprünglichen Ansässigkeit einer Wegzugbesteuerung unterlegen haben. Eine solche mittelbare Diskriminierung verfolgt u.E. auch keinen berechtigten Zweck zum Schutz zwingender Gründe des Allgemeininteresses. Man könnte insoweit zwar die Kohärenz des innerstaatlichen Steuersystems (EuGH vom 28.01.1992 – C-204/90) anführen. Allerdings kann diese (wenn bei § 6 AStG überhaupt) nur insoweit als rechtfertigender Zweck in Betracht kommen, als dass sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich ist. Dies ist u.E. jedoch gerade bei einer Besteuerung der Wertzuwächse vor dem Zuzug der Fall, da hierbei der berechtigte Zweck der gleichmäßigen Besteuerung von Vermögenszuwächsen bestimmter Wirtschaftsgüter (bei steuerlicher Ansässigkeit in Deutschland) überschießend verwirklicht wird. Auch die angemessene Aufteilung der Besteuerungsrechte (zu diesem als Rechtfertigungsgrund etwa EuGH vom 26.02.2019 – C-581/17) kann nur insoweit legitimierend wirken, als dass der Zeitraum der Wertzuwächse in den Blick genommen wird, in der sich der Steuerpflichtige in Deutschland aufhielt.

Außerdem erhält durch eine mögliche Entscheidung des EuGH die Debatte um die Frage, ob für innereuropäische Wegzugsfälle in § 6 AStG eine Stundungsmöglichkeit vorgesehen sein muss, neue Aufmerksamkeit. Nach zutreffender Auffassung genügt § 6 AStG in seiner aktuellen Fassung für Wegzüge ins innereuropäische Ausland nicht den vom EuGH insbesondere in der Rechtssache Wächtler aufgestellten Anforderungen. Europarechtlich erforderlich wäre es danach, dass es nicht nur zur Erleichterung durch die Möglichkeit zur Zahlung der Steuern in mehreren Jahresraten kommt, sondern dass grds. eine Stundung bis zur Veräußerung der Gesellschaftsanteile vorgesehen werden muss. Zudem kann eine Stundung unter Sicherheitsleistung nur dann gefordert werden, wenn ein Risiko der Nichteinziehung der geschuldeten Steuer besteht – was im EU-Raum nicht ernsthaft anzunehmen ist. Auch wenn es damit – so wie es die Literatur bereits seit der EuGH-Entscheidung ganz überwiegend vertritt – relativ klar ist, dass die aktuelle Regelung in § 6 AStG europarechtswidrig ist, sind dies berücksichtigende Initiativen vom Gesetzgeber oder der Rechtsprechung bisher ausgeblieben. Bisher ging man davon aus, dass zunächst eine abermalige Überprüfung der aktuellen deutschen Vorschrift (jedenfalls) vor dem BFH erforderlich würde. Nun könnte jedoch eine deutliche Entscheidung des EuGH dies potenziell vorwegnehmen, und den Gesetzgeber unter Handlungsdruck setzen, die Wegzugbesteuerung europarechtskonform zu regeln.

Weitere Autoreninformationen:


, , , , ,

Weitere Meldungen


Meldung

©Stockwerk-Fotodesign/fotolia.com


26.09.2025

Neue Kapitalkostenempfehlungen des FAUB

Der FAUB reagiert konsequent auf veränderte Marktbedingungen und bringt seine Empfehlungen zur Marktrisikoprämie wieder in Einklang mit den aktuellen Kapitalmarktdaten.

weiterlesen
Neue Kapitalkostenempfehlungen des FAUB

Meldung

©agcreativelab/fotolia.com


26.09.2025

Neue Zahlen zum Homeoffice 2024

Homeoffice hat sich in Deutschland dauerhaft etabliert, auch wenn die Nutzung nach der Pandemie rückläufig ist.

weiterlesen
Neue Zahlen zum Homeoffice 2024

Meldung

©pixelrobot/123rf.com


25.09.2025

BFH stärkt Vertraulichkeit anonymer Anzeigen

Anonyme Steueranzeigen bleiben geheim. Laut BFH hat der Betroffene in der Regel kein Recht auf Einsicht, selbst nicht über die DSGVO.

weiterlesen
BFH stärkt Vertraulichkeit anonymer Anzeigen

Haben wir Ihr Interesse für DER BETRIEB geweckt?

Sichern Sie sich das DER BETRIEB Gratis Paket: 4 Hefte + Datenbank