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23.01.2024

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Neues zur deutschen Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 AStG

Der Gesetzgeber hat die deutsche Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 AStG durch eine Reihe von Gesetzesverschärfungen zu einem Alltagsphänomen in der Steuerberatungspraxis fortentwickelt. Es war zu erwarten, dass die Rechtsentwicklung mit der ab 01.01.2022 gültigen Neufassung von § 6 AStG angesichts der damit verbundenen erheblichen Härten für viele Steuerpflichtige nicht zur Ruhe kommen würde. Kurz vor Beginn des Jahres 2024 hat der Gesetzgeber zu allem Übel noch eine zusätzliche Härte für Altfälle – Wegzüge bis zum 31.12.2021 – geschaffen und diese sogar rückwirkend ab 17.08.2023 in Kraft gesetzt: Die Möglichkeiten der Finanzverwaltung zum Widerruf der Stundung der Wegzugssteuer für EU-/EWR-Altfälle wurden nachträglich ausgedehnt. Zugleich wurde der neue Anwendungserlass der Finanzverwaltung zum Außensteuergesetz Ende 2023 bekannt gegeben. Die Lage ist für die von der Wegzugssteuer betroffenen Steuerpflichtigen jedoch nicht völlig aussichtslos: Im Januar 2024 wurde das lange erwartete Urteil des BFH in der Rechtssache „Wächtler“ veröffentlicht (vom 06.09.2023 – I R 35/20), das – jedenfalls mittelbar – einige der Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre infrage stellt.

Nachhaltigkeitsbericht: Die Herausforderung erfolgreich meistern

RA/StB Dr. Maximilian Haag, LL.M.,
ist Partner bei POELLATH in München

Die Wegzugssteuer in der seit 01.01.2022 geltenden Fassung

Nach § 6 AStG wird der Wertzuwachs in Kapitalgesellschaftsanteilen bei Beendigung oder Beschränkung des Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland an diesen Anteilen einer deutschen „Schlussbesteuerung“ unterworfen. Voraussetzung ist, dass der Steuerpflichtige in den zwölf Jahren vor seinem Wegzug mindestens sieben Jahre im Inland unbeschränkt steuerpflichtig war. § 6 AStG erstreckt sich auf alle Anteile an in- oder ausländischen Kapitalgesellschaften, an denen der Steuerpflichtige in den letzten fünf Jahren vor seinem Wegzug zu mindestens 1 Prozent unmittelbar oder mittelbar beteiligt war (Anteile im Sinne des § 17 Absatz 1 Satz 1 EStG). Wegzugstatbestand ist neben der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht infolge Aufgabe des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts auch die unentgeltliche Übertragung der Anteile unter Lebenden oder von Todes wegen auf eine im Ausland ansässige Person. Der Gesetzgeber hat den Kreis der Betroffenen der seit 1972 erhobenen Wegzugssteuer durch Gesetzesänderungen in den Jahren 1999, 2000 und 2006 sukzessive ausgeweitet. Für Wegzüge bis zum 31.12.2021 war die Anwendung der Wegzugssteuer für Umzüge innerhalb der EU und des EWR jedoch erträglich, weil die Steuer dauerhaft zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet wurde (§ 6 Abs. 5 AStG a.F.). Mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz vom 25.06.2021 (BGBl. I 2021 S. 2035) ist diese Stundung jedoch entfallen und wurde – unterschiedslos für alle Fälle – durch die Möglichkeit zur Zahlung der Steuer in bis zu sieben Jahresraten als befristete Zahlungserleichterung ersetzt.

Widerruf der Stundung bei Gewinnausschüttungen und Einlagenrückgewähr auch für Wegzüge bis 31.12.2021

Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2022/2523 des Rates zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung und weiterer Begleitmaßnahmen vom 21.12.2023 (BGBl. I 2023 Nr. 397 vom 27.12.2023) hat der Gesetzgeber die Anforderungen an die dauerhafte Stundung der Wegzugssteuer nach § 6 Abs. 4 oder 5 AStG für Wegzüge vor dem 01.01.2022 nachträglich erhöht und damit die Rechtslage für EU-/EWR-Wegzügler rückwirkend ab 17.08.2023 verschlechtert. Die Gesetzesänderung bezweckt eine Angleichung der für Altfälle gültigen Stundungsregeln an die neue Rechtslage nach dem ATAD-Umsetzungsgesetz und ist offensichtlich fiskalisch motiviert.

Funktionsweise der Gesetzesänderung vom 21.12.2023

Nach der neuen Bestimmung des § 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AStG ist die Stundung der Wegzugssteuer für Wegzüge vor dem 01.01.2022 auch dann zu widerrufen, wenn die Gesellschaft, deren Anteile mit der Wegzugssteuer belastet wurden, Gewinnausschüttungen oder eine Einlagenrückgewähr tätigt, deren Wert zusammengerechnet mehr als 25% des Werts der Gesellschaftsanteile zum Zeitpunkt der Auslösung der Wegzugssteuer beträgt. Dies gilt rückwirkend für alle Gewinnausschüttungen oder Einlagenrückgewähr, die nach dem 16.08.2023 erfolgen. Offengelassen haben Gesetzgeber und Finanzverwaltung dabei, welches Ereignis – der Beschluss über die Gewinnverwendung oder die tatsächliche Auszahlung – für die erstmalige Erfassung von Gewinnausschüttungen ab dem 17.08.2023 maßgeblich sein soll. M.E. kann es nur auf den Zeitpunkt des Gesellschafterbeschlusses über die Gewinnausschüttung bzw. die Einlagenrückgewähr ankommen. Wurde die Gewinnausschüttung vor dem 17.08.2023 beschlossen, so ist sie folglich nicht in die Neuregelung einzubeziehen, da der Steuerpflichtige insoweit Vertrauensschutz genießt. Die Rechtsfolge bei Überschreiten des Grenzwerts ist ein partieller Widerruf der Stundung der Wegzugssteuer. Erfolgen mehrere Ausschüttungen aufeinander, so findet ein sukzessiver Widerruf der Stundung statt und die Wegzugssteuer ist in Teilbeträgen abzuzahlen. Diese gesetzliche Mechanik ist an die Regelung in § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 4 Satz 5 Nr. 5 AStG in der seit 01.01.2022 gültigen Fassung angelehnt. Die Berechnung des partiellen Widerrufs der Stundung lässt sich an einem Beispiel illustrieren:

Sachverhalt: Der Steuerpflichtige ist im Jahr 2020 in das EU-Ausland weggezogen und hat die damals geltende EU/EWR-Stundung gemäß § 6 Abs. 5 AStG a.F. gewährt bekommen. Der Wert seiner Gesellschaftsanteile im Wegzugszeitpunkt beträgt 100. Seit dem 17.08.2023 wurden in Bezug auf diese Gesellschaftsanteile Gewinnausschüttungen in Höhe von 30 vorgenommen.

Rechtsfolge: Der zu ermittelnde positive Saldo aus den Gewinnausschüttungen abzüglich 25% des Werts der Gesellschaftsanteile beträgt 5 (30 ./. ¼ x 100). Somit ist die Wegzugssteuer nach der neuen Gesetzeslage in Höhe von 5% (5 / 100) anteilig zur Zahlung fällig.

Der Steuerpflichtige hat dem deutschen Finanzamt jede Überschreitung des Grenzwerts von 25% binnen eines Monats mitzuteilen. Für alle künftigen Gewinnausschüttungen und die Einlagenrückgewähr ist daher stets eine Proberechnung durchzuführen, ob der Grenzwert im Wegzugszeitpunkt überschritten wird.

Schaffung einer „faktischen Ausschüttungssperre“

Scheinbar möchte der Gesetzgeber mit der rückwirkend ab 17.08.2023 gültigen Vorschrift die nach altem Recht unbefristeten Stundungen „durch die Hintertür“ beenden. Es ist irritierend, dass Deutschland damit – nach den Verschärfungen der Wegzugssteuer zum 01.01.2022, welche gerade EU-/EWR-Wegzugsfälle am stärksten betreffen – erneut die EU-/EWR-Sachverhalte besonders hart belastet. Ob diese Regeln am Maßstab der europarechtlichen Grundfreiheiten standhalten, darf mit gutem Grund bezweifelt werden (dazu sogleich). Im Übrigen führen sie in verschiedenen Fallgruppen zu einer deutlichen Übermaßbesteuerung:

1. Ist der Steuerpflichtige in einem Land ansässig, das auf die Ausschüttung Einkommensteuer erhebt (das betrifft alle EU-Mitgliedsstaaten), so wird die Ausschüttung aufgrund der zusätzlichen partiellen Fälligkeit der Wegzugssteuer faktisch zweifach besteuert; in Summe ergibt sich eine Steuerbelastung auf den Liquiditätszuwachs aus der Ausschüttung von um die 50%. Eine Anrechnung der Wegzugssteuer auf die ausländische Einkommensteuer auf die Ausschüttung lassen die meisten EU-Staaten nicht zu. Eine Erhöhung der Anschaffungskosten auf die Bemessungsgrundlage der Wegzugssteuer für künftige Realisierungstatbestände im Ausland („step-up“) lassen viele EU-Mitgliedsstaaten ebenfalls nicht zu, sodass der mit der Wegzugssteuer belastete Wert bei späterem Anteilsverkauf im Ausland nochmals besteuert wird.

2. Stammt die Gewinnausschüttung aus einer deutschen Gesellschaft, wird zulasten des Gesellschafters deutsche Kapitalertragsteuer von 26,375% einbehalten; eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer auf die Wegzugssteuer sieht das Gesetz seit 21.12.2023 auch für Altfälle nicht mehr vor (§ 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AStG, rückwirkende Abschaffung von § 6 Abs. 6 Satz 4 AStG a.F.). Ist die Kapitalertragsteuer nicht oder nicht vollständig im Ausland anrechenbar oder im Inland erstattungsfähig, kann die Steuerbelastung auf den Liquiditätszufluss aus der Gewinnausschüttung auf über 75% steigen.

3. Besonders schwer wirkt der Widerruf der Stundung bei Minderheitsgesellschaftern, die keinen Einfluss auf die Ausschüttungspolitik der Kapitalgesellschaft nehmen können. Der Gesellschafter kann den Widerruf der Stundung nicht beeinflussen, die Mitgesellschafter können die Fälligkeit seiner Wegzugssteuer gegen seinen Willen auslösen und ihn in die Steuerzahlung zwingen. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu den schon vor dem 01.01.2022 geltenden Gründen für den Widerruf der Stundung (§ 6 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 4 AStG a.F.): Nach altem Recht waren alle Widerrufsgründe verhaltensabhängig, d.h. der Steuerpflichtige hatte es in der Hand, seine Verhältnisse so zu regeln, dass die Stundung der Wegzugssteuer nicht gefährdet war.

4. Völlig absurd wirkt die Neuregelung bei Verschenkung oder Vererbung der Anteile „über die Grenze“. Dabei fallen die Person des Gesellschafters, welche die Gewinnausschüttung oder Einlagenrückgewähr erhält, und die Person des Steuerpflichtigen, der die durch die Ausschüttung (partiell) fällige Wegzugssteuer zahlen muss, auseinander. Steuerpflichtiger der Wegzugssteuer ist nicht der Erbe, Vermächtnisnehmer oder Beschenkte im Ausland, sondern der „übertragende“ Rechtsvorgänger im Inland. Der Erbe, Vermächtnisnehmer oder Beschenkte oder sein Rechtsnachfolger im Ausland kann den Steuerpflichtigen im Inland somit in die Steuerzahlung zwingen, ohne dass der Steuerpflichtige nur einen Cent aus der Ausschüttung sieht. Ein Beispiel:

Sachverhalt: Der Steuerpflichtige ist im Jahr 2020 verstorben und wurde von seiner Ehefrau beerbt. Seine Gesellschaftsanteile hatte er seinem in Spanien lebenden Sohn vermacht. Die Ehefrau als Erbin des Steuerpflichtigen hat die EU/EWR-Stundung gemäß § 6 Abs. 5 AStG a.F. gewährt bekommen. Der Wert der betroffenen Gesellschaftsanteile im Wegzugszeitpunkt beträgt 100. Im Jahr 2024 erhält der Sohn des Steuerpflichtigen eine Gewinnausschüttung in Höhe von 130.

Rechtsfolge: Die Wegzugssteuer nach der neuen Gesetzeslage ist in voller Höhe sofort zur Zahlung fällig. Die Witwe des Steuerpflichtigen hat die Steuer zu bezahlen, obwohl sie nichts aus der Gewinnausschüttung erhält.

Die genannten Fallgruppen können beliebig kombiniert werden und führen zu abwegigen Besteuerungsfolgen. Schmerzvoll daran ist, dass die Beteiligten nachträglich keine Chance haben, die vertraglichen oder testamentarischen Bedingungen für die Anteilsübertragung einseitig noch zu ändern, z.B. um eine (partielle) Auszahlung der Gewinnausschüttung an den Steuerpflichtigen zu erreichen. Zusätzliche Zwangslagen können durch gesellschaftsvertragliche Vinkulierungsklauseln oder schuldrechtliche Verpflichtungen gegenüber Mitgesellschaftern oder früheren Anteilsinhabern (Verkäufer, Erblasser, Schenker) hervorgerufen werden. Das Vertrauen der Betroffenen in die Beständigkeit der deutschen Steuergesetzgebung ist erschüttert. Zweifelsfragen der Gleichmäßigkeit und Folgerichtigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 GG) liegen dabei ebenso auf der Hand wie Verstöße gegen die europarechtlich gewährten Grundfreiheiten, namentlich die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit.

Das BFH-Urteil vom 06.09.2023 in der Rechtssache Wächtler

Mit der Veröffentlichung des Urteils des BFH vom 06.09.2023 in der Rechtssache Wächtler am 11.01.2024 haben Gesetzgeber und Finanzverwaltung den erhofften Gegenwind in Bezug auf die jüngsten Verschärfungen der deutschen Wegzugsbesteuerung erhalten.

Die Entscheidung des BFH

Die Rechtssache „Wächtler“ ist nach über 10 Jahren Verfahrensdauer zu einem Ende gekommen. Nach zwei Entscheidungen des Finanzgerichts Baden-Württemberg und der Vorabentscheidung des EuGH vom 26.02.2019 (C-581/17 – Wächtler) hat der BFH die Klage des Steuerpflichtigen zwar aus verfahrensrechtlichen Gründen abgewiesen, aber gleichzeitig die Rechte von Wegzüglern in die Schweiz deutlich gestärkt. Nach Ansicht des BFH darf die Wegzugssteuer vom deutschen Finanzamt in einem ersten Schritt festgesetzt werden, da das deutsche Steuergesetz geltungserhaltend unionsrechtskonform ausgelegt werden könne (BFH vom 06.09.2023 – I R 35/20). Der BFH lässt aber keine Zweifel daran, dass die Wegzugssteuer bei Wegzügen in die Schweiz in einem zweiten Schritt bis zum Anteilsverkauf dauerhaft gestundet werden muss (BFH vom 06.09.2023 – I R 35/20, Rz. 19). Die Stundung muss zinslos für die gesamte Steuer erfolgen, da sonst der Wegzügler einen Liquiditätsnachteil gegenüber dem innerstaatlichen Umzügler hätte. Die Stundung kann sogar dann noch geboten sein, wenn die Wegzugssteuer bereits entrichtet wurde, d.h. die Steuer ist dem Steuerpflichtigen zu erstatten. Damit stellt sich der BFH klar gegen das BMF-Schreiben vom 13.11.2019, das als Reaktion auf die Entscheidung des EuGH eine Ratenzahlung der Wegzugssteuer bei Wegzug in die Schweiz als ausreichend ansah (BMF vom 13.11.2019). Nur die Forderung einer Sicherheit vom Steuerpflichtigen für die gestundete Wegzugssteuer soll im Fall möglicher Beitreibungsschwierigkeiten noch zulässig sein (BFH vom 06.09.2023 – I R 35/20, Rz. 25).

 Fernwirkungen des BFH-Urteils vom 06.09.2023

Das BFH-Urteil vom 06.09.2023 betrifft in erster Linie nur den entschiedenen Einzelfall. Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung ihre strengere bisherige Rechtsauffassung aufgibt oder die Nichtanwendung des Urteils in anderen Fällen verfügt. Dessen ungeachtet hat das Urteil große Bedeutung für eine Vielzahl weiterer Wegzugsfälle. Einerseits ist die Wegzugssteuer für alle Steuerpflichtigen, die bis zum 31.12.2021 in die Schweiz verzogen sind und in den Anwendungsbereich des Freizügigkeitsabkommens vom 21.06.1999 zwischen der EU und der Schweiz fallen, nun auf Grundlage des Urteils bis zum tatsächlichen Anteilsverkauf dauerhaft zinslos zu stunden. Sodann hat die Entscheidung eine wichtige Signalwirkung für die neue Gesetzeslage, die für Wegzüge ab 01.01.2022 die dauerhafte Stundung abgeschafft hat. Zwar macht das neue Recht keinen Unterschied zwischen Wegzügen in einen anderen EU-/EWR-Staat und in die Schweiz, aber es weitet die vom EuGH beanstandete Diskriminierung von Wegzügen in das Ausland gegenüber inländischen Umzügen sogar auf EU-/EWR-Wegzugsfälle aus. Daher ist zu erwarten, dass der BFH eine dauerhafte Stundung der Wegzugssteuer für sämtliche Wegzüge in andere EU-/EWR-Staaten und in die Schweiz auch unter der neuen Gesetzesfassung verlangen wird. Die Möglichkeit des Finanzamts, eine Sicherheit zu verlangen, wird dagegen voraussichtlich bestehen bleiben, was auch künftig je nach Fallkonstellation ein gewichtiges Hindernis für den Wegzug bleiben kann.

Kein Raum mehr für die „faktische Ausschüttungssperre“

Schließlich entzieht das Urteil vom 06.09.2023 mittelbar auch der mit § 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AStG rückwirkend ab 17.08.2023 für alle Wegzüge innerhalb der EU/des EWR eingeführten „faktischen Ausschüttungssperre“ den Boden. Denn die dadurch aufgrund von Gewinnausschüttungen oder einer Einlagenrückgewähr ausgelöste Pflicht zur Zahlung der Wegzugssteuer diskriminiert den ins Ausland weggezogenen Steuerpflichtigen im Vergleich zum inländischen Umzug ebenfalls, da sie seine Liquidität gegenüber dem reinen Inlandsfall erheblich belastet (siehe oben). Diese Erwägungen gelten gleichermaßen für die diesbezügliche Regelung in § 6 Abs. 4 Satz 4 Nr. 5 AStG für alle Wegzüge ab dem 01.01.2022.

Fazit

Die Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 AStG hat infolge der Gesetzesänderungen in den Jahren 2022 und 2023 eine Schärfe erreicht, die oft zu einer Übermaßbesteuerung führt. Die Entscheidung des BFH vom 06.09.2023 in der Rechtssache Wächtler ist daher in ihrer Klarheit zu begrüßen, da sie den fiskalisch motivierten Ausweitungen der Wegzugssteuer in jüngster Zeit Grenzen setzt. Es ist davon auszugehen, dass die durch das ATAD-Umsetzungsgesetz und das Mindestbesteuerungsgesetz eingeführten Regeln erneut vor den Finanzgerichten und dem EuGH landen werden, wenn Gesetzgeber und Finanzverwaltung auf das Wächtler-Urteil des BFH vom 06.09.2023 nicht in der gebotenen Weise reagieren. Alle in einen anderen EU-/EWR-Staat oder in die Schweiz umgezogenen und von der deutschen Wegzugssteuer betroffenen Steuerpflichtigen sollten die dauerhafte Stundung der Steuer beim zuständigen Finanzamt beantragen. Dies gilt unterschiedslos für Wegzugsfälle vor dem 01.01.2022 und danach. Alle von einem (partiellen) Widerruf der Stundung (nach altem Recht) oder der unmittelbaren (partiellen) Fälligkeit der Wegzugssteuer (nach neuem Recht) aufgrund von Gewinnausschüttungen oder einer Einlagenrückgewähr betroffenen Steuerpflichtigen sollten ebenfalls den Rechtsweg beschreiten, da der damit verbundene Liquiditätsnachteil im Lichte des BFH-Urteils vom 06.09.2023 in vielen Fällen nicht mit den Grundfreiheiten vereinbar sein dürfte.

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