Das Steuerklassenprivileg nach § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG
Eine Ausnahme hiervon macht das Gesetz mit dem sogenannten Steuerklassenprivileg nach § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG. Danach ist für die Besteuerung der erstmaligen Vermögensausstattung einer neu errichteten Stiftung das Verwandtschaftsverhältnis des Stifters zum am weitesten entfernten Begünstigten zugrunde zu legen, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien (Familienstiftung) im Inland errichtet ist. Nicht erfasst vom Steuerklassenprivileg sind spätere Zuwendungen an eine bereits bestehende (Familien-)Stiftung.
Nach Ansicht der Finanzverwaltung kommt es für die Bestimmung der Steuerklasse auf den nach der Stiftungssatzung möglichen entferntesten Begünstigten an, auch wenn dieser im Zeitpunkt der Errichtung der Familienstiftung noch nicht unmittelbar bezugsberechtigt ist, sondern es erst im Rahmen der Generationenfolge wird. Sind als Begünstigte der Familienstiftung nur der Stifter, sein Ehepartner sowie die Abkömmlinge des Stifters eingesetzt, kommt es zur Anwendung der günstigen Steuerklasse I. Vorsicht ist dagegen geboten, wenn beispielsweise auch die Geschwister des Stifters oder die (zukünftigen) Ehepartner der Abkömmlinge als Begünstigte aufgenommen werden sollen oder mehrere Stifter gemeinsam eine Stiftung errichten wollen. In diesen Fällen kommt es regelmäßig zur Anwendung der ungünstigeren Steuerklassen II oder III.
Nach dem Wortlaut der Norm gilt das Steuerklassenprivileg des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG allerdings nur für inländische Familienstiftungen. Im Fall der Errichtung einer ausländischen Familienstiftung durch einen in Deutschland ansässigen Stifter bleibt es daher bei der Anwendung der ungünstigen Steuerklasse III. Dies führt regelmäßig zu einer erheblich höheren Steuerbelastung für ausländische Familienstiftungen im Vergleich zu inländischen Familienstiftungen.
(Möglicher) Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit
In der Literatur wird diese Ungleichbehandlung von inländischen und ausländischen Familienstiftungen schon seit Langem als unionsrechtswidrig kritisiert. Die im Vergleich höhere Besteuerung der Errichtung einer ausländischen Familienstiftung stellt eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit dar. Als Rechtfertigungsgrund wird vereinzelt vorgebracht, dass zwischen dem Steuervorteil für inländische Familienstiftungen bei ihrer Errichtung und der sogenannten Erbersatzsteuer ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe. Der Erbersatzsteuer unterliegen ebenfalls nur inländische Familienstiftungen. Bei ihnen wird alle 30 Jahre ein fiktiver Erbfall vom Vater bzw. von der Mutter an zwei Kinder besteuert. Sofern zwischen der Erbersatzsteuer und dem Steuerklassenprivileg tatsächlich ein direkter, persönlicher und sachlicher Zusammenhang besteht, könnte dies die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigen.
In zwei Entscheidungen haben sich nun auch das Hessische FG (Gerichtsbescheid vom 07.03.2019 – 10 K 541/17) und das FG Köln (Beschluss vom 30.11.2023 – 7 K 217/21) mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Der Sachverhalt in den beiden Fällen war dabei weitgehend identisch. Zwei in Deutschland ansässige Stifter errichteten jeweils eine rechtsfähige Familienstiftung mit Sitz und Geschäftsleitung im Fürstentum Liechtenstein. Diese beantragten im Rahmen ihrer Schenkungsteuererklärung die Anwendung des Steuerklassenprivilegs, was vom jeweils zuständigen Finanzamt mit Verweis auf den eindeutigen Wortlaut der Norm abgelehnt wurde. Anstatt die beantragte Steuerklasse I anzuwenden, legten die Finanzämter der Besteuerung die Steuerklasse III zugrunde. Hiergegen erhoben in einem Fall die liechtensteinische Stiftung und im anderen Fall der Stifter Klage beim Finanzgericht.
Das Hessische FG bejahte einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit aufgrund der fehlenden Einbeziehung von ausländischen Familienstiftungen in den Anwendungsbereich des Steuerklassenprivilegs. Es fehle bereits am notwendigen gesetzgeberischen Ziel für einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Erbersatzsteuer und dem Steuerklassenprivileg. Aus diesem Grund sei eine weitergehende Auslegung der Norm europarechtlich geboten und das Steuerklassenprivileg auch auf ausländische Familienstiftungen anzuwenden. Eine Vorlage an den EuGH hielt das Hessische FG nicht für erforderlich.
Dagegen ist das FG Köln der Auffassung, dass der Gesetzgeber durchaus einen Zusammenhang zwischen den beiden Regelungen gesehen und beabsichtigt habe. Gleichwohl hat es Zweifel daran, ob das gesetzgeberische Ziel ausreiche, um einen zur Rechtfertigung geforderten direkten, persönlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen dem Steuerklassenprivileg und der Erbersatzsteuer zu bejahen. Aus diesem Grund hat das FG Köln das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Ausblick
Das Steuerklassenprivileg des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG ist eine von vielen (vermeintlichen) unionsrechtswidrigen Normen des ErbStG. Es spricht viel dafür, dass der EuGH einen Verstoß des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG gegen die Kapitalverkehrsfreiheit feststellen wird. In diesem Fall würde der Gesetzgeber erneut vom EuGH zum Handeln gezwungen werden. Denkbar wäre einerseits die Erstreckung des Steuerklassenprivilegs auch auf ausländische Familienstiftungen oder andererseits die vollständige Streichung des Steuerklassenprivilegs. Bisher reagierte der Gesetzgeber in solchen Fällen regelmäßig mit einer Streichung der Besserbehandlung der Inländer.
Sollte das Steuerklassenprivileg zukünftig für die Errichtung aller Familienstiftungen zur Anwendung kommen, dürfte die Attraktivität von ausländischen Familienstiftungen weiter zunehmen. Insbesondere das Fürstentum Liechtenstein ist für viele (potenzielle) Stifter ein attraktiver Stiftungsstandort.