26.06.2018

Interview

Nachzahlungszinsen: Umbruch voraus?

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Der Betrieb

Der Bundesfinanzhof zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015. Sind diese Zweifel berechtigt? Und falls ja, was bedeutet der BFH-Beschluss für die Praxis? Der Steuerexperte John Büttner, Fachanwalt für Steuerrecht in der Kanzlei FPS, Frankfurt, beleuchtet die Problematik im Interview.

DB: Nach §§ 233a, 238 AO betragen die Zinsen für jeden Monat 0,5 % einer nachzuzahlenden oder zu erstattenden Steuer. Der BFH hält 6 % Zinsen pro Jahr für verfassungswidrig – und völlig realitätsfern. Zu Recht?

Büttner: „Sicherlich. In der Begründung des Beschlusses wird ja ausgeführt, dass der gesetzlich festgelegte Zinssatz von 0,5 % pro Monat den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich überschreitet, da sich im Streitzeitraum 2015 ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe. Man muss sich ja nur mal die relevanten Zinssätze auf der Internetseite der Deutschen Bundesbank ansehen. Wenn man sich die vor Augen hält, dann sind die Ausführungen des BFH für jeden nachvollziehbar.

Davon mal abgesehen:  Ich halte im Übrigen auch die Aussage für richtig, dass es mit den heutigen Datenverarbeitungssystemen unproblematisch möglich ist, eine Anpassung an den Markt- oder Basiszins vorzunehmen. Vielleicht schafft man hierdurch ja auch noch neue Arbeitsplätze. Das könnte fast eine Win-win-Situation werden.

Klar ist jedoch eins: Bei dem derzeitigen Zinsniveau muss der Steuerpflichtige auch mal drauflegen. Es verwundert mich daher gar nicht, wenn der BFH schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel im Hinblick auf das Übermaßverbot sieht, weil die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe in einer längeren Niedrigzinsphase wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung wirken kann.“

DB: Kurz zuvor hatte der 3. Senat des BFH in einem anderen Urteil keine Bedenken über die Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen. Die BFH-Senate sind sich also nicht einig und in einer anderen Rechtssache liegt eine Vorlage beim Bundesverfassungsgericht vor (1 BvR 2422/17). Wieso herrscht in dieser Frage eine solche Uneinigkeit?

Büttner: „Die Vorlage bei dem Bundesverfassungsgericht erfolgte ja im Anschluss an die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs München, der jedenfalls bis 2014 noch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die 6%-ige Verzinsung hatte. Der 3. Senat des BFH, dessen Urteil doch ziemlich konträr zu dem Beschluss des 9. Senats ist, hielt es in seiner Entscheidung anscheinend für ausreichend, einen Monatsbericht der Deutschen Bundesbank heranzuziehen, der eine Zinsbandbreite von 0,15 % bis 14,7 % auswies. Da in der AO 6 % jährlich vorgesehen sind, war er der Auffassung, dass dieser Zinssatz sich jedenfalls in dem damaligen streitgegenständlichen Zeitraum 2013 noch innerhalb realitätsnaher Referenzwerte bewege. Wenn man sich dann aber diesen Monatsbericht mal ansieht, fällt auf, dass beispielsweise der Zinssatz von 14,7 % für den Sonderfall von Kreditkartenkrediten galt und sich die Mehrzahl der Einlagenzinsen in einer Bandbreite von ca. 0,1 % bis ca. 1,8 % bewegte. Man könnte ja schon den Eindruck bekommen, dass das Urteil darauf abzielt, den Zinssatz von 6 % zu erhalten, vielleicht auch, um einer Vorlage beim Bundesverfassungsgericht zu entgehen. Allerdings ist zuzugeben, dass die bereits entschiedenen Fälle entweder Jahre ohne Niedrigzinsphase oder mit noch nicht so lang andauernden Niedrigzinsphasen betrafen, so dass der Beschluss des 9. Senats einen etwas anders gelagerten Fall betrifft. Leider wird man deswegen wohl auch um eine Anrufung des Großen Senats herumkommen.“

DB: Auch auf politischer Ebene wurde der Beschluss des BFH bereits aufgegriffen. So hat die FDP-Fraktion im Bundestag am 06.06.2018 einen Antrag gestellt, in dem sie einen Gesetzesentwurf fordert, demgemäß der Zinssatz für die Nachzahlungszinsen „zeitnah und realitätsgerecht“ nach unten korrigiert und eine Koppelung an einen Referenzzinssatz geprüft werden solle. Kurzum: Werden die Nachzahlungszinsen vom Gesetzgeber Ihrer Meinung nach bald angepasst?

Büttner: „Die Diskussion über die Höhe des Zinssatzes ist, wie man auch den entsprechenden Entscheidungen entnehmen kann, nicht mehr ganz neu. Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags haben letztes Jahr eine entsprechende Ausarbeitung vorgenommen und man sieht, dass sich der Gesetzgeber – oder jedenfalls Teile davon –glücklicherweise mal mit dieser Frage beschäftigt. Aber um Ihnen eine Antwort zu geben: Ja, ich denke, dass die Zinsregelung angepasst wird, ich zweifele aber daran, dass dies bald geschieht. Der Gesetzgeber wird sicherlich noch abwarten, wie die derzeit noch laufenden Verfahren ausfallen werden.

Und bis dahin wird vermutlich weiterhin das Motto gelten: ‚Freude schenken, fiskalisch denken‘.“

DB: Interessant ist in diesem Kontext, dass es einen thematischen Bogen zu einem EuGH-Urteil vom 15.09.2016 (Senatex GmbH) gibt. Denn der EuGH hatte über eine rückwirkende Rechnungskorrektur im Umsatzsteuerrecht zu entscheiden, nach der – jedenfalls in Fällen, in denen keine rückwirkende Korrektur möglich ist – die Verzinsung nach § 233a AO voll zuschlagen kann. Wie stehen die beiden Fälle zueinander?

Büttner: „Korrekt. Soweit eine Rechnungskorrektur keine Rückwirkung entfaltet, kann in verschiedenen Konstellationen eine Zinslast entstehen. Interessant ist an dem EuGH-Urteil, dass es die in der Abgabenordnung verankerte Verzinsung dem Grunde nach aufgreift und das pauschale Entstehen von Nachzahlungszinsen in seiner Entscheidung missbilligt. Insoweit sollte der Gesetzgeber, aber auch die Finanzverwaltung, insgesamt nochmal über die Angemessenheit und den Anwendungsbereich dieser sog. Vollverzinsung nachdenken.“

DB: Das BMF hat sich in einem aktuellen BMF-Schreiben vom 14.06.2018 zur Aussetzung der Vollziehung bei den Nachzahlungszinsen geäußert. Ihr Rat: was sollten Betroffene jetzt tun?

Büttner: „Einspruch einlegen und jedenfalls für Verzinsungszeiträume ab dem 01.04.2015 natürlich unter Berufung auf das BMF-Schreiben aussetzen lassen. In der Abgabenordnung ist ein Zinseszins nicht vorgesehen, so dass Betroffene insoweit keine Sorge haben müssen, dass die Nachzahlungszinsen während der Aussetzung der Vollziehung nochmals verzinst werden.

DB: Vielen Dank für das Interview, Herr Büttner!

 Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

 


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