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24.05.2017

Interview

Lohntransparenzgesetz: „Für einen Kulturwandel bedarf es mehr“

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Der Betrieb

Das Lohntransparenzgesetz soll Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern bekämpfen: Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitern erhalten künftig einen Auskunftsanspruch zu den Entgeltstrukturen. Welche Auswirkungen das Gesetz in den Unternehmen haben wird, erklärt Unternehmerin Claudia Helming, Gründerin und Geschäftsführerin von DaWanda, im Interview.

DER BETRIEB: Familien- und Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) hofft, dass sich Unternehmen künftig verstärkt mit ihren Entgeltstrukturen auseinandersetzen, was langfristig zu einem Kulturwandel führen soll. Klingt das für Sie als Unternehmerin realistisch?

Claudia Helming: „Wenn das Lohntransparenzgesetz Anstoß für Unternehmen ist, sich verstärkt mit ihren Entgeltstrukturen auseinanderzusetzen bzw. diese nachzubessern, so ist das natürlich ganz wunderbar. Für einen Kulturwandel bedarf es allerdings mehr. Schließlich muss man bei der Lohndifferenz unterscheiden zwischen dem unbereinigten Gender Pay Gap (GPG), also dem unterschiedlichen Durchschnittsverdienst von Frauen und Männern in allen Branchen und Positionen, und dem Lohnunterschied bei gleicher und vergleichbarer Qualifikation und Tätigkeit.

Der GPG wird vom Statistischen Bundesamt berechnet und betrug im letzten Jahr 21 % – Frauen erhalten also ein Fünftel weniger Lohn als Männer. Oder anders ausgedrückt: Für jeden Euro, den ein Mann verdient, erhält eine Frau nur 79 Cent.

Diese enorme Differenz liegt vor allem an der unterschiedlichen Branchen- und Berufswahl und der Tatsache, dass Frauen seltener in Führungspositionen arbeiten. Außerdem sind sie öfter in Teilzeit beschäftigt, bleiben häufiger und länger nach der Geburt eines Kindes zu Hause und sind damit kürzer in ihren Berufen beschäftigt als Männer. Auf genau diese ungleiche Behandlung und Bezahlung von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft, auf schlechtere Zugangschancen zu bestimmten Berufen oder Karrierestufen, wird das Lohntransparenzgesetz keine Auswirkungen haben. Doch genau hier sehe ich Handlungsbedarf, hier bedarf es einen Kulturwandel.“

DER BETRIEB: Befürchten Sie, dass der Auskunftsanspruch dazu geeignet ist, den Betriebsfrieden zu stören, wenn Arbeitnehmer – Frauen oder Männer – anfangen, ihren Lohn zu hinterfragen und mit Kollegen zu vergleichen?

Claudia Helming: „Auf jeden Fall! Es gibt die Redensart „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ – für viele Unternehmen, in denen Frauen und Männer unterschiedlich bezahlt werden, ist das Nichtwissen der Frau heute ein Segen. Das bestätigte Wissen darüber, weniger Lohn zu erhalten als männliche Kollegen, wird weibliche Angestellte enorm frustrieren. Und sie werden zu Recht mehr fordern. Doch nicht alle Unternehmen können diesen Forderungen aus wirtschaftlichen Gründen direkt nachkommen – hier sind Spannungen vorprogrammiert.

Das Lohngleichheitsgesetz wird Konflikte offen legen, die bisher als Vermutung im Raum standen. So wird künftig mehr und offener diskutiert werden – was gut ist. Und das Gesetz wird dafür sorgen, dass Frauen sich verstärkt mit der Frage auseinander setzen „Was ist meine Arbeit wert?“. Denn dieses Wissen ist Voraussetzung dafür, konkrete Gehaltsvorstellungen zu definieren und so offensiv zu einzufordern, wie Männer das bereits heute tun.

Wir bei DaWanda bezahlen unsere Mitarbeiter fair und machen dabei keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Um unseren Betriebsfrieden machen wir uns daher keine Sorgen.“

DER BETRIEB: Kommt mit dem individuellen Auskunftsanspruch, der Berichtspflicht und den Prüfverfahren nicht ein großer bürokratischer Mehraufwand auf Unternehmer zu? Welchen Aufwand verursacht das neue Gesetz in Ihrem Betrieb?

Claudia Helming: „Da das Lohngleichstellungsgesetz erst im Mai in Kraft getreten ist, wird sich der tatsächliche administrative, bürokratische Aufwand erst in den nächsten Monaten zeigen.

Bei DaWanda werden Frauen genauso fair bezahlt wie Männer, hier gilt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Da Mitarbeiterinnen das Gesetz nur in Anspruch nehmen und nach dem Einkommen ihrer männlichen Kollegen fragen werden, wenn sie eine ungerechte Bezahlung vermuten, erwarten wir keinen Ansturm.“

DER BETRIEB: Sind Sie der Ansicht, dass das Gesetz zu mehr Gerechtigkeit führt und ist es eher ein Papiertiger, der in der Praxis keine große Auswirkung auf den Gender Pay Gap haben wird?

Claudia Helming: „Indem es künftig für mehr Transparenz sorgt, ist das Gesetz ein weiterer kleiner Schritt auf dem Weg zu Lohngerechtigkeit. Noch wichtiger als das Gesetz ist jedoch, wie Frauen künftig mit diesem Wissen umgehen. Wenn ich in einen Bewerbungsgespräch ein geringes Gehalt verlange, werden es nur die wenigsten Unternehmen von sich aus nach oben korrigieren. Denn natürlich muss jeder Unternehmer möglichst kostensparend denken.

Es ist also enorm wichtig, was Frauen mit ihrem neu gewonnenen Wissen anfangen, dass sie aktiv werden und konkrete, angemessene Forderungen stellen. Dass sie höhere Positionen anstreben und sich vor jedem Bewerbungsgespräch intensiv über die Gehaltsstrukturen in der entsprechenden Branche informieren – und dabei nicht nur Freundinnen oder weibliche Kontakte befragen sondern unbedingt auch männliche. Denn erst, wenn Frauen erkennen und begreifen, was ihre Arbeit tatsächlich wert ist, sind sie auch in der Lage, ein entsprechendes Gehalt bzw. eine angemessene Position einzufordern. Und diese selbstbewusste Forderung ist Voraussetzung dafür, dass die Lohnlücke – zumindest bei vergleichbarer Tätigkeit – geschlossen werden kann.“

Vielen Dank für das Interview aus Unternehmersicht, Frau Helming!

 

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.


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