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12.11.2025

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Massenentlassungsverfahren – Bleibt nun doch alles beim Alten nach der Entscheidung des EuGH?

Das BAG hat sein Momentum verpasst, das Nichtigkeitsdogma im Rahmen des Konsultationsverfahrens zu hinterfragen. Bei der Massenentlassungsanzeige (MEA) will das BAG zwar weg vom Nichtigkeitsdogma; der EuGH stellt jedoch klar, dass die bisherigen Ideen des 2. und 6. Senats zu alternativen Sanktionen nicht ausreichen. Der Ball liegt damit wieder beim BAG, hier kreative Lösungen zu finden und sich zu einigen. Bis dahin bleibt es für Arbeitgeber leider vorerst dabei, dass (nahezu) alle Fehler im Rahmen des Massenentlassungsverfahrens zur Nichtigkeit der Kündigungen führen.

Nachhaltigkeitsbericht: Die Herausforderung erfolgreich meistern

RAin/FAinArbR Beatrice Christin Hotze
ist Partnerin bei Ubber Labour & Law (München).

RA Benedikt Reißnecker, LL.M. (University of Pittsburgh)
ist tätig bei Ubber Labour & Law (Frankfurt).

Die Fälle

Tomann: Ein Arbeitnehmer wurde im Rahmen einer Massenentlassung gekündigt, ohne dass zuvor eine MEA erstattet wurde. Zu klären ist damit, ob das Fehlen einer MEA die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge hat.

Sewel: Ein Arbeitnehmer wurde im Rahmen einer Massenentlassung gekündigt. Zuvor wurde eine MEA erstattet, die jedoch nicht vollständig den Vorgaben des § 17 Abs. 1 KSchG entsprach. Zu klären ist damit, ob eine fehlerhafte MEA die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge hat.

Die Vorgeschichte

Nehmen Arbeitgeber Massenentlassungen i. S. d. § 17 Abs. 1 KSchG vor, müssen sie eine MEA erstatten und – sofern ein Betriebsrat besteht – vorab ein Konsultationsverfahren durchführen. Bislang ging das BAG davon aus, dass das Konsultationsverfahren und die MEA auch individualschützenden Charakter haben. Nahezu jeder Fehler hatte daher die Unwirksamkeit der Entlassungen zur Folge.

Hoffnung gab Arbeitgebern zunächst die Entscheidung des EuGH aus 2023 (C-134/22), in der dieser auf eine Vorlage des 6. Senats (6 AZR 155/21 (A)) u.a. betonte, dass das Recht der Arbeitnehmervertretung auf Konsultation kollektiver Natur ist. Das Nichtigkeitsdogma des BAG bei Fehlern im Konsultationsverfahren schien damit „zu wackeln“.

Der 6. Senat nahm im Anschluss ein anderes Verfahren (6 AZR 157/22; Tomann) zum Anlass, seine gesamte Rechtsprechung zum Massenentlassungsverfahren zu überdenken. Zunächst betonte der 6. Senat, dass es für das Konsultationsverfahren beim Nichtigkeitsdogma bleibt. Der 6. Senat will jedoch bei der MEA seine Rechtsprechung ändern. Insbesondere scheint es dem 6. Senat darum zu gehen, ein kohärentes System zu schaffen, denn die selbst anerkannten Ausnahmen vom Nichtigkeitsdogma führen nicht zu einem in sich schlüssigen Sanktionssystem. Der 6. Senat fragte daher beim 2. Senat an, ob dieser bereit sei, seine Rechtsprechung (2 AZR 371/11) zum Nichtigkeitsdogma bei Fehlen oder Fehlern der MEA aufzugeben. Ist der 2. Senat hierzu nicht bereit, wäre nach § 45 Abs. 3 S. 1 ArbGG der Große Senat anzurufen.

Der 2. Senat antwortet jedoch nicht, da er sich ohne Hinzuziehung des EuGH hierzu nicht in der Lage sah und legte diesem verschiedene Fragen vor (2 AS 22/23 (A)). Der 2. Senat betonte zunächst, dass auch er bei Fehlern im Konsultationsverfahren beim Nichtigkeitsdogma bleibt. Aber immerhin: Auch der 2. Senat will von der Nichtigkeitsfolge bei Fehlern bei der MEA weg. Die Idee des 2. Senats: Die MEA kann nachgeholt werden. Bis dahin läuft die i.d.R. einmonatige Entlassungssperre nicht an. Die Kündigungen werden erst nach Ablauf der Entlassungssperre wirksam.

Dem EuGH legt der 2. Senat folgende Fragen (vereinfacht) vor:

  • Muss die Entlassungssperre erst ablaufen, bevor eine Entlassung wirksam werden kann und wenn ja, kann die Entlassungssperre auch anfangen zu laufen, wenn die MEA nicht ordnungsgemäß war?
  • Kann eine MEA nachgeholt werden, sodass die Entlassungen nach Ablauf der damit in Gang gesetzten Entlassungssperre wirksam werden?
  • Kann es ausreichen, dass die Agentur für Arbeit (AfA) den Ablauf der Entlassungssperre für alle Parteien verbindlich feststellt?

Der 6. Senat hat eine andere Idee: Wird keine MEA erstattet, verlängert sich die individuelle Kündigungsfrist um 2 Monate. Wird eine fehlerhafte MEA erstattet, verlängert sich die Kündigungsfrist um 1 Monat. Der 6. Senat versucht sich nun wieder, „ins Spiel zu bringen“, indem er argumentiert, der 2. Senat habe dem EuGH überhaupt nicht vorlegen dürfen und nutzt ein anderes bei ihm anhängiges Verfahren (6 AZR 152/22 (A); Sewel) dazu, seinerseits dem EuGH (vereinfacht) folgende Fragen vorzulegen:

  • Braucht es überhaupt eine Sanktion, wenn die AfA eine fehlerhafte MEA nicht beanstandet?
  • Kann eine fehlerhafte oder fehlende MEA nach Zugang der Kündigung nachgeholt werden?
  • Genügt das Nichtanlaufen der Entlassungssperre als Sanktion?

Am 30. Oktober 2025 hatte der EuGH nun die Gelegenheit, sich zum Streit zwischen 2. und 6. Senat zu äußern. Zunächst stellt der EuGH (C-134/24) i.S. Tomann klar, dass der 2. Senat vorlegen durfte und antwortet diesem wie folgt:

  • Eine Entlassung kann erst nach Ablauf der Sperrfrist wirksam werden, was wiederum voraussetzt, dass der Arbeitgeber eine MEA erstattet.
  • Ob auch eine nicht ordnungsgemäße MEA die Sperrfrist in Gang setzen kann, ist für das Verfahren nicht entscheidungserheblich, da es überhaupt keine MEA gab.
  • Die in der Massenentlassungsrichtlinie vorgesehene Abfolge Konsultationsverfahren – MEA – Vornahme der Entlassungen ist zwingend. Eine Nachholung der MEA bei fehlender MEA scheidet damit aus.
  • Ob es ausreicht, wenn die AfA den Ablauf der Entlassungssperre für alle Parteien verbindlich feststellt, ist für das Verfahren ebenfalls nicht entscheidungserheblich, da es eine solche Feststellung der AfA hier nicht gab.

Dem 6. Senat antworte der EuGH (C-402/24) i.S. Sewel wie folgt:

  • Weder der Amtsermittlungsgrundsatz noch eine Nichtbeanstandung der MEA durch die AfA entbinden den Arbeitgeber von seinen Pflichten zur Erstattung einer ordnungsgemäßen MEA.
  • I.S. Sewel wurde die fehlerhafte MEA nicht korrigiert. Es ist mithin nicht entscheidungserheblich, welche Folgen eine Korrektur gehabt hätte.
  • Das (vorläufige) Nichtanlaufen der Sperrfrist genügt als Sanktion für eine fehlerhafte MEA nicht. Der EuGH betont jedoch auch, dass eine Nichtigkeit als Sanktion nicht zwingend ist.

Wie es nun weitergeht

Auch wenn es wünschenswert gewesen wäre, eine abschließende Klärung durch den EuGH zu erhalten, ist dies nicht seine Aufgabe. Das Vorabentscheidungsverfahren dient der Klärung für das konkrete Verfahren entscheidungserheblicher Rechtsfragen und gerade nicht der Erstattung von Rechtsgutachten durch den EuGH.

Was nun geklärt ist:

  • Weder der 2. noch der 6. Senat wollen vom Nichtigkeitsdogma bei Fehlern im Konsultationsverfahren abweichen, was nach der Betonung des kollektiven Charakters dieses Verfahrens durch den EuGH absolut nicht zwingend erscheint.
  • Eine Bestätigung der AfA, dass die MEA ordnungsgemäß ist, genügt nicht.
  • Eine fehlende MEA kann nicht nach Ausspruch der Entlassungen nachgeholt werden.
  • Es muss bei fehlerhafter MEA eine stärkere Sanktion als das Nichtanlaufen der Entlassungssperre geben. Damit ist auch die Idee des 6. Senats zu einer Hemmung der Kündigungsfristen, die sogar dahinter zurückbleibt, obsolet. Die Nichtigkeit muss es als Sanktion aber nicht sein. Dies dürfte auf den „schlimmeren“ Fall einer gänzlich fehlenden Anzeige zu übertragen sein.

Was noch offen ist:

  • Ob eine fehlerhafte (nicht fehlende) MEA nach Ausspruch der Entlassungen korrigiert werden kann.
  • Wie eine angemessene Sanktion unterhalb der Nichtigkeit aber oberhalb des Nichtanlaufens der Entlassungssperre aussehen kann.

Ob das BAG eine angemessene Sanktion unterhalb der Nichtigkeit findet, die den Vorgaben des EuGH entspricht, erscheint sehr fraglich. Lösungsansätze in Form von Ordnungswidrigkeitstatbeständen sind dem Gesetzgeber vorbehalten. Aber selbst, wenn das BAG hier zu kreativen Lösungen käme, müssten sich der 2. und 6. Senat zunächst einig werden oder dies über den Großen Senat klären.

Vorerst bleibt damit alles beim Alten und die Nichtigkeit hängt weiter als Damoklesschwert über jedem Massenentlassungssachverhalt. Arbeitgeber müssen daher sowohl im Rahmen des Konsultations- als auch des MEA-Verfahrens penibel alle bürokratischen Anforderungen erfüllen.


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