I. Hintergrund
Die OECD hat am 20.12.2021 ihr finales Rahmenkonzept für eine globale Mindeststeuer von 15% für internationale Konzerne veröffentlicht, auf deren Einführung sich die Staats- und Regierungschefs der G20 Ende Oktober in Rom geeinigt hatten. Durch die globale Mindeststeuer soll der Steuerwettbewerb unter den Staaten und die konzerninterne Gewinnverlagerung dauerhaft begrenzt werden. Neben Steuermehreinnahmen erhoffen sich G20 und OECD, dass die Bedeutung der Steuerbelastung bei der Standortentscheidung für Kapital und Produktionsmittel zurückgedrängt (sog. Kapitalexportneutralität) und die internationale Unternehmensbesteuerung insgesamt als fairer wahrgenommen wird.
Die globale Mindeststeuer ist eine von zwei „Säulen“ zur Reform der Besteuerung von internationalen Konzernen. Während die globale Mindeststeuer den Großteil aller internationalen Konzerne betreffen dürfte (sog. Pillar Two), soll im Rahmen der ersten Säule die konzerninterne Gewinnverteilung für die 100 größten und profitabelsten Unternehmen der Welt geändert und ein Anteil des Konzerngesamtgewinns jenseits des klassischen Fremdvergleichsgrundsatzes dort besteuert werden, wo der Konzern seine Umsätze generiert (sog. Pillar One).
Pillar One war der Ausgangspunkt der Reform (daher die „erste“ Säule) und eine Reaktion auf die Ausbreitung unilateraler Digital Services Taxes (DSTs). Digitalunternehmen sollten unabhängig von lokalen Betriebsstätten oder Tochterunternehmen auch im Staat der Endverbraucher besteuert werden, was – wenig verwunderlich – aber vor allem seitens der USA auf Widerstand stieß. Erst die Biden Administration gab dem BEPS 2.0 Projekt im Kontext der eigenen nationalen Steuerreform (Build Back Better Act) ein neues Momentum – allerdings nun mit einem klaren Fokus auf die Mindeststeuer unter Pillar Two. Seitdem kommt Pillar One eher die Rolle einer Begleitmaßnahme zur „Stabilisierung“ des Gesamtsystems zu.
Die globale Mindeststeuer ist also der zentrale Teil des Reformkonzepts – sie soll bereits ab dem Jahr 2023 für jeden Staat gelten, in dem ein Konzern durch Betriebsstätten oder Tochterunternehmen präsent ist.
II. Funktionsweise der Mindeststeuer
In krassem Kontrast zur einfach klingenden Idee einer globalen Mindeststeuer von 15% steht allerdings die technische Komplexität des nun veröffentlichten Rahmenkonzepts. Denn einerseits wird an eine „effektive“ (nicht nominale!) Niedrigbesteuerung angeknüpft, andererseits soll nur diejenige Zuschlagsteuer ermittelt und erhoben werden, die erforderlich ist, um die Steuerbelastung in jedem Staat exakt auf die vereinbarten 15% anzuheben.
Vor diesem Hintergrund müssen die Einkünfte und die darauf anfallenden Steuern international annähernd einheitlich ermittelt werden. Die Einkünfteermittlung und damit die Mindeststeuer soll grundsätzlich auf den IFRS-Abschlüssen (oder vergleichbaren Rechnungslegungsstandards) basieren, was schon aufgrund der stark informationsorientierten Ausrichtung der IFRS-Rechnungslegung und der damit verbundenen Fair-Value-Bilanzierung nicht unproblematisch ist. Steht die effektive Steuerlast fest, kann die betragsmäßig erforderliche Zuschlagsteuer (sog. top up tax) für jeden Staat ermittelt werden. Auch wenn sich dies einfach anhört, ist es alles andere als einfach. Die Komplexität wird zusätzlich auch noch um die mitunter komplizierten Erhebungs-Mechanismen erhöht, mit denen die Staaten untereinander koordiniert und somit im Ergebnis nur einmal die erforderlichen Zuschlagsteuern (nach-)erheben sollen.
All dies ist im fast 70 Seiten umfassenden Rahmenkonzept der OECD nun konzeptionell dargelegt. Detaillierte Auslegungs- und Anwendungsregeln sollen im neuen Jahr folgen.
Anwendungsbereich
Die Mindestbesteuerung gilt für alle Konzerne, die in zwei von vier Jahren vor der ersten Anwendung mindestens 750 Mio. € Umsatz im konsolidierten Jahresabschluss ausgewiesen haben. Grundsätzlich sind alle Konzernunternehmen erfasst, die im Konzernabschluss vollkonsolidiert werden. Die Mindeststeuer kennt zwar keine Sektorenausnahmen; ausgeklammert werden aber insb. Pensions- und Investmentfonds, letztere sofern sie Konzernobergesellschaft sind.
Staatenbezogene ETR-Ermittlung
Ist der Anwendungsbereich eröffnet, muss die Unternehmensgruppe ihre effektive Steuerquote (ETR) für alle Tochtergesellschaften und Betriebsstätten in jedem Staat gesondert ermitteln und mit dem Mindeststeuersatz von 15% vergleichen. Die staatenbezogene Berechnung der ETR basiert grundsätzlich auf dem Nettoeinkommen aller Tochtergesellschaften und Betriebsstätten im jeweiligen Staat, wie es für Zwecke der Konsolidierung – aber vor der Eliminierung von konzerninternen Leistungsbeziehungen – ermittelt wurde. Allerdings ist eine Vielzahl von Anpassungen vorzunehmen. Weiterhin sind Wahlrechte für eine beschränkte Zufluss-/Abflussrechnung oder eine zeitliche Streckung von Veräußerungsgewinnen etc. vorgesehen. Die auf diese Einkünfte entfallenden Ertragsteuern und vergleichbare Steuern, die in den Jahresabschlüssen erfasst wurden, sowie latente Steuern (mit zahlreichen Anpassungen) bilden im Wesentlichen den „Zähler“ der ETR-Rechnung. Aus einem Vergleich zwischen ETR und 15% Mindeststeuersatz ergibt sich der Zuschlagsteuersatz. Mit diesem Zuschlagsteuersatz wird – nach Abzug einer substanzbasierten Reduktion der Einkünfte, die eine Routineverzinsung von eingesetzten Wirtschaftsgütern und Personalkosten von der Mindeststeuer freistellen soll – das Einkommen in diesem Staat multipliziert, um den Zuschlagsteuerbetrag zu ermitteln.
Erhebungsregeln
Für die Erhebung der Zuschlagsteuern sind zwei Regelungssysteme vorgesehen:
Vorrangig soll die Zuschlagsteuer – ähnlich wie bei der Hinzurechnungsbesteuerung – auf Ebene der Konzernmuttergesellschaft erhoben werden. Wenn diese sog. Income Inclusion Rule (IIR) nicht die erforderliche Zuschlagsteuer einbringt, weil z.B. der Sitzstaat der Konzernmutter die Mindeststeuer nicht anwendet, greift subsidiär ein zweites Regelungssystem. Nach diesem ist der Zuschlagsteuerbetrag im Verhältnis der beschäftigten Arbeitnehmer und eingesetzten Wirtschaftsgüter formelhaft auf die Tochtergesellschaften und Betriebsstätten in einem Staat aufzuteilen und von diesen zu erheben. Diese sog. Under-taxed Payments Rule (UTPR) war umstritten und hat nunmehr offenbar Anleihen bei der formelhaften Gewinnaufteilung nach dem GKKB-Konzept genommen.
III. Bedeutung für Unternehmen – und den deutschen Gesetzgeber
Die globale Mindeststeuer wird in der EU durch eine Richtlinie umgesetzt und soll grundsätzlich bereits ab dem Jahr 2023 in Kraft treten. Auf diesen äußerst ambitionierten Zeitplan müssen sich der deutsche Gesetzgeber und die Unternehmen jetzt einstellen.
Vordringliche Aufgabe des deutschen Gesetzgebers sollte es sein, die angekündigte EU-Richtlinie mit Augenmaß und Weitsicht in nationales Recht zu überführen. Nach dem am 22.12.2021 vorgelegten Richtlinienentwurf soll die globale Mindeststeuer auch auf reine Inlandsfälle ausgedehnt werden, um eine offensichtliche EU-Rechtswidrigkeit auszuschließen. Ob es damit getan ist, bleibt allerdings zu bezweifeln.
Über die rein fiskalischen Belastungen hinaus, müssen sich Unternehmen und deren Steuerabteilungen auf die mit der globalen Mindeststeuer einhergehende Informationsbeschaffung und deren Deklaration in einer Vielzahl von Ländern vorbereiten. Steuerabteilungen und deren Berater haben sich auch darauf einzustellen, die nun auch steuerlichen Konsequenzen der IFRS-Bilanzierung in ihre Betrachtungen einzubeziehen. Darüber hinaus dürften auch die operativen und die organisatorischen Konzernstrukturen kritisch zu überprüfen und ggf. anzupassen sein, um zusätzliche Steuerlasten auf ein Minimum zu begrenzen. Die aus der globalen Mindesteuer resultierende zusätzliche Steuerbelastung in einzelnen Niedrigsteuerländern kann auch zu einer Neubewertung von Standortvorteilen führen und deshalb konzerninterne Wertschöpfungsketten verändern.
Klar ist aber auch, dass betroffene Unternehmen versuchen werden, die aus der zusätzlichen Steuerbelastung resultierenden Kostensteigerungen zu überwälzen. Steigende Absatzpreise, aggressivere Einkaufsverhandlungen bzw. weniger Spielraum bei anstehenden Lohnverhandlungen sollten jedenfalls niemanden überraschen.