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28.09.2023

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Organschaft: Heilung wider Willen? – Zur steuerlichen Anerkennung „fehlerhafter“ Ergebnisabführungsverträge

Der BFH (Urteil vom 03.05.2023 – I R 7/20, DB 2023 S. 1835) hatte sich kürzlich mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Heilung eines fehlerhaften Ergebnisabführungsvertrages (EAV) in den Streitjahren ipso iure oder abhängig vom kundgetanen Willen des Steuerpflichtigen eintritt.Dies ist deshalb spannend und wirtschaftlich bedeutend, da die Begründung einer steuerlichen Organschaft (vgl. §§ 14 ff. KStG) insbesondere die Konsolidierung von Gewinnen und Verlusten zwischen Gruppen(kapital)gesellschaften ermöglicht. Durch den Abschluss eines entsprechenden EAV können bei einem Organträger entstehende Verluste (etwa im Rahmen einer Akquisitionsfinanzierung), die grundsätzlich nur auf Ebene des Organträgers steuerlich nutzbar sind, mit Gewinnen der Organgesellschaft (etwa durch operative Tätigkeit) verrechnet werden. So lässt sich die Steuerbelastung im Organkreis im Vergleich zur jeweils selbstständigen Besteuerung von Organgesellschaft (Besteuerung ihres ganzen Gewinns) und Organträger (keine oder nur eingeschränkte Verlustnutzbarkeit) senken.

Organschaft: Heilung wider Willen? – Zur steuerlichen Anerkennung „fehlerhafter“ Ergebnisabführungsverträge

RA/Attorney at Law Andreas Gesell
Associate bei POELLATH in München

I. Überblick zur steuerlichen Anerkennung der Organschaft

Diese durchaus wesentlichen wirtschaftlichen Wirkungen können erzielt werden, wenn die für die steuerliche Anerkennung erforderlichen

  • persönlichen (u.a. Eignung der Beteiligten als Organträger bzw. Organgesellschaft),
  • sachlichen (u.a. finanzielle Eingliederung, Abschluss und tatsächliche Durchführung eines wirksamen EAV, Behandlung von Mehr- oder Minderabführungen) sowie
  • zeitlichen (u.a. ununterbrochener Bestand der finanziellen Eingliederung, Mindestlaufzeit des EAV von fünf Zeitjahren, d.h. 60 Monaten)

Voraussetzungen erfüllt sind (§§ 14 und 17 KStG).

Die Fallstricke, die zu einer nachträglichen Nichtanerkennung der steuerlichen Organschaft (sog. verunglückte Organschaft) führen können, sind vielfältig (vgl. Dötsch/Pung, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG, Stand: 01.06.2023, Rn. 1578 ff.) und die rückwirkenden steuerlichen Rechtsfolgen gravierend.

Liegen bereits von Beginn an die Voraussetzungen für die steuerliche Anerkennung der Organschaft nicht vor oder wird der EAV vor Ablauf der Mindestlaufzeit ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG) beendet oder tatsächlich nicht durchgeführt (zu Letzterem vgl. auch BFH vom 02.11.2022 – I R 37/19, PE-Magazin vom 11.04.2023), sind die §§ 14 ff. KStG von Beginn an nicht anzuwenden und die bereits (unter Annahme des Bestehens einer steuerlichen Organschaft) vorgenommenen Veranlagungen rückwirkend zu ändern. Erfolgt die Beendigung bzw. Nichtdurchführung des EAV hingegen erst nach Ablauf der Mindestlaufzeit, ist die Organschaft zwar nicht für die Zukunft (und bei unterjähriger Beendigung auch nicht für das laufende Wirtschaftsjahr), wohl aber für die vorangegangenen fünf Organschaftsjahre anzuerkennen. Wenn andere Voraussetzungen (wie etwa die finanzielle Eingliederung) in einzelnen Jahren während der Mindestlaufzeit nicht vorliegen, kann insoweit zu differenzieren sein, als es nicht zur gänzlichen, sondern nur zur Nichtanerkennung in den betroffenen Jahren kommt (vgl. Dötsch/Pung, a.a.O., Rn. 1584).

II. Zur Problemstellung im Besprechungsurteil

FG Münster (Vorinstanz): Zwingender Eintritt der Heilungswirkung

Im Streitfall bestand zwischen dem Organträger und dem beklagten Finanzamt Streit darüber, ob ein steuerlich fehlerhafter EAV aufgrund der Heilungsvorschriften nach § 34 Abs. 10b Satz 2 und Satz 3 KStG i.d.F. des Gesetzes vom 20.02.2013 (im Folgenden: § 34 Abs. 10b Satz 2 und Satz 3 KStG [2013]) rückwirkend geheilt wurde und damit die steuerliche Organschaft in den betroffenen Streitjahren anzuerkennen war oder ob diese Übergangsregelung nur eine (regelmäßig günstige) Heilungsmöglichkeit für den Organträger darstellte, über deren Eintritt der Organträger disponieren kann. Kurz: Steckt in § 34 Abs. 10b Satz 2 und Satz 3 KStG (2013) ein Heilungszwang oder eine Heilungsmöglichkeit?

Der Organträger hatte den im März 2004 mit der Organgesellschaft geschlossenen EAV mit Wirkung zu Ende Mai 2012 gekündigt. Der EAV enthielt einen ungenügenden, weil nicht dynamischen Verweis auf § 302 AktG: „In entsprechender Anwendung von § 302 Abs. 1 und Abs. 3 AktG verpflichtet sich der Organträger, jeden während der Vertragsdauer entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen (…)“. Mit Gesetz vom 09.12.2004 fügte der Gesetzgeber in § 302 Abs. 4 AktG eine Verjährungsregelung ein, die keine Berücksichtigung im zwischen Organträger und Organgesellschaft geschlossenen EAV gefunden hat. Dieser war fortan fehlerhaft.

In den betroffenen Streitjahren 2007 bis 2011 hat das Finanzamt das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger zugerechnet, obwohl der EAV steuerlich aufgrund des mangelhaften Verweises auf § 302 AktG unwirksam war. Das Finanzamt stützte sich dabei auf die Heilungsvorschriften nach § 34 Abs. 10b Satz 2 und Satz 3 KStG (2013). Danach steht es der Anwendung der §§ 14 bis 16 KStG für Veranlagungszeiträume, die vor dem 01.01.2015 enden, nicht entgegen, wenn der wirksam vor Ablauf des 26.02.2013 (Inkrafttreten der Gesetzesänderung) abgeschlossene EAV keinen den Anforderungen des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG i.d.F. des Gesetzes vom 15.10.2002 entsprechenden Verweis auf § 302 AktG enthält, jedoch eine Verlustübernahme entsprechend § 302 AktG tatsächlich erfolgt ist und eine Verlustübernahme entsprechend § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG i.d.F. des Gesetzes vom 20.02.2013 als „dynamischer“ Verweis auf § 302 AktG bis zum Ablauf des 31.12.2014 wirksam vereinbart wird. Dabei ergänzt Satz 3 des § 34 Abs. 10b KStG (2013), dass für die Anwendung des Satzes 2 die Vereinbarung einer Verlustübernahme entsprechend § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG (2013) nicht erforderlich ist, wenn die steuerliche Organschaft vor dem 01.01.2015 beendet wurde.

So lag es im Streitfall und das FA sowie die Vorinstanz (FG Münster  vom 27.11.2019 – 13 K 2898/16 F, Rn. 47) gingen für die Streitjahre kurzerhand vom Eintritt der Heilungswirkung und damit der Anerkennung der steuerlichen Organschaft aus.

Zwischenergebnis

Die heilungsbedingte Anerkennung der steuerlichen Organschaft im konkreten Fall wirkte sich jedoch nachteilig für den Organkreis aus. Grund hierfür war die Rechtsprechung des BFH (Urteile jeweils vom 22.09.2011 – IV R 42/09; IV R 3/10, BStBl. II 2012 S. 14) zur nicht möglichen Anrechnung der Gewerbesteuermessbeträge der Enkel-Personengesellschaften gem. § 35 EStG aufgrund der Abschirmwirkung einer zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft (trotz Organschaft).

III. BFH: Kein Heilungszwang

Infolge grammatikalischer, teleologischer, systematischer sowie gesetzeshistorischer Auslegung gelangte der BFH in Abweichung zur Vorinstanz zu dem Ergebnis, dass der Eintritt der Heilungswirkung aus § 34 Abs. 10b Satz 2 und Satz 3 KStG (2013) (vgl. dazu auch die heutige Anwendungsregelung in § 17 Abs. 2 KStG) letztlich vom Verhalten des Steuerpflichtigen abhänge. So trete bei Beendigung der steuerlichen Organschaft vor dem 01.01.2015 die Heilungswirkung dann nicht ein, wenn der Steuerpflichtige durch eine nach außen erkennbare Handlung den Willen äußert, eine Heilung des „fehlerhaften“ (meint: fehlerhaft gewordenen) EAV nicht herbeiführen, sondern die Rechtsfolgen des „fehlerhaften“ EAV (Nichtanerkennung der steuerlichen Organschaft) tragen zu wollen.

Bereits der Wortlaut des § 34 Abs. 10b Satz 3 KStG (2013) zeige den komplementären, begünstigenden und verfahrensvereinfachenden Charakter zum Grundtatbestand des Satzes 2 auf, der diesen nicht verschärfe, sondern die Begünstigungswirkung der Heilungsvorschrift erweitere. Der Steuerpflichtige solle von der Obliegenheit befreit werden, den EAV zwecks Heilung ändern zu müssen, wenn dieser ohnehin vor dem 01.01.2015 ende. Kurz: Verfahrensvereinfachung statt unnötiger Förmelei.

Dies werde systematisch dadurch gestützt, dass im Anwendungsbereich des Satzes 3 keine höheren Anforderungen gestellt werden könnten, wenn der Gesetzgeber den Steuerpflichtigen im Anwendungsbereich des Satzes 2 bereits eine Frist bis zum 31.12.2014 eingeräumt hat, um den fehlerhaften EAV anzupassen und die Heilungswirkung eintreten zu lassen. Auch die von Satz 3 betroffenen Steuerpflichtigen dürften diesen zeitlichen Änderungsrahmen uneingeschränkt ausnutzen (sodass sie einen davor endenden EAV nicht mehr anpassen müssten).

Schließlich bestätige die Gesetzeshistorie den begünstigenden, ergänzenden und nicht-zwingenden Charakter des Satzes 3. Nach der Begründung des ursprünglichen Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 17/10774, S. 9) – noch ohne Satz 3 – sollten formelle Fehler nachträglich korrigiert werden „können“. Die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses (BT-Drucks. 17/11217, S. 8) mit Anregung der Ergänzung um Satz 3 führte ausdrücklich an, dass damit keine Verpflichtung zur Anpassung von EAVs verbunden sein solle. Es solle Unternehmen freistehen, auf die Aufnahme eines dynamischen Verweises auf § 302 AktG und eine Heilung des EAV zu verzichten. Damit ließe sich eine Auslegung des Satzes 3 als zwingende Heilungsnorm nicht vereinbaren.

Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen sieht der BFH damit eine Auslegung des Satzes 3 geboten, wonach die Heilungswirkung dann nicht eintreten soll, wenn der Steuerpflichtige vergleichbar mit der nach außen erkennbaren Änderung des EAV (vgl. Grundtatbestand des Satzes 2) durch eine nach außen erkennbare Handlung den Willen äußert, eine Heilung nicht herbeiführen zu wollen. Dies hat der klagende Organträger im Streitfall spätestens mit der Einlegung von Rechtsbehelfen gegen die vom FA vollzogene Organschaftsbesteuerung kundgetan.

Mit anderen Worten: Keine Heilung wider Willen!

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