Haftungserleichterung für Erwerber insolventer Betriebe
Da ist es erfreulich, wenn das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem jüngst ergangenen Urteil vom 26. Januar 2021 (3 AZR 139/17) bestätigt, dass für Erwerber insolventer Betriebe eine besondere Haftungserleichterung gilt. In einfachen Worten: Der Erwerber haftet in diesen Fällen nur für die Rentenverpflichtungen, die seit der Eröffnung der Insolvenz entstanden sind. Für die oft jahrzehntealten Rentenanwartschaften, die vor der Insolvenz angewachsen sind, ist dagegen der Pensionssicherungsverein (PSV) zuständig. Rechtlicher Ausgangspunkt ist dabei die gesetzliche Regelung zum Betriebsübergang (§ 613a BGB), wonach der Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils in alle Pflichten eintritt, die aus den zu übernehmenden Arbeitsverhältnissen resultieren. Zu diesen Pflichten gehören nach deutschem Recht auch die Pflichten aus betrieblicher Altersversorgung. Das BAG macht für insolvente Betriebe schon seit langem die oben beschriebene Einschränkung. Anlässlich des jüngst entschiedenen Falls fand das BAG allerdings, dass die Haftungserleichterung für Erwerber insolventer Betriebe noch einmal nach europäischem Recht zu überprüfen sei, zumal die Haftungserleichterung für Betriebsrentner nennenswerte Nachteile haben kann.
BAG entscheidet über Klage eines Betriebsrentners
Was war passiert? Etwas vereinfacht hatte das BAG über die Klage eines Betriebsrentners zu entscheiden, dem sein Arbeitgeber einst versprochen hatte, dass er für jedes Dienstjahr eine Rente in Höhe von 0,5% seines letzten Arbeitsentgelts erhalten sollte. Nach dreißig Jahren, der Arbeitnehmer hatte zu diesem Zeitpunkt ein monatliches Entgelt von EUR 4.000, wurde der Arbeitgeber insolvent. Ein anderes Unternehmen kaufte den Betrieb, wo der Arbeitnehmer weitere zehn Jahre beschäftigt war, zuletzt mit einem monatlichen Entgelt von EUR 5.000, bevor er in Rente ging. Der frischgebackene Rentner rechnete nun mit einer monatlichen Rentenzahlung von EUR 1.000 (0,5% x 40 Jahre x EUR 5.000), erhielt jedoch Rentenauskünfte, die hinter seinen Erwartungen zurückblieben. Der PSV berechnete für die Zeit bis zur Insolvenz eine Rente von EUR 600 (0,5% x 30 Jahre x EUR 4.000). Zu Recht legte der PSV dabei das Entgelt bei Insolvenzeröffnung zugrunde, denn der PSV darf aufgrund gesetzlicher Regelung Veränderungen nicht berücksichtigen, die nach der Insolvenzeröffnung eintreten (§ 7 Abs. 2a Satz 4 des Betriebsrentengesetzes). Der Erwerber berechnete für die letzten zehn Jahre des Arbeitsverhältnisses eine Rente in Höhe von EUR 250 (0,5% x 10 Jahre x 5.000). Beide Renten addierten sich also auf EUR 850 monatlich. Der Rentner klagte daraufhin gegen den Betriebserwerber, seinen letzten Arbeitgeber, auf Zahlung der „fehlenden“ EUR 150 monatlich. Die (arbeits-)gerichtlichen Mühlen mahlen langsam. Nach der Klageerhebung im Jahr 2015 entschied das Arbeitsgericht Solingen im Jahr 2016, das Landesarbeitsgericht Düsseldorf bestätigte die Klageabweisung im Januar 2017. Nach ausgiebiger Prüfung legte das BAG die Klage im Oktober 2018 beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor, der prüfen sollte, ob die vom BAG entwickelten Haftungsgrundsätze mit Europarecht vereinbar sind. Dies EuGH benötigte fast zwei Jahre, um in September 2020 schließlich zu verkünden, dass Europarecht grundsätzlich nicht beeinträchtigt sei. Besonders interessant an der Antwort des EuGH (C-674/18): Er attestiert dem deutschen Gesetzgeber, dass er – wie auch in anderen Fällen der Umsetzung europäischer Richtlinien in deutsches Recht – zum Nachteil der Arbeitgeber über das Ziel hinausgeschossen ist. Nach der europäischen Richtlinie zum Betriebsübergang hätten § 613a BGB den Übergang von Betriebsrentenverpflichtungen komplett ausschließen können, solange den Betriebsrentnern ein Mindestschutz gewährt wird. Dieser Mindestschutz muss lediglich zwei Voraussetzungen genügen: Der Betriebsrentner muss mindestens die Hälfte der von ihm erworbenen Rentenansprüche erhalten, und die Rentenkürzung darf die Fähigkeit des Betriebsrentners zum Bestreiten seines Lebensunterhalts nicht schwerwiegend beeinträchtigen. Das BAG entschied nun, dass dem Kläger angesichts einer Auszahlungsquote von 85% kein Unrecht geschehen sei.
Absage gegen die Bevorzugung von Betriebsrentnern gegenüber anderen Insolvenzgläubigern
Man mag beklagen, dass dem vermeintlichen schwachen Betriebsrentner auf Kosten des vermeintlich starken Erwerbers erhebliche Einschnitte zugemutet werden. Dem hält der EuGH jedoch entgegen, dass der Zweck der europäischen Regelung zum Betriebsübergang nicht allein der Schutz der Arbeitnehmerinteressen sei, sondern es solle auch einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer einerseits und denen des Erwerbers andererseits gewährleistet werden. Erfreulich klar hatte sich auch das BAG bereits in seiner Vorlage zum EuGH geäußert: Im Interesse der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung sei der Insolvenzverwalter verpflichtet, für die Insolvenzmasse möglichst hohe Erträge zu erzielen. Bei der uneingeschränkten Haftung des Erwerbers verringert sich der zu erzielende Kaufpreis für den Betrieb – man möchte ergänzen, dass es unter Umständen gar nicht erst zum Kauf kommt. Im Ergebnis ist die Entscheidung des BAG als klare Absage gegen die Bevorzugung von Betriebsrentnern gegenüber anderen Insolvenzgläubigern zu verstehen. Zudem zeigt sie auf, dass der Erhalt von Arbeitsverhältnissen insolventer Unternehmen nur dann gewährleistet werden kann, wenn dem Erwerber rechtliche Bedingungen eingeräumt werden, die eine Fortführung eines solchen Betriebs wirtschaftlich sinnvoll erscheinen lassen. Der Weg in die Arbeitslosigkeit kann damit für Arbeitnehmer insolventer Unternehmen in vielen Fällen vermieden werden.