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30.04.2019

Interview

Künstliche Intelligenz: Was die Sprache der Vorstandsvorsitzenden verrät

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Der Betrieb

In der Finanzmarktkommunikation lässt sich derzeit ein Paradoxon beobachten: Einerseits eine immer größere Informationsflut sowie die rasant wachsende automatisierte Datenanalyse andererseits. Im Rahmen einer aktuellen Studie der HHL Leipzig Graduate School of Management, Kirchhoff Consult und PRECIRE Technologies auf der Basis künstlicher Intelligenz (KI) wurde die Sprache der Vorstandsvorsitzenden analysiert. Über die verblüffenden Ergebnisse berichtet Prof. Dr. Henning Zülch, Inhaber des Lehrstuhls für Accounting & Auditing an der HHL Leipzig Graduate School of Management sowie Initiator und wissenschaftlicher Leiter des jährlich durchgeführten Kapitalmarktwettbewerbs Investors‘ Darling.

DB: Herr Professor Zülch, bisher haben Sentiment-Analysen die Sprache der Vorstandsvorsitzenden untersucht und bewertet. Wie funktioniert die klassische computergestützte Textanalyse?

Zülch: „Bei einer Sentiment-Analyse wird das Ziel verfolgt, bestimmte Attribute eines Textes zu identifizieren. Die Relevanz dieser Textattribute bestimmt sich daher, dass aus ihrem Vorhandensein, der Häufigkeit oder auch der Kombination mit anderen Attributen ein bestimmter Informationsgehalt des Textes abgeleitet wird. Die Textquellen für die Sentiment-Analyse in der Finanzkommunikation sind vielfältiger Natur — etwa aus Pressebeiträgen, Geschäftsberichten, Reden auf Hauptversammlungen oder Transkripte von Analysten-Calls können als Rohdaten dienen.
Für die Gewinnung von textuellen Ausprägungen sind die sog. dictionary-based approaches weit verbreitet. Diese basieren auf vordefinierten Wortlisten, mit denen der zu analysierende Text mittels einer entsprechenden Software dann abgeglichen wird. Als Ergebnis liefert eine solche computergestützte Sentiment-Analyse ein aggregiertes Maß für den grundlegenden Tonfall des Textes, der häufig als tone oder sentiment operationalisiert und bezeichnet wird.“

DB: Und wie verlässlich ist die hierauf basierende Prognose künftiger Entwicklungen eines Unternehmens?

Zülch: „Zunächst zeigt die einschlägige Forschung gemischte Ergebnisse, was die Vor- und Nachteile eines überaus positiven Tonfalls angeht. So wurden etwa positive wie auch negative Zusammenhänge zwischen dem tone in Gewinnmeldungen und der Unternehmensperformance in verschiedenen Studien dargelegt. Je nach untersuchter Variable kehrt sich ein Zusammenhang in der Zukunft um.
Zur Prognoserelevanz hat sich gezeigt, dass der tone der Kapitalmarktkommunikation die Prognosen für kurzfristige Vorhersagen der Wirtschaftlichkeit durchaus unterstützen kann — für bis zu zwei Quartale in die Zukunft. Zwischen den Zeilen verbergen sich also viele Informationen, deren Identifikation mit computergestützter Analyse nicht nur hochgradig skalierbar ist, sondern auch wesentlich für den Einbezug von Chancen und Risiken in das Bewertungskalkül sind.“

DB: In Ihrer aktuellen Studie haben Sie nun neue Analysemethoden auf Basis künstlicher Intelligenz (KI) getestet. Welche Möglichkeiten bot Ihnen die KI und welche Einblicke konnten Sie aus den Analysen gewinnen?

Zülch: „In der Tat haben wir die CEO-Kommunikation der DAX-Vorstände anhand der Vorstandsvorwörter auf Basis sprachpsychologischer Faktoren mittels einer KI angeschaut. Mit unseren Studienpartnern Kirchhoff Consult und PRECIRE Technologies haben wir diese sprachpsychologischen Ausprägungen mit Kapitalmarkt- und Unternehmenszahlen aus 2015 bis 2017 kombiniert. So konnten wir nicht nur kommunikative Unterschiede zwischen den Unternehmen, sondern auch im kurzfristigen Zeitverlauf festhalten.
Denn folgende Erkenntnisse sind doch äußerst relevant für die Kommunikation der Unternehmen am Kapitalmarkt: Bei Unternehmen mit starken Ankeraktionären finden sich häufig Vorwörter, die wenig unternehmerisch, wenig kompetitiv und wenig inspirierend wirken. Vielleicht haben CEOs in diesen Unternehmen weniger Anlass dazu, das Vorwort als ‚Leistungsschau‘ zu nutzen. Wenn ein neuer CEO an Bord ist, dann wirkt das Vorwort oft wenig kompetitiv, wenig dramatisierend und wenig inspirierend – möglicherweise mit dem Ziel, Stabilität zu vermitteln. Unternehmen mit geringer Ausschüttungsquote wiederum wählen häufig eine dramatisierende, kompetitive und inspirierende Sprache – eventuell als Rechtfertigung für den Verzicht auf Dividende.“

DB: Das ist sehr interessant. Ist die Analyse mittels KI also die Zukunft?

Zülch: „Die computergestützte Textanalyse ist längst im Mainstream der praktischen Finanzkommunikationsanalyse angekommen. Neben Analysten und Investoren hören mittlerweile auch Computer genau hin, wenn CEOs sprechen. Genauer gesagt lesen sie sogar schon zwischen den Zeilen. In unserem Beispiel konnte die KI den sprachpsychologischen Stil der CEO-Kommunikation durchaus messen. Insgesamt bieten Analysen mittels KI deutlich mehr Anwendungsfälle als die Sentiment-Analysen, was ihre Vielseitigkeit angeht. Eine adäquat ‚trainierte‘ KI kann nicht nur als Messinstrument große Mengen an unstrukturierten Daten (Texte) schnell in strukturierte Daten (Zahlen) überführen, sondern deren Bedeutung auch im Kontext quantifizieren.
Zudem sind die Outputgrößen klar vielseitiger. So werten wir in unserer Studie neun sprachpsychologische Hauptfaktoren und 22 Subfaktoren der PRECIRE-Technologie aus. Und mit diesen Zahlen können wir rechnen und Zusammenhänge untersuchen. Insgesamt überwiegen die bedeutsamen Vorteile, daher wird sich die KI-gestützte Textanalyse mittelfristig durchsetzen und in der Toolbox professioneller Anleger und Finanzanalysten etablieren.“

DB: Was waren die verblüffendsten Ergebnisse der Studie aus Ihrer Sicht?

Zülch: „Folgendes Ergebnis war in der Tat überraschend: Für die KI handelt es sich bei den Vorwörtern um eher aggressive und impulsive Texte, die kaum innovativ wirken. Nur bei wenigen Unternehmen zeigt sich über die drei untersuchten Jahre hinweg so etwas wie eine Handschrift, also ein einheitliches Sprachmuster. Eigentlich seltsam, wenn man bedenkt, wie viel Zeit und Geld die DAX-Unternehmen in eine konsistente Außendarstellung investieren.
Interessant ist überdies: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem ‚Ton‘ des Vorstandsvorworts und der Streuung von Analystenprognosen. Bei Unternehmen mit besonders kompetitiven Vorwörtern gehen die Analystenmeinungen zum künftigen Ergebnis je Aktie eher auseinander. Vermeintlich führt eine solche Sprachwahl dazu, dass manche Analysten von den aggressiven Zukunftsplänen überzeugt und andere Analysten abgeschreckt werden. Weitgehende Einigkeit herrscht unter den Analysten hingegen bei Unternehmen mit inspirierend wirkenden Vorwörtern.“

DB: Was bedeuten diese überraschenden Erkenntnisse nun für IR-Verantwortliche?

Zülch: „Vor allem müssen sich die IR-Verantwortlichen immer mehr mit einem neuen Publikum vertraut machen. Zunächst ist das oben Genannte für Verantwortliche in den Bereichen Investor Relations und Unternehmenskommunikation eine gute Nachricht. Der Ton macht nämlich auch in der Kapitalmarktkommunikation die Musik. Und diesen Ton kann man bewusst einsetzen. Wenn einem Unternehmen an einheitlichen Analystenprognosen gelegen ist – und das dürfte meistens der Fall sein –, dann sollten sich Kommunikationsverantwortliche um eine inspirierende, beeindruckende und motivierende Sprache bemühen. Strebt ein Unternehmen hingegen eine möglichst hohe Prognose eines einzelnen Analysten an, dann darf das Vorstandsvorwort gerne Ungeduld und eine Portion Aggressivität ausstrahlen.
Die schlechte Nachricht sehen wir in der mangelnden Dialogfähigkeit. Der Einsatz von KI bei der Analyse von Vorstandskommunikation ist Teil einer größeren Entwicklung. Insbesondere IR-Verantwortliche müssen sich künftig mit der Frage auseinandersetzen, wer Zielgruppe ihrer Kommunikation ist: Mensch oder Maschine. Investorenkommunikation kann sich schwierig gestalten, wenn der Investor ein Algorithmus ist – was in Zukunft immer häufiger der Fall sein dürfte. Wie kann man mit diesen Programmen in den Dialog treten? Überzeugungsarbeit kann man bei einem Algorithmus jedenfalls schlecht leisten. Ob eine KI die Equity Story überhaupt würdigt, bleibt ebenfalls ein Rätsel. Zudem sind Algorithmen nicht gerade dafür bekannt, in Analysten-Calls Fragen zu stellen – somit wissen Unternehmen im Zweifel gar nicht, welche Informationen sie einem künstlichen Investor zur Verfügung stellen sollten. Dieses Dilemma zieht sich durch die gesamte IR-Arbeit: Noch bevor der erste menschliche Adressat eine veröffentlichte ad-hoc-Meldung gelesen hat, wurde sie bereits durch Sentiment-Analysen bzw. eine Analyse der Stimmung als positiv oder negativ bewertet, was bei Trading-Algorithmen ein entsprechendes Kauf- oder Verkaufssignal auslöst. Wenn hier ein Text von Maschinen ‚fehlinterpretiert‘ wird, können heftige Kursbewegungen die unerwünschte Folge sein. Gleiches gilt für jedes Stottern des CFOs beim Analysten-Call – denn auch hier sind im Hintergrund Programme am Werk, die aus Sprache ihre Schlüsse ziehen.
Wer in Zukunft also effektiv am Kapitalmarkt kommunizieren möchte, der muss die Widersprüche zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz auf Adressatenseite verstehen – und entsprechend intelligent handeln.“

Herr Professor Zülch vielen Dank für das spannende Interview!

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

 

Mehr erfahren:

– Die vollständige Studie zum Download: hbfm.link/4902.
– Zur Prädiktionsfähigkeit des Sentiments von Finanzberichten vgl. Meier/Esmatyar/Frost, KoR 2018 S. 185 =
KOR1257722
– Zur computergestützten Textanalyse vgl. Menacher/Schütt/Sellhorn, KoR 2017 S. 217 =
KOR1230604

– Wie wirkt sich der Ton von CEOs am Kapitalmarkt aus? Eine Studie auf Basis künstlicher Intelligenz vgl. Prof. Dr. Henning Zülch / Philipp Ottenstein / Carl W. Weuster / Dr. Stefan Hannen / Dr. Kai Roeske, KoR vom 05.04.2019, Heft 04, Seite 208 – 209 = KOR1298182


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