Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft, die in den Streitjahren 99,995 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft nach belgischem Recht mit Sitz in Belgien (nachfolgend NV) hielt. Nach Gründung im Jahr 1982 agierte die NV als Holding- und Managementgesellschaft ihrer Unternehmensgruppe und hielt hierzu sowohl ausländische als auch inländische Unternehmensbeteiligungen. Die Geschäftstätigkeit der NV erfasste die Vergabe von Darlehen an die operativen Gesellschafter ihrer Unternehmensgruppe und Dritte, die Desinvestition von Beteiligungen zur Förderung des Unternehmenszwecks der Unternehmensgruppe sowie den Ankauf von Beteiligungen. Für die Ausübung ihrer Geschäftstätigkeiten in Belgien mietete die NV einen Raum von ca. 15–20 qm Größe an, besaß eigene Telefon- und Faxanschlüsse sowie E-Mail-Adressen und Büroausstattung. Die Geschäfte der NV wurden durch vier Verwaltungsratsmitglieder – einen belgischen und drei deutsche – geführt. In den Streitjahren erzielte die NV Zinserträge, Erträge aus der Erbringung von Beratungsleistungen sowie Erträge aus Finanzanlagen. Aufgrund von Besonderheiten des belgischen Steuerrechts wurde gegenüber der NV in den Streitjahren keine Ertragsteuer festgesetzt.
Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung kam im Rahmen einer Auftragsprüfung zu dem Ergebnis, dass die von der NV erzielten Zinserträge von der Klägerin als Zwischeneinkünfte im Wege der Hinzurechnungsbesteuerung zu versteuern seien. Die Klägerin war hingegen der Auffassung, dass kein Hinzurechnungsbesteuerungsfall vorläge.
Erfolg vor dem Finanzgericht
Das Finanzgericht Münster hat der Klage mit Urteil vom 06.02.2024 (2 K 842/19 F) vollumfänglich stattgegeben, da die NV keine Zwischengesellschaft sei.
Zwar seien die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AStG erfüllt. Die NV habe Einkünfte erzielt, die in Belgien einer niedrigen Besteuerung unterlegen hätten. Zudem stammten die Einkünfte nicht aus einer in § 8 Abs. 1 AStG genannten (aktiven) (Ausschluss-)Tätigkeit. Für die Prüfung der Ausschlusstatbestände des § 8 Abs. 1 AStG sei bei funktionaler Betrachtungsweise von einer einheitlich zu beurteilenden (Holding-)Tätigkeit der NV auszugehen, da zwischen den verschiedenen Tätigkeiten der NV ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang bestanden habe. Diese Holdingtätigkeit sei nicht von den abschließend aufgezählten (aktiven) Tätigkeiten i. S. d. § 8 Abs. 1 Nr. 1–9 AStG erfasst. Doch auch bei einer Segmentierung der Tätigkeiten der NV in eine Holding-, Kreditvergabe-, Beratungs- und Veräußerungstätigkeit seien die Ausschlusstatbestände des § 8 Abs. 1 Nr. 5, 7 und 9 AStG im Hinblick auf die streitigen Zinserträge nicht erfüllt.
Nachweis nach § 8 Abs. 2 AStG
Der Klägerin sei jedoch der Nachweis nach § 8 Abs. 2 AStG gelungen. Danach sei eine Gesellschaft, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU habe, nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte, für die nachgewiesen werde, dass die Gesellschaft insoweit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgehe. Hinsichtlich der – im Gesetz nicht definierten – Anforderungen an eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit seien ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/6290, S. 92) in Anlehnung an die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-196/04 (Cadbury Schweppes) die folgenden Kriterien relevant: eine stabile und kontinuierliche Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates, eine tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in dem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit und die Feststellung dieser Voraussetzungen anhand objektiver, von dritter Seite nachprüfbarer Anhaltspunkte. Dabei könne die Teilnahme am Wirtschaftsleben auch gegenüber einem verbundenen Unternehmen erfolgen.
Der BFH wird das letzte Wort haben
Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls habe die NV in den Streitjahren aktiv, ständig und nachhaltig im Rahmen ihrer Eigenschaft als Holding- und Managementgesellschaft am Wirtschaftsleben in Belgien teilgenommen, über entsprechend qualifiziertes Personal und geeignete Geschäftsräume und damit über genügend wirtschaftliche „Substanz“ verfügt und ihre Einkünfte aus eigener (Holding-)Tätigkeit erzielt. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei nicht erforderlich, dass die NV (auch) an dem Absatzmarkt in Belgien teilgenommen habe. Der Leistungsaustausch zwischen der ausländischen Gesellschaft und dem Markt ihres Aufnahmemitgliedstaates sei nicht auf den dortigen Absatzmarkt beschränkt. Vielmehr genüge es, wenn sich die ausländische Gesellschaft lediglich an den Beschaffungsmarkt wende, beispielsweise – wie bei der NV – durch Anmietung der festen Geschäftseinrichtung. Dies folge bereits aus dem Sinn und Zweck der Niederlassungsfreiheit. Für das FG Münster sei auch nicht ersichtlich, dass es sich bei der Tätigkeit der NV um eine rein künstliche Briefkasten- bzw. rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung handele. Zwar habe sich der Umfang der Tätigkeiten über die Jahre geändert, der Inhalt der Tätigkeit sei seit Gründung der NV jedoch vergleichbar geblieben.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist beim Bundesfinanzhof unter dem Az. IX B 35/24 anhängig.