Hintergrund: Verluste aus Kapitalvermögen
Private Anleger können Verluste aus Kapitalvermögen bekanntermaßen lediglich mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnen. So ist es beispielsweise nicht möglich, dass Verluste aus Aktien mit gewerblichen Einkünften i.S.d. § 15 EStG ausgeglichen werden. Vielmehr kommt es nach § 20 Abs. 6 EStG zu einer sog. Schedulenbesteuerung. Darüber hinaus enthält die Regelung des § 20 Abs. 6 EStG für bestimmte Verluste (insbesondere aus Aktienveräußerungen, Termingeschäften und durch Ausfall von Forderungen) weitere Einschränkungen, welche für private Anleger sehr ärgerlich sind. Verluste aus Termingeschäften unterliegen dabei einer doppelten Beschränkung. So dürfen diese Verluste i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG (insbesondere aus Optionsgeschäften, vgl. BT-Drucks. 19/15876, S. 61) lediglich mit Gewinnen aus Termingeschäften i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG und mit Erträgen aus sog. Stillhaltergeschäften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG (Stillhalterprämien) verrechnet werden (insoweit vergleichbar mit der Beschränkung für Verluste aus Aktienveräußerungen), allerdings lediglich i.H.v. 20.000 € p.a. Dies kann zu unerfreulichen Ergebnissen führen. Musste ein Steuerpflichtiger vor Einführung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 mit Anwendung ab 2021 keine Einkünfte besteuern, wenn er 500.000 € Gewinne und 500.000 € Verluste aus Termingeschäften in einem Veranlagungszeitraum realisierte, muss er nun 480.000 € versteuern, wenn er solche im Jahr 2021 (oder später) erzielt hätte. Daher wurden in der Literatur seit jeher verfassungsrechtliche Bedenken an dieser Regelung geäußert.
Verfassungsrechtliche Zweifel der Finanzgerichte an der Beschränkung der Verluste aus Termingeschäften
Das FG Rheinland-Pfalz bestätigte diese als erstes FG in seinem Beschluss vom 05.12.2023 (1 V 1674/23). Nach Auffassung des FG Rheinland-Pfalz führt die betragsmäßige Beschränkung der Verlustverrechnung bei Termingeschäften gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 zur Ungleichbehandlung, für die nach vorläufiger Prüfung ein sachlicher Rechtfertigungsgrund nicht vorliege. Es gewährte daher AdV und ließ aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfrage die Revision vor dem BFH zu.
Auch der BFH teilt diese Einschätzung. In seinem Beschluss vom 07.06.2024 (VIII B 113/23) hat er entschieden, dass die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 bei summarischer Prüfung nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Ernstliche Zweifel können auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG die begehrte AdV des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr zu Recht gewährt. Dabei teilt der Senat bei der gebotenen summarischen Prüfung und ausgehend von den bisherigen Sachverhaltsfeststellungen des FG dessen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr. Die Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 führt zu einer doppelten Begrenzung des Verlustausgleichs und der Verlustverrechnung, die zu einer zeitlichen Streckung der Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften führt. Sie wirkt schärfer als die Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus der Veräußerung von Aktien des § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG aufgrund der betragsmäßigen Begrenzung. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, die er mit gleichen Rechtsfolgen belegt und damit als „wesentlich gleich“ qualifiziert. Diese Auswahl muss jedoch sachgerecht in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche erfolgen (vgl. nur BVerfG-Beschluss vom 28.11.2023 – 2 BvL 8/13, BGBl I 2024, Nr. 47, m.w.N.). Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (ständige Rechtsprechung, zuletzt BVerfG-Beschluss vom 28.11.2023 – 2 BvL 8/13, BGBl I 2024, Nr. 47, m.w.N.). Dabei ist eine zeitliche Streckung der Verlustverrechnung verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (Vorlagebeschluss des BFH vom 26.02.2014 – I R 59/12, BFHE 246 S. 27 = BStBl. II 2014 S. 1016 zur Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung bei Definitiveffekten). Der Kernbereich einer Nettoertragsbesteuerung wird aber verletzt, wenn die Gefahr besteht, dass der Verlustausgleich in der Totalperiode gänzlich ausgeschlossen ist (vgl. auch Vorlagebeschluss des BFH vom 26.02.2014 – I R 59/12, BFHE 246 S. 27 = BStBl. II 2014 S. 1016, Rz 30). Ausgehend von den dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäben hält der Senat bei der gebotenen summarischen Prüfung § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 für nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar (so auch die herrschende Sichtweise im Schrifttum). § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG bewirkt eine doppelte Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die Verluste aus Termingeschäften erzielen.
Geklagt hatte ein Ehepaar, das in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2021 unter anderem ausländische Kapitalerträge aus Termingeschäften gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG in Höhe von 250.631 € und Verluste aus Termingeschäften im Sinne dieser Vorschrift in Höhe von 227.289 € erklärten. Das Finanzamt besteuerte nach Berücksichtigung der Verluste i.H.v. 20.000 €, eines weiteren Verlustvortrages und des Sparer-Pauschbetrags Einkünfte aus Kapitalvermögen i.H.v. 213.826 € und setzte dementsprechend die Einkommensteuer für das Streitjahr in Höhe von 52.280 € fest. Dagegen legten die Kläger Einspruch ein und beantragten die AdV. Sie beriefen sich dabei auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 17.11.2020 – VIII R 11/18 (BStBl. II 2021 S. 562) zu Aktienveräußerungsverlusten und des hierzu beim BVerfG anhängigen Verfahrens 2 BvL 3/21. Sie erhoben verfassungsrechtliche Einwände gegen die Beschränkung des Verlustausgleichs der Gewinne und Verluste aus den Termingeschäften des Streitjahrs und machten geltend, dass nur der Gesamtgewinn nach Verrechnung der erzielten Gewinne und Verluste aus Termingeschäften in Höhe von 23.342 € der Besteuerung unterworfen werden dürfe. Denn bei einem wirtschaftlichen Netto-Gewinn aus Termingeschäften in Höhe von 23.342 € müssten sie aufgrund der Gesetzeslage jedoch insgesamt 59.860,60 € an Steuern bezahlen. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Der BFH gewährte jedoch die beantragte AdV aus den dargestellten Gründen.
Geplante Änderung durch das JStG 2024
In dem Beschluss des Bundestags vom 18.10.2024 ist nun eine Aufhebung des besonderen Verlustverrechnungskreises bei Termingeschäften vorgesehen. Zudem soll auch die betragsmäßige Beschränkung der Verrechenbarkeit von Verlusten aus Forderungsausfällen im Privatvermögen entfallen. Dafür sollen die § 20 Abs. 6 Satz 5 und 6 EStG rückwirkend aufgehoben werden (vgl. § 52 Abs. 28 Satz 25 und 26 EStG-E). Insoweit erfreuliche Nachrichten, wenn die Umsetzung auch entsprechend erfolgt. Die Zustimmung des Bundesrats steht noch aus. Im Falle einer Zustimmung würde lediglich der Unmut der Steuerpflichtigen verbleiben, dass die Rücknahme dieser Regelung doch so lange gebraucht und bei einer Vielzahl der Steuerpflichtigen sicherlich einige Kosten verursacht hat. Aber immerhin wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über diese Regelungen obsolet, die bekanntlich noch eine Weile gedauert hätte. Insoweit liegen hier im Ergebnis gute Nachrichten für private Anleger vor.