Durch den internationalen Informationsaustausch über das Country-by-Country Reporting sollen nach dem Willen der OECD und der EU aggressive Steuergestaltungen oder Planungen multinationaler Konzerne bekämpft werden. Prof. Dr. Christoph Spengel hält den Austausch von Länderberichten nicht für das geeignete Mittel und regt vielmehr gesetzliche Änderungen zur Vermeidung von Steuergestaltungen an.
DB: Herr Professor Spengel, im Februar dieses Jahres haben Sie mit dem ZEW eine Studie veröffentlicht, nach der ein Country-by-Country Reporting kaum gegen aggressive Steuerplanung hilft. Woran machen Sie das fest?
Prof. Dr. Christoph Spengel: „Multinationale Unternehmen betreiben wie jeder andere Steuerzahler Steuerplanung auf legalem Wege durch Ausnutzung von Spielräumen, die durch schlechte Gesetzgebung sowie fehlende Abstimmung der nationalen Besteuerungssysteme entstehen. Die Finanzverwaltungen sind mit den typischen Gestaltungen bereits bestens vertraut, sodass es fraglich erscheint, inwiefern die Daten aus den Country-by-Country Reports eine neue Informationsquelle für die Steuerbehörden darstellen können. Und ob durch eine Veröffentlichung der Daten tatsächlich ein hinreichender öffentlicher Druck auf die Unternehmen entsteht, ist ebenfalls zweifelhaft. Das Country-by-Country Reporting deckt nämlich keine illegalen Aktivitäten auf, sondern gibt lediglich ein Indiz dafür, in welchem Umfang einzelne Unternehmen Maßnahmen zur Minimierung der Steuerbelastung nutzen.“
DB: Im Rahmen der EU-Initiativen gegen aggressive Steuergestaltungen sollen europäische Konzerne dazu verpflichtet werden, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten sowie ihre erzielten Gewinne und die darauf entrichteten Steuern in jedem einzelnen Land offenzulegen. Das EU-Parlament hat am 4. Juli einen Berichtsentwurf dazu verabschiedet. Wie bewerten Sie diese Maßnahmen, sehen Sie mögliche Gefahren für die Unternehmen?
Prof. Dr. Christoph Spengel: „Nach dem Berichtsentwurf sollen multinationale Unternehmen, die einen konsolidierten Jahresumsatz von mindestens 750 Mio. Euro aufweisen und mindestens eine Tochtergesellschaft oder eine Betriebsstätte innerhalb der EU unterhalten, zur Veröffentlichung eines Country-by-Country Reports für den gesamten Konzern verpflichtet werden. Dies kann für EU-basierte Unternehmen, die über dem Schwellenwert liegen, zu Wettbewerbsnachteilen führen. Ausschließlich in Drittstaaten tätige Konkurrenten, die ihrerseits nicht zur Berichterstattung verpflichtet sind, können anhand des öffentlichen Reports nämlich ablesen, wie profitabel diese Unternehmen an ihren einzelnen Standorten sind. Darüber hinaus birgt die vorgesehene Regelung auch die Gefahr, dass expandierende Unternehmen aus Drittstaaten davon abgehalten werden, in der EU erstmalig eine Niederlassung zu begründen. Sobald ein multinationales Unternehmen eine einzige Tochtergesellschaft oder Betriebsstätte in der EU unterhält, besteht eine Offenlegungspflicht für den gesamten Konzern mit allen weltweiten Niederlassungen.“
DB: Der aktuelle Richtlinienvorschlag sieht u.a. Beschränkungen hinsichtlich der Ausnahmen für Unternehmen in Bezug auf die Verpflichtung zur Offenlegung der Steuerinformationen im Rahmen des öffentlichen Country-by-Country Reportings vor. Welche Auswirkungen können sich hieraus für die betroffenen Unternehmen konkret ergeben?
Prof. Dr. Christoph Spengel: „Nach dem Berichtsentwurf können die Mitgliedstaaten Unternehmen auf Antrag genehmigen, einzelne Informationen für einzelne Länder nicht in den Report aufzunehmen, soweit die Offenlegung dieser Informationen den Unternehmen ‚ernsthaft schaden‘ würde. Die Europäische Kommission kann allerdings die von den Mitgliedstaaten erteilten Ausnahmen widerrufen, falls sie anderer Auffassung ist. Zudem darf eine Ausnahme nur gewährt werden, wenn sie ein ‚den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes und ausgewogenes Verständnis der steuerlichen Verhältnisse des Unternehmens‘ nicht verhindert. Diese unbestimmten Formulierungen lassen erheblichen Interpretationsspielraum und beeinträchtigen folglich die Rechtssicherheit für die betroffenen Unternehmen.“
DB: Nun hat das BMF am 11. Juli sein Schreiben „Anforderungen an den länderbezogenen Bericht multinationaler Unternehmensgruppen (Country-by-Country Report)“ veröffentlicht. Verbessert sich damit der Informationsgehalt?
Prof. Dr. Christoph Spengel: „Das auf OECD-Ebene beschlossene vertrauliche Country-by-Country Reporting an die Steuerbehörden der teilnehmenden Länder wurde in Deutschland durch § 138a AO für Wirtschaftsjahre ab 2016 umgesetzt. Das BMF-Schreiben vom 11. Juli 2017 befasst sich lediglich mit technischen und administrativen Details der Datenübermittlung und hat folglich keine Auswirkung auf den Informationsgehalt.“
DB: Wie schätzen sie die Kostenbelastung der betroffenen Unternehmen ein?
Prof. Dr. Christoph Spengel: „Durch die Einführung eines Country-by-Country Reporting entstehen den betroffenen Unternehmen zunächst einmalige Kosten für die erstmalige Implementierung eines entsprechenden Reporting-Systems sowie jährliche Kosten für die Erstellung der Berichte. Sofern die Berichte durch einen Wirtschaftsprüfer zu prüfen sind, fallen hierfür weitere jährliche Kosten an. Die genaue Höhe dieser Kosten ist unternehmensspezifisch und hängt unter anderem von der Größe des Konzerns, der Komplexität der Konzernstruktur und der bisherigen Ausgestaltung des konzerninternen Berichterstattungssystems ab. Neben diesen direkten Kosten kann das Country-by-Country Reporting aber auch gravierende implizite Kosten verursachen. Falls nur bestimmte Unternehmen (z.B. über einer Größenschwelle) zur Veröffentlichung dieser eigentlich vertraulichen Daten verpflichtet sind, entstehen Wettbewerbsnachteile gegenüber nicht berichtspflichtigen Konkurrenten.“
DB: Welche Alternativen sehen Sie zum Country-by-Country Reporting?
Prof. Dr. Christoph Spengel: „Wenn die Politik Steuerplanung eindämmen möchte, sind die Steuergesetze zu ändern. Mehrere Studien haben die Gestaltung der Verrechnungspreise sowie der konzerninternen Finanzierungsstruktur als wichtigste Kanäle der internationalen Steuerplanung identifiziert. Insofern wären bestehende Spielräume bei der Festlegung von Verrechnungspreisen einzugrenzen sowie wirksamere Unterkapitalisierungsregeln zu implementieren. Letzteres wurde bekanntlich in der EU-Antimissbrauchsrichtlinie im Jahr 2016 festgeschrieben. Darüber hinaus ist z.B. im Rahmen von Betriebsprüfungen sicherzustellen, dass die entsprechenden Regelungen auch eingehalten werden. Dabei ist aber zu bedenken, dass Einschränkungen bei der Steuerplanung nachweislich negative Auswirkungen auf Investitionen haben, da es Länder geben wird, die nicht kooperieren. Eine Alternative zur Verschärfung einzelner Regelungen stellt das Konzept der Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) dar, das seit geraumer Zeit auf EU-Ebene diskutiert wird. Da bei diesem Ansatz der Gewinn aller zu einem Konzern gehörenden Gesellschaften innerhalb der EU konsolidiert ermittelt und nach wirtschaftlichen Faktoren auf die einzelnen Länder aufgeteilt wird, ist eine Gewinnverlagerung mittels Verrechnungspreisen oder konzerninterner Fremdfinanzierung nicht möglich.“
DB: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Spengel!
Das Interview führte Marko Wieczorek