DB: Der M&A-Markt erlebt gerade eine nie dagewesene Krise. Transaktionen werden entweder storniert oder verschoben. Was sind die größten Schwierigkeiten für M&A-Transaktionen im aktuellen Umfeld?
Schackmann: „Die Besonderheiten der COVID-19-Krise sind vielschichtiger als während der Finanzkrise. Zum einen besteht im aktuellen Umfeld erhebliche Unsicherheit darüber, wie Geschäftsmodelle der Vergangenheit in Zukunft weiterentwickelt werden können, ob und wie lange auf eine Erholung des wirtschaftlichen Umfelds zu warten ist bzw. welche Player in Zukunft überhaupt noch den Markt bestimmen werden. Damit sind Bewertungen für Zielunternehmen nahezu unmöglich und die Bewertungen der Vor-COVID-19-Zeiten häufig Makulatur.
Im Hinblick auf diejenigen Unternehmen, die im aktuellen Umfeld Wachstum und Profitabilität zeigen, stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit des außergewöhnlichen Erfolgs. Auf der Investorenseite lautet die Devise ‚Liquidität zusammenhalten‘. Eine andere Besonderheit ist die Sequenz: Während die Finanzkrise von einem auf den anderen Tag da war, hat sich die COVID-19-Krise über mehrere Monate entwickelt. Während vor drei Wochen der US- und UK-M&A Markt nahezu unbeeinträchtigt funktionierten, finden dort aktuell nahezu keine Transaktionen mehr statt. In Europa fing der Markt hingegen schon einige Zeit zuvor an, sukzessive auszutrocknen. Die größte Schwierigkeit aber wird sein, welche Anforderungen an die Investoren und Zielunternehmen gestellt werden, wenn die Beschränkungen gelockert werden und wie schnell dies erfolgt, insbesondere im Hinblick auf globale Lieferketten. Es ergibt wenig Sinn, in Deutschland die Beschränkungen zu lockern, wenn zahlreiche Industrien von Zulieferungen aus Ländern abhängig sind, die noch in einem kompletten Lock-Down agieren.“
DB: Werden sich also Due-Diligence-Prüfungen verändern?
Schackmann: „Perspektivisch werden die Due Diligence-Prüfungen im Grundsatz vergleichbaren Mustern der Vergangenheit folgen. Wir werden aber eine Fokussierung bei zahlreichen Themen sehen, die in der Corona-Krise besondere Relevanz hatten. Beispielhaft sei nur auf ‚höhere Gewalt‘-Klauseln in Liefer- und Leistungsbeziehungen oder außerordentlichen Kündigungsrechten in Finanzierungsverträgen wegen besonderer (Außen-)einflüsse verwiesen.“
DB: Müssen M&A-Verträge in der Zukunft im Hinblick auf Pandemien angepasst werden? Spielen dann vielleicht Rücktrittsklauseln eine bedeutendere Rolle als bisher?
Schackmann: „Sie spielen auf die sog. MAC-Klauseln bzw. Material Adverse Change-Klauseln an, die – je nach Ausgestaltung – in der Regel dem Käufer die Möglichkeit einräumen, zwischen dem sog. Signing und Closing von einer Transaktion sanktionsfrei zurückzutreten, wenn sich die Marktverhältnisse wesentlich nachteilig verändern.
In der Tat sind diese Klauseln in Deutschland in der Vergangenheit – anders als im angelsächsischen Rechtskreis – selten verhandelbar gewesen und wir erwarten eine Zunahme der Diskussion um derartige Klauseln, insbesondere mit dem Argument der COVID-19-Erfahrungen. Auf den ersten Blick scheinen potenzielle Käufer gute Argumente für die Einführung derartiger Klauseln an der Hand zu haben.
Andererseits sollten sich Käufer nicht in Sicherheit wägen, da derartige Klauseln ein sehr zweischneidiges Schwert sind. Sind die Klauseln eng gefasst, dann kann genau der Sachverhalt, der einen Käufer zum Rücktritt bewegt, nicht erfasst sein. Sind die Klauseln zu weit gefasst, geht ein Käufer bei Ausübung seines Rücktrittsrechts das Risiko ein, dass ein Verkäufer dem Vorliegen der Voraussetzung widerspricht. In diesen Fällen ist ein Streit über den berechtigten Rücktritt vorprogrammiert, und zwar mit allen Folgefragen und Risiken für das operative Geschäft – und damit letztlich für alle Vertragspartner. Deshalb gehen wir davon aus, dass die Diskussionen um derartige Klauseln zunehmen werden und in einem – vermutlich künftigen – Käufermarkt auch durchsetzbar sind. Schwierigkeiten werden angemessene Formulierungen und Streitbeilegungsmechanismen bereiten.“
DB: Erwarten Sie bald eine Diskussion über den Transfer von Kernindustrien in den öffentlichen Sektor?
Schackmann: „Bereits vor einigen Wochen hatten wir die Prognose gewagt, dass das Außenwirtschaftsrecht von der aktuellen Situation nicht verschont bleiben wird. Seit dem 8. April haben wir nun Gewissheit. Die Frage ist, um welche Industrien der Katalog über die Zeit erweitert werden wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass die aktuellen Bereiche nur der Anfang sind und zusätzliche Erfahrungen über den Zeitverlauf der Krise durchaus das Potential haben, den Katalog zu erweitern.“
DB: Blicken wir in die Welt: Auch in anderen Ländern bleiben Fusionen und Übernahmen nicht von der Corona-Krise verschont. Welche Auswirkungen in Bezug auf Tempo und Volumen der Geschäftstransaktionen zeigen sich anderorts?
Schackmann: „Es ist erstaunlich, wie schnell COVID-19 die Märkte zum Erliegen gebracht hat. Dem Dominoeffekt folgend, sind nach China zunächst die südeuropäischen Märkte, dann Mitteleuropa und inzwischen auch UK und die USA eingebrochen. Wir sehen, dass große Transaktionen noch fortgeführt werden, wohingegen kleinere und mittlere Transaktionen fast durchweg auf Eis liegen oder abgebrochen wurden.
Andererseits erwarten wir sehr zeitnah eine Wiederaufnahme der M&A-Aktivitäten durch Investoren, die über ausreichende Liquidität verfügen und die Gelegenheit nutzen, um Unternehmen, die infolge von COVID-19 in die Krise geraten sind, zu übernehmen. Mit anderen Worten: Der Distressed M&A-Markt wird für die nächsten Monate, wenn nicht sogar Jahre, ein Treiber im M&A-Bereich sein.“
DB: Und welche länderspezifischen Herausforderungen sehen wir konkret in Europa?
Schackmann: „Die Antwort auf diese Frage kann als Ergänzung zu dem zuvor Beschriebenen gesehen werden. Soweit Transaktionen fortgeführt werden, sehen sich die handelnden Akteure vor erheblichen praktischen Problemen. Wenn Sie beispielsweise Genehmigungen, Bestätigungen oder Erklärungen von öffentlichen Stellen benötigen, ist es aktuell in vielen Ländern unmöglich, diese zu erhalten. Auch sehen wir in einigen Ländern, dass Fristen fingiert werden. Beispielsweise wird in Österreich die Prüfungsfrist für Fusionskontrollverfahren, die bis zum 30.04.2020 angemeldet werden, als ab dem 01.05.2020 angemeldet behandelt. Damit beginnt die Prüfungsfrist am 01.05.2020 womit sich die Kartellbehörden zusätzliche Zeit verschaffen. “
DB: Was empfehlen Sie Unternehmen, die sich in laufenden Verhandlungen zu einer Unternehmenstransaktion befinden? Sollten Klauseln auf Ereignisse wie Pandemien angepasst werden?
Schackmann: „Ich denke nicht, diesbezüglich eine Empfehlung abgeben zu müssen, da die Parteien in der Regel einen Blick und ein gutes Verständnis davon haben sollten, welche Auswirkungen die COVID-19-Krise kurz-, mittel- und langfristig für die spezielle Transaktion hat und welche Themen damit zusätzlich auf die Liste der Verhandlungsthemen wandern. Ich kann mir durchaus zahlreiche Situationen vorstellen, in denen die COVID-19-Situation eine Transaktion sogar noch interessanter macht, weil ein sich änderndes Verständnis von gewissen Märkten neue Perspektiven eröffnet, z.B. im Bereich der Diagnostik oder Medizintechnik. Hier wird ein in der Vergangenheit ohnehin schon starker Verkäufermarkt den Verkäufern zusätzliche Argumente an die Hand geben, um sich durchzusetzen. In der Mehrzahl der Transaktionen steht aber zu erwarten, dass wir einen Wechsel vom Verkäufer- hin zu einem Käufermarkt sehen werden. Ganz entscheidend in zahlreichen Transaktionen wird die Antwort auf die Frage sein, wie sich finanzierende Banken zu der Transaktion im aktuellen COVID-19-Umfeld verhalten.“
DB: Vielen Dank für das Interview!