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04.05.2023

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Hinweisgeberschutzgesetz ohne Schutz des Betroffenen?

Das mangels Zustimmung des Bundesrates nunmehr im Vermittlungsausschuss gelandete Hinweisgeberschutzgesetz soll der Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie 2019/1937 der EU dienen. Diese legt in ihrem Art. 22 ausdrücklich Maßnahmen zum Schutz Betroffener fest.

Hinweisgeberschutzgesetz ohne Schutz des Betroffenen?

Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Löwisch
ist Leiter der Forschungsstelle für Hochschularbeitsrecht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Danach haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass betroffene Personen ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Gerichtsverfahren und die Wahrung der Unschuldsvermutung sowie ihre Verteidigungsrechte, einschließlich des Rechts auf Anhörung und des Rechts auf Einsicht in ihre Akte, in vollem Umfang ausüben können (Absatz 1). Sicherzustellen ist weiter, dass die Identität betroffener Personen während der Dauer einer durch die Meldung oder Offenlegung ausgelösten Untersuchung geschützt bleibt (Absatz 2) und für diesen Schutz die gleichen Regeln gelten wie für den Schutz der Identität von Hinweisgebern (Absatz 3).

„Betroffene Person“ ist nach Art. 5 Nr. 10 der Richtlinie eine natürliche oder eine juristische Person, die in der Meldung oder in der Offenlegung als eine Person bezeichnet wird, die den Verstoß begangen hat, oder mit der die bezeichnete Person verbunden ist. Erfasst werden mithin nicht nur Unternehmen oder Institutionen und deren Organe, sondern alle dort Tätigen. Weist ein Beschäftigter auf das Verhalten eines anderen Beschäftigten hin, genießt ersterer den Schutz als Hinweisgeber, letzterer den Schutz als betroffene Person.

Nach Erwägungsgrund 100 der Richtlinie sollen diese Maßnahmen Rufschädigungen oder andere negative Folgen für die betroffenen Personen vermeiden und deren Verteidigungsrechte und ihren Zugang zu Rechtsbehelfen in allen Stadien des sich an die Meldung anschließenden Verfahrens in vollem Umfang und im Einklang mit Art. 47 und 48 der EU-Grundrechte-Charta wahren. Zu diesem Zweck sollen die Mitgliedstaaten die Vertraulichkeit der Identität der betroffenen Person schützen und ihre Verteidigungsrechte bei Untersuchungen oder sich daran anschließenden Gerichtsverfahren gewährleisten; dazu gehören das Recht auf Akteneinsicht, das Recht auf Anhörung und wirksamen Rechtsschutz.

 Art. 22 und Art. 5 Nr. 10 der Richtlinie entsprechende ausdrückliche Vorschriften zum Schutz Betroffener enthält der vom Bundestag verabschiedete Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes nicht. Macht man sich auf die Suche nach Vorschriften, aus denen sich die in Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie genannten wesentlichen Verteidigungsrechte betroffener Personen, nämlich das vollumfängliches Recht auf Anhörung und das vollumfängliche Recht auf Einsicht in ihre Akte ableiten lassen, stößt man auf Folgendes:

Recht auf Anhörung

Ein Recht auf Anhörung ist weder im internen noch im externen Meldeverfahren vorgesehen. Die interne Meldestelle kann nach § 18 Nr. 1 des Entwurfs betroffene Personen kontaktieren, muss dies aber nicht. Die externe Meldestelle kann zwar gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 nach pflichtgemäßen Ermessen Auskünfte von den betroffenen natürlichen Personen verlangen. Ein eigenständiges Anhörungsrecht haben diese aber nicht. Der Entwurf verlagert so die Anhörung in ein sich auf Grund einer Abgabeentscheidung der Meldestellen an das Meldeverfahren anschließendes behördliches oder vom privaten Arbeitgeber durchzuführendes arbeitsrechtliches Verfahren, wo Anhörungsrechte nach § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz und § 82 BetrVG bestehen.

Der Vorgabe von Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie wird das nicht gerecht. Wie der Erwägungsgrund 100 zeigt, sollen die Verteidigungsrechte der Betroffenen allgemein bei „Untersuchungen“ gewährleistet werden. Zu diesen gehören die von den Meldestellen durchgeführten Untersuchungen. Nur dieses Verständnis ist auch sachgerecht. Kann ein Betroffener seine (tatsächliche und rechtliche) Sicht des Vorgangs, der Gegenstand des Hinweises ist, nicht schon im Meldeverfahren geltend machen, wird er möglicherweise ungerechtfertigt einem förmlichen Verfahren ausgesetzt und verstärkt sich die Gefahren vermeidbarer Rufschädigungen und sonstiger negativen Folgen.

Recht auf Akteneinsicht

Für das Recht auf Akteneinsicht soll nach § 28 Abs. 3 Satz 1 des Entwurfs im Verfahren bei externen Meldungen § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes gelten. Der Verweis auf diese Vorschrift bringt es mit sich, dass auch die dort vorgesehenen Einschränkungen des Akteneinsichtsrechts zu beachten sind. Zu diesen zählt nach § 29 Abs. 2 die Notwendigkeit der Geheimhaltung wegen berechtigter Interessen der Beteiligten. Es liegt nahe, zu diesen berechtigten Interessen die Wahrung der Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers zu zählen. Diese kann nach § 9 Abs. 2 des Entwurfs nur an zuständige Stellen in Strafverfahren auf Verlangen der Strafverfolgungsbehörden, aufgrund einer Anordnung in einem einer Meldung nachfolgenden Verwaltungsverfahren oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung weitergegeben werden. Das würde bedeuten, dass eine betroffene Person im externen Meldeverfahren keine, und in nachfolgenden Folgeverfahren nur unter bestimmten Voraussetzungen Kenntnis von der hinweisgebenden Person erhalten könnte. Dem Betroffenen würde so insbesondere die Möglichkeit verbaut, von einem Hinweisgeber erhobene Vorwürfe persönlichen Fehlverhaltens gegenüber diesem durch eine Auseinandersetzung mit dessen Vorbringen auszuräumen. Das in Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehene Akteneinsichtsrecht „in vollem Umfang“ wäre das nicht.

Über das Recht auf Einsicht in die Akten interner Meldestellen sagt der Entwurf nichts. Damit ist auch offen, ob er das nach § 83 BetrVG an sich gegebene Einsichtsrecht des Arbeitnehmers in die über ihn geführten Personalakten, zu denen allgemeiner Meinung nach auch Beschwerden über sein Verhalten gehören, ausschließen will. Der Arbeitnehmer müsste dann abwarten, ob der Arbeitgeber nach einer Meldung Folgemaßnahmen ergreift, etwa eine Abmahnung ausspricht, um dann entsprechend § 9 Abs. 2 Nr. 3 des Entwurfs in einem gerichtlichen Verfahren eine Entscheidung des Arbeitsgerichts zu erreichen, nach der ihm Akteneinsicht zu gewähren ist. Auch das ist mit dem von Art.22 verfolgten Ziel der umfassenden Wahrung der Verteidigungsrechte betroffener Personen nicht vereinbar.

Fazit

Insgesamt wird der Entwurf der von der Richtlinie postulierten Wahrung der Unschuldsvermutung nicht gerecht. Das ist umso bedenklicher als der Anwendungsbereich des Entwurfs mit der Einbeziehung aller straf- und bußgeldbewehrten Verstöße zu Lasten anderer Beschäftigter über den Anwendungsbereich der Richtlinie weit hinausreicht.

Das Vermittlungsverfahren sollte zu einer Nachbesserung dieses Defizits genutzt werden.

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