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08.04.2019

Interview

Ist das deutsche Urlaubsrecht noch zeitgemäß?

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Der Betrieb

In regelmäßigen Abständen sorgt der EuGH mit Entscheidungen zum Urlaubsrecht für einige Aufregung in Deutschland. Während das BAG den Zweck des Urlaubs lange Zeit allein in der Gewährung von Freizeit sah, die der Wiederherstellung und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit dient, nimmt der EuGH einen Doppelzweck an und sieht in der Urlaubsgewährung sowohl eine Freizeit- als auch eine Entgeltkomponente. Die Auswirkungen auf das deutsche Urlaubsrecht sind weitreichend. Die Berliner Fachanwältin für Arbeitsrecht Britta Alscher analysiert die Auswirkungen der Luxemburger Rechtsprechung auf die deutsche Praxis.

DB: Dass EuGH und BAG den Zweck des Urlaubs unterschiedlich definieren, offenbarte sich bereits in der Schultz-Hoff-Entscheidung aus dem Jahr 2009. Wie gut oder schlecht hat die deutsche Rechtsprechung die Entscheidung inzwischen umgesetzt?

Alscher: Die deutschen Gerichte haben letztlich wenig Spielraum bei der Frage, ob und wie sie die Vorgaben des EuGH umsetzen. Insbesondere die Instanzgerichte riskieren, ­ansonsten von der nächsthöheren Instanz aufgehoben zu werden. Es ist daher schwer zu bewerten, ob die Vorgaben durch die Rechtsprechung gut oder schlecht umgesetzt wurden.

Problematisch ist aus meiner Sicht vielmehr, dass die Umsetzung bisher stets durch die Gerichte und im Rahmen einer Gesetzesauslegung stattfinden musste, während der Gesetzgeber untätig bleibt. Das stellt die Praxis vor große Probleme, denn bestimmte Fragen lassen sich nicht (mehr) einfach durch den Blick in das Gesetz klären. Für unsere Mandanten ist es mitunter kaum nachzuvollziehen, dass sie Dinge anders handhaben müssen, obwohl sich am Gesetz nichts geändert hat.

DB: Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Alscher: Bleiben wir doch bei der Schultz-Hoff-Entscheidung. Das BAG hatte § 7 Abs. 3 BUrlG bis dahin immer so verstanden, dass nicht genommener Urlaub spätestens am 31.03. des Folgejahres erlischt – auch, wenn ein Arbeitnehmer den ­Urlaub, etwa wegen einer Langzeiterkrankung, nicht nehmen konnte. Das entsprach dem Gesetzeswortlaut. Diese Rechtsauffassung ist nach Schultz-Hoff nicht mehr zu halten. Wer wegen einer Langzeiterkrankung seinen Urlaub nicht während des laufenden Kalenderjahres nehmen kann, behält den Anspruch deutlich länger. Wie lange, hat der EuGH in der Schulte-Entscheidung präzisiert. Danach verfällt der Urlaub in solchen Fällen spätestens 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Das BUrlG bildet das jedoch nicht ab, es findet sich dort weiterhin der bisherige Text des § 7 Abs. 3 BUrlG.

DB: Wie sollten Arbeitgeber auf diese Situation reagieren, um Kostenrisiken in Sachen Resturlaub zu minimieren?

Alscher: In der Praxis helfen nur Akribie und Transparenz. Der jeweilige Stand der Urlaubsansprüche sollte für jeden Mitarbeiter genau dokumentiert werden. Ferner empfiehlt es sich, zu bestimmten Stichtagen zu prüfen, ob Mitarbeiter noch über (Rest-) Urlaubsansprüche verfügen. Bei der Vertragsgestaltung sollten Arbeitgeber zudem deutlich zwischen gesetzlichen und etwaigen übergesetzlichen Urlaubsansprüchen unterscheiden. Denn die Rechtsprechung des EuGH betrifft nur den Teil des Urlaubsanspruchs, der sich aus dem BUrlG ergibt. Der übergesetzliche Urlaub lässt sich daher eigenen Regeln – unter anderem auch zum Verfall – unterwerfen.

DB: Nicht nur langzeiterkrankte Arbeitnehmer profitieren von der Rechtsprechung des EuGH, sondern ggf. auch ­deren Erben. Was bedeutet das für Arbeitgeber?

Alscher: Das BAG hatte die Vererbbarkeit von Urlaubsansprüchen wegen des „höchstpersönlichen Charakters des Urlaubs“ bisher immer abgelehnt. Die von Ihnen angesprochene Entwicklung hat mit der sog. Bollacke-Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2014 begonnen und mit der Entscheidung des EuGH in den Sachen Bauer und Willmeroth aus dem Jahr 2018– vorerst – ihr Ende gefunden. In der Bollacke-Entscheidung hat der EuGH festgestellt, dass Urlaubsansprüche vererbbar sind. Das BAG wollte sich danach aber offenbar nicht vollständig von seiner Rechtsprechung lösen und hat deshalb bis zuletzt zwei Fälle unterschieden: Endete das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers, sollten ­verbleibende Urlaubsansprüche ersatzlos verfallen und – entgegen der Rechtsprechung des EuGH – nicht vererbt werden können. Nur wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Tod des Arbeitnehmers beendet worden ist und noch ein Urlaubsabgeltungsanspruch bestand, sollte dieser Teil der Erbmasse werden. Dem hat der EuGH nun aber ebenfalls einen Riegel vorgeschoben. Das ist im Ergebnis zwar konsequent, für die Praxis aber irritierend. Die Vererbbarkeit von finanziellen Ansprüchen ist nachvollziehbar – bei der Urlaubsgewährung, die ja in erster Linie der Erholung dienen soll, erschließt sich das nicht sofort.

Für Arbeitgeber bedeutet die Rechtsprechung des EuGH eine weitere finanzielle Belastung und Unsicherheiten, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet.

DB: Mit dem Recht des Arbeitnehmers auf Urlaub geht laut EuGH die Pflicht des Arbeitgebers einher, diesen Urlaub auch zu gewähren – oder eine Abgeltung zu bezahlen, wenn das Arbeitsverhältnis endet. Diese Pflicht soll selbst dann bestehen, wenn der Arbeitnehmer nie einen Urlaubs­antrag gestellt hat. Was bedeutet das für die Praxis?

Alscher: Hier hat der EuGH erfreulicherweise sehr klar­gemacht, was er von Arbeitgebern erwartet, die unerwünschte Urlaubsübertragungen und damit ggf. einhergehende Abgeltungsansprüche vermeiden wollen. Verfügen Mitarbeiter zu einem bestimmten Stichtag im Kalenderjahr noch über (Rest-)Urlaubsansprüche, sollten Arbeitgeber diese spätestens in der zweiten Jahreshälfte schriftlich oder in Textform – möglichst unter Angabe des konkreten (Rest-)Urlaubsanspruchs – auffordern, den Urlaub innerhalb des Kalenderjahres bzw. eines ggf. geltenden Übertragungszeitraums zu nehmen. Die Aufforderung muss einen deutlichen Hinweis enthalten, dass der Urlaub andernfalls verfällt. Wichtig ist weiterhin, dass Arbeitgeber den Zugang der Aufforderung und den Hinweis auf den Verfall nachweisen können. Es empfiehlt sich daher dringend, die Urlaubsaufforderung und den Zugangsnachweis in die Personalakte aufzunehmen, um beides für den Fall einer späteren Auseinandersetzung nachweisen zu können.

DB: Unterstellt, der Nachweis misslingt. Wie lange bleibt der Urlaubsanspruch dann erhalten?

Alscher: Das ist eine gute Frage und dazu auch eine, die bisher weder vom EuGH noch vom BAG entschieden wurde. Aus meiner Sicht könnte man hier zwei Konstellationen unterscheiden. Besteht das Arbeitsverhältnis fort, liegt es nahe, die bereits erwähnte 15-Monats-Grenze des EuGH aus der Schulte-Entscheidung anzuwenden. Der Urlaub würde dann 15 Monate nach Ende des Übertragungszeitraums enden.

Anders könnten die Fälle zu behandeln sein, in denen das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet wurde. In dieser Konstellation wandelt sich der Urlaubsanspruch in einen Abgeltungsanspruch. Dieser unterliegt grundsätzlich den vertraglichen oder tariflichen Ausschlussfristen bzw. der dreijährigen Regelverjährung.

DB: Inwieweit besteht die Gefahr, dass Arbeitnehmer künftig ihren Urlaub bewusst nicht nehmen, um nach dem ­Ende ­ihres Beschäftigtenverhältnisses mehr Geld zu haben?

Alscher: Ich halte das nicht für ausgeschlossen. Das ­Risiko lässt sich aber durch ein sorgfältiges Controlling der ­Urlaubsansprüche minimieren. Der EuGH legt großen Wert ­darauf, dass der Urlaub während des Urlaubsjahres genommen wird. Gerade deshalb verlangt er von Arbeitgebern, ­Arbeitnehmer zum Verbrauchen ihrer Urlaubstage anzuhalten. Kommen sie dieser Pflicht ordnungsgemäß nach, droht weder eine Übertragung noch – im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – eine Umwandlung in einen Abgeltungsanspruch. Möchten Arbeitgeber ganz sichergehen, könnten sie überlegen, Arbeitnehmern einseitig Urlaub zu erteilen, wenn sie sie zuvor aufgefordert haben, diesen zu nehmen bzw. entsprechende Wünsche zu äußern, die Arbeitnehmer hierauf jedoch nicht reagiert haben. Soll das Arbeitsverhältnis nicht unnötig belastet werden, dürfte es sich hierbei nur um das allerletzte Mittel handeln.

Vielen Dank für das Interview, Frau Alscher!

Das Interview führte Catrin Gesellensetter.


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