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04.09.2019

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„Killer Acquisitions“ im Fokus der Kartellbehörden – Gefahr für innovative Start-ups?

„Killer Acquisitions“ im engeren Sinne liegen vor, wenn Unternehmen aufgekauft werden, um das Unternehmen bzw. die Technologie vom Markt zu nehmen. Insbesondere im Pharmabereich kommt dies wohl regelmäßig vor. Darüber hinaus kann aber auch die Technologie, bzw. die Kunden und vor allem die Daten das primäre Ziel der Übernahme sein. Dann geht es nicht um die Ausschaltung von Technologie, aber manchmal eben von (zukünftigem) Wettbewerb. Marktstarke Unternehmen stehen im Verdacht, durch gezielte Akquise systematisch „heranwachsende Wettbewerber“ vom Markt zu nehmen. Diese Praxis wird zunehmend kritisch hinterfragt. Damit besteht aber auch die Gefahr, dass Gründer von innovativen Start-ups aus kartellrechtlichen Gründen ihr Unternehmen in Zukunft nicht mehr „versilbern“ können. Nicht nur „Unicorns“ mit einem Mindestwert von einer Mrd. USD sind betroffen.

Nachhaltigkeitsbericht: Die Herausforderung erfolgreich meistern

RA Dr. Sebastian Jungermann
Partner, Arnold & Porter, Frankfurt/M

Hintergrund

Nachdem Facebook im Jahr 2012 das zwei Jahre alte Start-up Instagram mit 13 Mitarbeitern für eine Mrd. USD und im Jahr 2014 das knapp fünf Jahre alte Start-up WhatsApp mit 55 Mitarbeitern für 19 Mrd. USD übernommen hat, fordern nun auch in den USA Politiker, das Department of Justice (DoJ) und einige Generalstaatsanwälte der US-Bundestaaten kartellrechtliche Maßnahmen wie Entflechtung oder gar die Zerschlagung. Trotz des hohen Kaufpreises war der Erwerb von WhatsApp in Deutschland fusionskontrollrechtlich nicht anmeldepflichtig. In den USA wurde die Transaktion angemeldet und freigegeben. Und die Europäische Kommission prüfte die Transaktion eher zufällig nach einer Verweisung. Mangels ausreichender Umsätze von WhatsApp war die Transaktion nur in Spanien, Zypern und Großbritannien anmeldepflichtig. Auf Grund solcher Übernahmen wurde im Juni 2017 die deutsche Fusionskontrolle ergänzt. Seither sind auch solche Zusammenschlüsse dem Kartellamt anzuzeigen, bei denen das Zielunternehmen keine oder nur geringe Umsatzerlöse erzielt, deren wettbewerbliche Bedeutung sich jedoch in einem hohen Kaufpreis zeigt. Neben weiteren Umsatzschwellen des Erwerbers sind seither auch solche Übernahmen anmeldepflichtig, bei denen der Transaktionswert mindestens 400 Mio. EUR beträgt. Auch in Österreich wurde eine solche Aufgreifschwelle 2017 eingeführt, dort liegt sie bei 200 Mio. EUR. Insbesondere die großen Digitalunternehmen GAFA (Google, Amazon, Facebook und Apple) haben sowohl in Europa und nun auch in ihrem Heimatland die Aufmerksamkeit der Kartellbehörden auf sich gezogen. Im August 2019 bestätigten in den USA das DoJ und einige Generalstaatsanwälte, dass sie kartellrechtliche Untersuchungen über die mögliche Marktmacht von Internet-Giganten und deren Auswirkungen auf das Wohlergehen der Verbraucher einleiten werden. In Europa hat es Google besonders hart getroffen, es wurden gleich drei Rekordbußgelder verhängt. Im Juni 2017 verhängte die Europäische Kommission gegen Google eine Geldbuße von 2,42 Mrd. EUR, im Juli 2018 ein Bußgeld von 4,34 Mrd. EUR und im März 2019 eine dritte Geldbuße von 1,49 Mrd. EUR, jeweils wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Weitere Kartellverfahren gegen Google, Amazon und Apple sind anhängig. Auch Facebook wurde von den Kartellbehörden nicht verschont. Im Februar 2019 hat das Bundekartellamt Facebook untersagt, Nutzerdaten von Facebook mit denen anderer Dienste, insbesondere WhatsApp und Instagram, zu kombinieren. Die Nutzerbedingungen seien datenschutzrechtlich unzulässig und durch die Praxis missbrauche Facebook seine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für soziale Netzwerke. Das Amt bezweckt hinsichtlich der Daten eine „innere Entflechtung“ des Konzerns. Zukünftig soll Facebook seine Nutzer nicht mehr zwingen dürfen, einer faktisch grenzenlosen Sammlung und Zuordnung von Nicht-Facebook-Daten zu ihrem Nutzerkonto zuzustimmen. Am 26. August 2019 hat das OLG Düsseldorf die Anordnungen des Bundeskartellamtes gegen Facebook vorläufig außer Kraft gesetzt, nach summarischer Prüfung hatte es „durchgreifende rechtliche Bedenken“. Insofern bleibt es spannend. Auch Amazon bleibt nicht verschont, im Juli 2019 wurde das Unternehmen vom Kartellamt gezwungen, seine Geschäftsbedingungen für Händler auf den Amazon Online-Marktplätzen zu ändern.

Fusionskontrolle auch ohne Umsätze des Zielunternehmens

 

Das US-Fusionskontrollrecht kennt eine Transaktionswertschwelle schon lange (size of transaction threshold), sie liegt derzeit bei 90 Mio. US$ und wird jährlich angepasst. Nachdem Deutschland und Österreich ihre Aufgreifschwellen ergänzt haben, prüfen nun auch die Europäische Kommission und andere Länder eine entsprechende Gesetzesänderung. Sinn und Zweck der deutschen Gesetzesänderung war es, Konstellationen wie bei WhatsApp zu erfassen, wo ein großer Konzern bereit ist, eine hohe Gegenleistung für ein Start-up zu zahlen, das derzeit keine oder nur geringe Umsätze generiert, dessen wettbewerbliches Potential sich jedoch darin zeigt, dass zum Beispiel eine kostenfrei herausgegebene App, die sich an Verbraucher richtet, auf über einer Million Smartphones in Deutschland installiert ist. Seither kann das Bundeskartellamt auch solche Zusammenschlüsse prüfen und ggf. untersagen, in denen große, etablierte Unternehmen ihre Marktbeherrschung durch die Übernahme junger, innovativer Unternehmen mit einem hohen wirtschaftlichen Wert begründen oder verstärken wollen. Durch eine Untersagung will das Bundeskartellamt im Zweifel verhindern, dass ein aufkommender potentieller Wettbewerber aufgekauft werden kann (killer acquisitions of nascent rivals). In Deutschland wurden im Jahr 2017 acht und 2018 zehn Zusammenschlüsse aufgrund der neuen Transaktionswertschwelle angemeldet, wobei sieben dieser Fälle nicht anmeldepflichtig waren. Die übrigen Fälle, drei im Jahr 2017 und acht im Jahr 2018, waren wettbewerbsrechtlich unproblematisch und wurden freigegeben.

Initiativen für ein neues digitales Kartellrecht

Mit der Digitalisierung und Plattformökonomie steht das Kartellrecht zweifelsfrei vor neuen Herausforderungen. Daten sind heute zu einem wesentlichen Wertschöpfungsfaktor erwachsen, für die Tätigkeit auf gewissen Märkten sind Daten von existentieller Bedeutung. Ferner ermöglicht und verstärkt die Digitalisierung Plattformen, Netzwerkeffekte und damit Monopolisierungstendenzen (the winner takes all). Und schließlich hat die Dynamik der Märkte mit einem schnellen Hochskalieren von Geschäftsmodellen eine neue Dimension erreicht. Digitalisierung beschleunigt Disruption. Aus diesen Gründen fordern viele Wissenschaftler, Politiker und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ein „digitales Kartellrecht“ mit neuen Regeln und Instrumenten, ein Wettbewerbsrecht 4.0. Künftig soll das Kartellrecht proaktiv sein und schon dort eingreifen können, wo unterhalb der Marktbeherrschung der Leistungswettbewerb eingeschränkt wird und Abhängigkeiten den Wettbewerb insbesondere auch im Hinblick auf den Marktzugang behindern. Geplant ist, dass Transaktionen zukünftig auch dann untersagt werden können, wenn sie Ausdruck einer Gesamtstrategie sind, systematisch innovative und wachstumsstarke Unternehmen in einem frühen Stadium ihrer Entwicklung aufzukaufen. Neben dem Vorschlag einer Zerschlagung wird auch die Umkehr der Beweislast für marktbeherrschende Plattformen angeregt, wodurch sie nachweisen müssten, dass eine bestimmte Transaktion oder Praxis keine negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb hat.

Stellungnahme

Erweiterungen der Eingriffsbefugnisse der Kartellbehörden sind mit Vorsicht und Bedacht vorzunehmen. Eine Zerschlagung kann nur die Ultima Ratio sein, eine Überregulierung ist zu vermeiden. Sollten die Gründer innovativer Start-ups in Zukunft daran gehindert werden, einen profitablen Exit durchzuführen, wird dies die Innovationskraft und Dynamik in den betroffenen Industrien stark beinträchtigen. Häufig können sich die Geschäftsmodelle innovativer Start-ups erst durch einen Großinvestor bzw. durch Kombination oder vertikale Integration in ein marktstarkes Unternehmen voll entfalten. Die für eine Untersagung notwendige Prognose, dass ein bestimmtes Start-up bzw. dessen Technologie zukünftig erfolgreich sein wird, ist in der Praxis extrem schwierig, so dass Untersagungen kaum überzeugend begründet werden können. Letztlich führt eine Überregulierung zu einem massivem Innovationsrückgang, ohne Not sollte solch ein Aktionismus unterlassen werden. 


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