DB: Frau Adam, wieso ist die Inflation generell die schwerste Form der Wirtschaftskrise?
Adam: Sie betrifft nicht nur einzelne Branchen, sondern eine Volkswirtschaft als Ganzes. Die Vernichtung finanzieller Substanz geschieht unmittelbar, in großen Dimensionen, fast flächendeckend und für die gesamte Bevölkerung sowie große Teile der Wirtschaft. Sie ist damit von hoher sozialer Relevanz, birgt erhebliches politisches und gesellschaftliches Gefahrenpotenzial. Daher rühren die besondere Sensibilität und die oberste Zielsetzung westlicher Zentralbanken, Inflationen zu unterbinden bzw. Inflationsraten sehr gering zu halten, auch auf Kosten von Rezessionen.
DB: Liquidität ist für viele KMU zum kritischen Faktor geworden, woran liegt das?
Adam: Zu Beginn der Inflation mit ihren abrupt steigenden Rohstoffpreisen waren es vor allem der geringe Umfang der kurzfristig verfügbaren Mittel, um die unterschiedlichen Zahlungsziele bei Lieferanten und Kunden und die verzögerte und nur teilweise Weitergabe der höheren Kosten zu kompensieren. Später führte die sinkende Nachfrage zu Verlusten, so entstand bereits ein Doppeldruck. Unterschätzt, weil noch nicht erlebt, wurde der Wertverlust der monetären Positionen. Von Anfang 2022 bis Ende 2023 werden Eurobestände 15 % ihrer Kaufkraft verlieren. Damit verlieren sie an zukünftiger Nutzungsdauer. Diese Erfahrung fehlt uns. Eine solche Situation ist für kleinere Unternehmen deutlich herausfordernder als für Konzerne. Die Lehre ist: hohe Liquidität wird in der Inflation entscheidend.
DB: Der Mittelstand hat die Inflation bis jetzt unterschiedlich gut verkraftet. Worauf führen Sie das zurück?
Adam: Die Geschäftsmodelle und die Reife der Unternehmen spielen eine große Rolle. Bei den Nachfragerückgängen in der Inflation profitieren etablierte Unternehmen von ihrer gefestigten Marktposition, profitablen Kostenstrukturen und der starken finanziellen Substanz, und das trifft im deutschen Mittelstand auf viele Unternehmen zu. Jungen Unternehmen fehlen genau diese Voraussetzungen. Bereits im Abschwung befindliche Unternehmen werden aus schrumpfenden Märkten gedrängt.
DB: Wie unterschiedlich sind die Geschäftsmodelle von der Inflation betroffen, welche sind besonders resilient?
Adam: Es gibt typische Merkmale von Geschäftsmodellen mit ausgeprägter Inflationsresilienz. Dazu zählen hohe, globale Exportquoten oder lokale Präsenz, marktrelevante technische Spezialisierung und Preissetzungsmacht. Davon haben viele Unternehmen, z.B. im Maschinenbau, sehr profitiert. Export und Expansion steigern damit nicht nur den Umsatz, sondern minimieren auch Risiken. Die Ortsungebundenheit einer Leistungserstellung ist mit Blick auf Kostenvorteile ebenfalls wichtig. In Logistik, Medizin & Pflege, persönlichen Services fehlt diese. In regulierten Märkten verschärft sich dieses Problem, hier fehlt die in der Inflation wichtige Preissetzungsfreiheit, um gestiegene Kosten weitergeben zu können.
Klassische Inflationsverlierer sind Produkte mit hohen immateriellen Preisanteilen, also Markenprodukte, v.a. im Alltagsbereich, und „ethischer Konsum“, z.B. Bio. Bei Letzeren gab es viele Insolvenzen, auch weil Unternehmen oft noch sehr jung waren. Im FMCG-Bereich setzen die deutlichen Umsatzrückgänge zugunsten preiswerterer Handelsmarken den eher europafokussierten Mittelständlern zu.
DB: Aktuell geht die Inflation wieder etwas zurück – was erwarten Sie für die kommenden Monate?
Adam: Die Inflationsrate wird ja im Ein-Jahres-Vergleich gemessen. Sie bildet den Anstieg der Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahr ab. Diese lagen im letzten Sommer bereits sehr hoch und stiegen bis zum Höhepunkt im Oktober. Die Preise steigen aktuell nicht mehr, bleiben aber auf diesem deutlich höheren Niveau, speziell in den Bereichen Nahrung, Verkehr und Energie, also sinken die Inflationsraten rein rechnerisch. Gleichzeitig beginnt die inflationstypische Folgerezession, im klassischen Dreisprung Inflation – Zinserhöhungen – Rezession. In der Vergangenheit bildeten Länge von Inflation & Folgerezession ein Verhältnis von 1:3. Damit rechne ich dieses Mal nicht. Der Arbeitsmarkt ist sehr robust. Der Anteil der Bevölkerung, der sein Einkommen unabhängig von der Wirtschaft bezieht, steigt, z.B. Rentner. Das stabilisiert die Konsumnachfrage.
DB: Welche Erwartungen haben Sie für die kommenden Jahre? Werden wir die 2% wieder dauerhaft erreichen können? Wie werden sich die Energiepreise entwickeln?
Adam: Es wird kein Zurück zum „Davor“ geben. Die Energiepreise werden dauerhaft hoch bleiben. Wir haben uns strukturell entschieden, auf Russland als Rohstofflieferanten zu verzichten und aus fossilen Energien auszusteigen, zwei Gründe für deutlich höhere Energiekosten. Die massiven Infrastrukturinvestitionen zu nun steigenden Zinsen treiben Kosten zusätzlich. Generell gilt: Die lange inflationsarme Zeit war eine Ausnahmesituation, das glückliche Zusammentreffen von vier Effekten: Die Globalisierung hat Kostenersparnisse von Rohstoffen bis zu Konsumprodukten ermöglicht, die in Europa nie möglich gewesen wären. Die Digitalisierung hat Effizienzgewinne in Prozessen gestattet, die Kosten niedrig hielten. Hier sind viele Potenziale jedoch gehoben, die Globalisierung erlebt einen Gegentrend. Drittens hatten wir das Glück einer langen Phase der Katastrophenarmut, keine Kriege, keine Naturkatastrophen, keine großen Havarien. Mit Corona und Ukrainekrieg sind diese Ereignisse nun eingetreten. Den hilfreichen Rahmen bildet die politische und marktwirtschaftliche Stabilität in der westlichen Welt. In Türkei und Lateinamerika fehlt diese, die Inflationsraten sind hoch. Die lange Inflationsabstinenz war Ergebnis einer sehr glücklichen Konstellation.
DB: Den Ausstieg aus den fossilen Produkten haben Sie als die Ursache zukünftiger Preissteigerungen und Inflation benannt, gibt es noch weitere?
Adam: Generell spricht man von den 3D der strategischen Inflationstreiber Demographie, Dekarbonisierung, Deglobalisierung. Der Arbeitskräftemangel führt zu höheren Löhnen, Personalkosten, steigenden Preisen, zusätzlich steigender Nachfrage. Die erwähnte Dekarbonisierung lässt die Kosten und damit die Preise steigen. Die Deglobalisierung mit der Rückverlagerung von Produktion nach Europa und USA wird deren Kosten steigen lassen. Der De-Risking-Ansatz gegenüber China ist ein Teil davon. Ich selbst formuliere mittlerweile das vierte D – Dehydration. Dürren, die zu Knappheiten bei Nahrungsmitteln und nachwachsenden Rohstoffen führen. Und damit Preise steigen lassen.
Als Konsequenz wird Inflation uns zukünftig begleiten. Deshalb ist es wichtig, Liquidität im Fokus zu behalten, eine starke finanzielle Substanz zu sichern und die Geschäftsmodelle stärker auf Inflationsresilienz auszurichten.
DB: Vielen Dank für das spannende Interview, liebe Frau Adam!