Das FG Münster hat sich mit den Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung befasst. Die Kläger sind zusammenveranlagte Eheleute. Da bis einschließlich 2008 lediglich der Ehemann Arbeitslohn bezog, hatte das Finanzamt den Fall als Antragsveranlagung gespeichert. Ab 2009 erzielte auch die Ehefrau Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit. Der Lohnsteuerabzug erfolgte bei den Klägern nach den Steuerklassen III und V. Die Lohnsteuerbescheinigungen wurden im Datenverarbeitungsprogramm des Finanzamts erfasst. Da der Fall dennoch weiterhin als Antragsveranlagung gespeichert war, forderte das Finanzamt die Kläger zunächst nicht zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen auf.
Nachdem dem Finanzamt aufgefallen war, dass die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung vorlagen, erließ es im Jahr 2018 für die Streitjahre 2009 und 2010 Schätzungsbescheide. Hiergegen machten die Kläger geltend, dass Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Das Finanzamt ging demgegenüber von einer verlängerten Festsetzungsfrist wegen vollendeter Steuerhinterziehung aus.
FG Münster sieht keine Steuerhinterziehung
Das FG Münster hat der Klage mit Urteil vom 24.06.2022 (4 K 135/19 E) stattgegeben. Bei Erlass der Bescheide im Jahr 2018 sei für die Streitjahre 2009 und 2010 die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren abgelaufen gewesen. Die Frist habe sich nicht auf zehn bzw. fünf Jahre verlängert, weil bereits objektiv weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliege.
Die Voraussetzung der vorliegend allein in Betracht kommenden Unterlassungsvariante, dass der Steuerpflichtige die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lasse, sei nicht gegeben. Die Finanzbehörde könne nur über solche Umstände in Unkenntnis gelassen werden, über die sie nicht bereits informiert sei. Diese Auffassung ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO und dem Sinn und Zweck. Das Steueraufkommen sei nicht gefährdet, wenn die Finanzbehörden tatsächlich über alle wesentlichen Umstände informiert sind.
Verletzung von Erklärungspflichten reicht nicht für Verkürzungstatbestand
Im Streitfall seien die Kläger zwar verpflichtet gewesen, Einkommensteuererklärungen einzureichen. Allein die Verletzung von Erklärungspflichten reiche aber nicht aus, um den objektiven Verkürzungstatbestand zu verwirklichen, denn die Erfüllung von steuerlichen Mitwirkungs- und Erklärungspflichten sei nicht von § 370 AO geschützt. Dem Finanzamt seien aufgrund der vorliegenden elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen vielmehr alle maßgeblichen Umstände bekannt gewesen. Dass es diese Daten aus verwaltungsökonomischen Gründen nicht zur Prüfung einer Pflichtveranlagung herangezogen habe, ändere an dieser Kenntnis nichts.
Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen (BFH-Az. VI R 14/22).