I. Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG
Ausländische Kapitalgesellschaften, die sich an einer deutschen Kapitalgesellschaft beteiligen und daraus eine Dividendenausschüttung erhalten, sind in Deutschland beschränkt körperschaftsteuerpflichtig, soweit es sich nicht um eine Rückzahlung des steuerlichen Einlagekontos handelt. In der Regel erfolgt ein Quellensteuerabzug von 25% (§ 43a EStG) zuzüglich 5,5% Solidaritätszuschlag, was zunächst zu einer Gesamtbelastung von 26,375% führt.
Auf nationaler und internationaler Ebene gibt es jedoch Steuervergünstigungen. Eine ausländische Kapitalgesellschaft kann eine Kapitalertragsteuerentlastung z.B. nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) oder der EU-Mutter-Tochter-Richtlinie (§ 43b EStG) beantragen. Nach dem OECD-Musterabkommen ist eine Quellensteuerreduktion auf 5% oder 15% möglich, manche DBAs erlauben eine Reduzierung auf 0%. Innerhalb der EU fällt bei einer Mindestbeteiligung von 10% keine Quellensteuer an.
Unabhängig davon, ob eine Kapitalertragsteuerreduktion vorgesehen ist, wird grundsätzlich die volle Kapitalertragsteuer von 26,375% zunächst einbehalten. Um eine Erstattung oder Reduzierung des Quellensteuerabzugs zu erreichen, kann das Erstattungs- oder Freistellungsverfahren genutzt werden (§ 50c EStG). Damit ein Anspruch auf Steuererstattung oder -freistellung überhaupt zum Tragen kommt, müssen jedoch die Anforderungen des § 50d Abs. 3 EStG geprüft werden, der die Steuerentlastung einschränkt oder vollständig verwehren kann, wenn
- die an der Antragstellerin beteiligten Personen bei Direktbezug nicht ebenfalls entlastungsberechtigt wären (persönliche Entlastungsberechtigung) und
- die Beteiligung keinen wesentlichen Zusammenhang mit einer Wirtschaftstätigkeit der Antragstellerin hat (sachliche Entlastungsberechtigung).
Liegt weder eine persönliche noch eine sachliche Entlastungsberechtigung vor, wird ein Missbrauch vermutet, der durch einen Gegenbeweis entkräftet werden kann. Mit diesem „Motivtest“ kann nachgewiesen werden, dass der Hauptzweck der Zwischenschaltung der Antragstellerin nicht nur die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist, wodurch wieder eine Quellensteuerreduzierung erreicht werden kann.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der Verdacht des Missbrauchs ebenfalls als entkräftet gilt, sofern die sog. Börsenklausel zur Anwendung kommt. Dies ist der Fall, wenn mit der Hauptgattung der Anteile der Antragstellerin ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet.
Wenn keine vollständige Steuerentlastung gewährt wird, bleibt die endgültige Quellensteuerbelastung bestehen (§ 32 KStG), und die ausländische Gesellschaft ist grundsätzlich nicht verpflichtet bzw. nicht befähigt, eine Steuererklärung in Deutschland abzugeben.
§ 50d Abs. 3 EStG ist somit für alle im Ausland ansässigen Dividendenempfänger deutscher Kapitalgesellschaften von erheblicher Bedeutung, da diese Vorschrift eine mögliche Quellensteuerentlastung einschränken oder verweigern kann. Das Ziel der Regelung ist die Verhinderung von Missbrauch, insbesondere durch sogenanntes „Treaty/Directive Shopping“. Im Kern soll die Vorschrift verhindern, dass ausländische Gesellschaften lediglich als Zwischengesellschaften eingeschaltet werden, um steuerliche Vorteile zu erlangen, etwa durch eine höhere Quellensteuererleichterung aufgrund der Zwischenschaltung einer EU-Kapitalgesellschaft zwischen einer deutschen GmbH und einer Gesellschaft aus einem Staat, mit dem kein DBA besteht.
Die neue Auslegung des BZSt zur Voraussetzung der persönlichen Entlastungsberechtigung soll nun für Erleichterung sorgen und den Zweck der Vorschrift besser widerspiegeln. Künftig soll kein Missbrauch mehr angenommen werden, wenn auch bei den mittelbaren Anteilseignern ebenfalls ein hypothetischer Entlastungsanspruch bestehen würde.
II. Problemstellung nach der bisherigen Auslegung des BZSt
Bisher hat das BZSt eine sehr strenge Auffassung zur persönlichen Entlastungsberechtigung vertreten. Eine Entlastung wurde nur gewährt, wenn die hinter der Antragstellerin stehenden Personen bei Direktbezug der Dividenden nicht nur ebenfalls entlastungsberechtigt gewesen wären, sondern der Anspruch auf „derselben“ Rechtsgrundlage beruhte. Ein bloß identischer Entlastungsanspruch reichte nicht aus.
Konkret bedeutete dies Folgendes:
Eine unzweifelhaft wirtschaftlich aktiv tätige in den USA ansässige Kapitalgesellschaft („USA-Corp.“) ist über eine französische Kapitalgesellschaft („F-SA“) an einer deutschen GmbH beteiligt. Die F-SA ist potenziell nicht sachlich entlastungsberechtigt, da diese nur als Holdgesellschaft fungiert. Im Grundsatz hätte die F-SA einen Anspruch auf Reduzierung der deutschen Kapitalertragsteuer auf 0%, da die EU-Mutter-Tochter-Richtlinie (§ 43b EStG) greift.
Auch die USA-Corp. hätte bei einer Direktbeteiligung in dem Fall aufgrund des Art. 10 Abs. 3 DBA-USA einen Anspruch auf eine Kapitalertragsteuerreduktion auf 0%.
Nichtsdestoweniger hat das BZSt keine persönliche Entlastungsberechtigung anerkannt, da sich die Anspruchsgrundlagen unterschieden haben.
Anders wäre es, wenn die USA-Corp. die Beteiligung über eine andere amerikanische Kapitalgesellschaft halten würde. In dieser Fallabwandlung besteht die Anspruchsgrundlage aufgrund des gleichen DBA, erst dann hat das BZSt die persönliche Entlastungsberechtigung als gegeben angesehen.
III. Neuerungen durch das Merkblatt vom 17.03.2025 vom BZSt
Das BZSt hat seine strenge Auslegung der persönlichen Entlastungsberechtigung aufgegeben und am 17.03.2025 ein neues Merkblatt veröffentlicht, das eine gelockerte Sichtweise enthält. Dies führt zu einer Vereinfachung der Prüfung des § 50d Abs. 3 EStG.
Die wichtigste Änderung im neuen Merkblatt besteht darin, dass es nicht mehr erforderlich ist, dass sowohl die Antragstellerin als auch ihre Anteilseigner bei einem hypothetischen Direktbezug auf derselben Rechtsgrundlage einen Anspruch auf Quellensteuerentlastung haben. Künftig reicht es aus, dass überhaupt ein Entlastungsanspruch besteht – unabhängig von der zugrunde liegenden Anspruchsgrundlage. Allerdings ist zu beachten: Falls den mittelbar Beteiligten nur ein geringerer Entlastungsanspruch zusteht, wird die mögliche Quellensteuererstattung der Antragstellerin auf die Höhe dieses niedrigeren hypothetischen Entlastungsanspruchs der Anteilseigner begrenzt. Eine vollständige Versagung erfolgt in solchen Fällen nicht mehr. Für obigen Beispielsfall bedeutet dies, dass eine Quellensteuerreduzierung möglich ist, da sowohl die F-SA als auch die USA-Corp. Anspruch auf vollständige Reduzierung der Kapitalertragsteuer haben.
Die Neuinterpretation wirkt sich ebenfalls auf die Börsenklausel aus. Früher war diese nämlich nicht anwendbar, wenn eine börsennotierte US-Kapitalgesellschaft über eine EU-Kapitalgesellschaft an einer deutschen Kapitalgesellschaft beteiligt war, da sich die Anspruchsgrundlagen unterschieden.
Künftig reicht es aus, wenn an der Antragstellerin zu 100% mittelbar oder unmittelbar eine Gesellschaft beteiligt ist, mit deren Hauptgattung der Anteile ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet und die einen identischen oder höheren Entlastungsanspruch als die Antragstellerin hat. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass bei mittelbarer Beteiligung auch sämtliche zwischengeschaltete Gesellschaften im Vergleich zur Antragstellerin einen identischen oder höheren Entlastungsanspruch hätten.
Zur sachlichen Entlastungsberechtigung bringt das Merkblatt keine Erleichterungen mit sich, weshalb das BZSt bei seiner Anforderung bleibt, dass eine Wirtschaftstätigkeit über die bloße Verwaltung eigenen oder fremden Vermögens hinausgehen müsse und eine aktive Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erreichen müsse.
Auch in Bezug auf den Gegenbeweis/Motivtest ergeben sich keine neuen Erkenntnisse. Nach wie vor müssen Antragstellerinnen sämtliche steuerlichen und außersteuerlichen Gründe darlegen, um die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs zu widerlegen.
IV. Folgen für die Praxis
Die vom BZSt vorgenommenen Erleichterungen bei der Entlastung von der deutschen Kapitalertragsteuer sind unionsrechtlich erforderlich und grundsätzlich zu begrüßen. Zwar ist das Merkblatt nicht rechtlich bindend, liefert aber wichtige Anhaltspunkte zur Interpretation des § 50d Abs. 3 EStG. Insbesondere bisher abgelehnte Entlastungsanträge sollten vor dem Hintergrund der neuen Sichtweise überprüft werden.
Um die langen Bearbeitungszeiten von bis zu 24 Monaten zu verkürzen, wurde zum 01.01.2025 zudem eine Gesetzesänderung eingeführt, die die Gültigkeit von Freistellungsbescheinigungen auf fünf Jahre verlängert. Das Merkblatt unterstützt diese Bemühungen, indem es die Einordnung von Fällen erleichtert. Ob sich die Änderungen auch positiv auf die Bearbeitungsdauer auswirken, bleibt abzuwarten.