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11.09.2024

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Grundsteuer: Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Zweifel im vorläufigen Rechtsschutz

Nachdem das BVerfG mit Urteil vom 10.04.2018 (1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12) die Unvereinbarkeit des bis dahin bestehenden Grundsteuersystems mit dem Grundgesetz festgestellt hatte, war der Gesetzgeber zu einer Reform der Regelungen gezwungen. Im Rahmen dieses Reformvorhabens hatten die Bundesländer aufgrund einer Öffnungsklausel im Grundgesetz die Möglichkeit, eigene länderspezifische Grundsteuergesetze zu entwickeln.

Nachhaltigkeitsbericht: Die Herausforderung erfolgreich meistern

StBin Doris Pöhlmann
ist Senior Assoicate bei POELLATH in München

RA Florian Nier
ist Associate bei POELLATH in München

Gerichtsverfahren legen erste Tendenzen offen

Allen Grundsteuermodellen ist bislang gemein, dass sie von verfassungsrechtlicher Kritik nicht verschont bleiben. So überrascht es wenig, dass seit der Reform bereits erste Entscheidungen vorliegen, in denen die Gerichte ihre verfassungsrechtlichen Einschätzungen mitteilen. Das FG Nürnberg sieht vor dem Hintergrund des erheblichen Bewertungsspielraums des Gesetzgebers keinen Grund zur Beanstandung des in Bayern angewendeten reinen Flächenmodells (FG Nürnberg, Beschluss vom 08.08.2023 – 8 V 300/23). Auch das FG Baden-Württemberg hat in zwei Urteilen bestätigt, dass das verwendete modifizierte Bodenwertmodell verfassungskonform ist (FG Baden-Württemberg, Urteile vom 11.06.2024 – 8 K 2368/22 und 8 K 1582/23).

Nachdem sich das FG Berlin-Brandenburg zunächst noch nicht verfassungsrechtlich zum Bundesmodell geäußert hatte (FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.09.2023 – 3 V 3080/23), bestätigte das FG Sachsen die Vereinbarkeit des Bundesmodells mit dem Grundgesetz (FG Sachsen, Urteil vom 24.10.2023 – 2 K 574/23). Es hob zur Begründung insbesondere das Recht des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung hervor.

Ausführlich Stellung zum Bundesmodell nahm in der Folge das FG Rheinland-Pfalz in zwei Entscheidungen (FG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 23.11.2023 – 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23). Entgegen der Einschätzung des FG Sachsen äußerte das FG Rheinland-Pfalz erhebliche Zweifel an der Verfassungskonformität des Bundesmodells. Es bestünden insbesondere ernstliche Zweifel an der Vollständigkeit der notwendigen Datengrundlage für die Ermittlung der Bodenrichtwerte und an einer realitäts- und relationsgerechten Bewertung. Darüber hinaus sei der Belastungsgrund der Grundsteuer nicht eindeutig erkennbar und die noch vom FG Sachsen zur Rechtfertigung hervorgehobene Vereinfachung und Pauschalierung führe zu den Kernbereich der Wertermittlung betreffenden Wertverzerrungen.

Der BFH hat zwischenzeitlich Entscheidungen zu den genannten Verfahren des FG Rheinland-Pfalz veröffentlicht (BFH, Beschlüsse vom 27.05.2024 – II B 78/23 und II B 79/23). Er bestätigte, dass es auf Ebene der Grundsteuerwertfeststellung im Einzelfall möglich sei, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen, und stimmte der Entscheidung des FG betreffend die Gewährung der AdV zu. Die Begründung des BFH beschränkte sich jedoch auf die Darstellung einfachrechtlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des strittigen Grundsteuerwertbescheids. Aus Sicht des BFH war daher eine Prüfung der vom FG (ausführlich) vorgebrachten verfassungsrechtlichen Zweifel nicht mehr vorzunehmen und er ließ die Gelegenheit verstreichen, zum Bundesmodell Stellung zu beziehen.

FG Düsseldorf zum Begriff des bebauten Grundstücks und zum Erfordernis des Aussetzungsinteresses bei verfassungsrechtlichen Zweifeln

Das FG Düsseldorf (FG Düsseldorf, Beschluss vom 10.05.2024 – 11 V 533/24 BG) nahm in einer aktuellen Entscheidung sowohl zu verfahrens- als auch materiell-rechtlichen Aspekten eines Antrags auf AdV gegen die Feststellung eines Grundsteuerwerts nach dem Bundesmodell Stellung. Strittig war die Einordnung eines Grundstücks durch das Finanzamt als „bebaut“ bei erheblichen Einschränkungen der Benutzbarkeit des sich auf dem Grundstück befindlichen Gebäudes. Nachdem das Finanzamt innerhalb von zwei Monaten nach Antrag auf AdV nicht tätig geworden war, wandte sich die Steuerpflichtige mit ihrem Antrag unmittelbar an das FG.

Nach Ansicht der Antragstellerin ist die neue Grundsteuerbewertung verfassungswidrig, da die zugrunde liegende Wertermittlung nur auf das Alter eines Gebäudes und die Lage eines Grundstücks abstelle und den Erhaltungszustand außer Ansatz lasse. Dies entspreche nicht den vom BVerfG für die Reform des Grundsteuersystems aufgestellten Grundsätzen, die eine Bewertung nach den tatsächlichen Wertverhältnissen verlangen.

Aus Sicht des Finanzamts war bereits der Antrag bei Gericht unzulässig, da die Voraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO nicht vorlagen. Ferner vertrat es den Standpunkt, dass besondere objektspezifische Merkmale wie der Gebäudezustand bei der Wertermittlung nach aktueller Rechtslage nicht gesondert zu berücksichtigen seien und daher auch keine ernsthaften Zweifel an der (einfachen) Rechtmäßigkeit des Grundsteuerwertbescheids bestünden. Hinsichtlich vorgebrachter ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen läge jedenfalls kein dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes vorrangiges individuelles Interesse der Antragstellerin vor.

Das FG Düsseldorf stellte zunächst klar, dass eine angemessene Frist i.S.d. § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 FGO dann deutlich überschritten sei, wenn das Finanzamt binnen zweier Monate weder über den Antrag auf AdV entschieden hat noch sonst in der Angelegenheit tätig geworden ist. Darüber hinaus gab es dem Antrag auf AdV des Grundsteuerwertbescheids statt, soweit sich dieser darauf stützt, dass bei dem Grundstück kein „bebautes“ Grundstück i.S.d. § 248 Satz 1 BewG vorliegt. Vorgebrachte verfassungsrechtliche Zweifel könnten allerdings zu keiner weiterführenden AdV führen, da jedenfalls kein besonderes Aussetzungsinteresse vorliegt.

Im Umkehrschluss zu § 248 Satz 1 BewG sind Grundstücke, auf denen sich keine benutzbaren Gebäude befinden, als unbebaut i.S.d. § 246 Abs. 1 Satz 1 BewG zu qualifizieren. Die Abgrenzung zwischen unbebauten und bebauten Grundstücken erfolgt danach, ob die bestimmungsgemäße Gebäudenutzung im Feststellungszeitpunkt zumutbar ist. Eine Nutzung ist unzumutbar, wenn aus bauordnungsrechtlichen Gründen eine dauernde, der Zweckbestimmung entsprechende Nutzung nicht gestattet werden kann. Eine Unzumutbarkeit kann sich auch mittelbar aus weiteren Umständen ergeben wie z.B. erhebliche und nicht lediglich altersbedingte Schäden an Elektroninstallation und Heizung. Ein unbebautes Grundstück liegt auch dann vor, wenn infolge Zerstörung oder Verfall kein auf die Dauer benutzbarer Raum mehr vorhanden ist (§ 246 Abs. 2 BewG). Ist ein Gebäude lediglich vorübergehend aufgrund von Renovierungsarbeiten nicht benutzbar, liegt weiterhin ein bebautes Grundstück vor. Wird das Gebäude vermietet oder eigengenutzt, liegt ein signifikantes Indiz für die Benutzbarkeit vor. Maßgeblich sind jeweils die tatsächlichen Verhältnisse am Bewertungsstichtag.

Nach den Feststellungen des FG Düsseldorf lagen ernstliche Zweifel an der Einordnung des streitgegenständlichen Grundstücks als „bebaut“ vor. Das Gebäude litt unter erheblichen Feuchtigkeitsschäden, maroden Wasserleitungen und einer nicht mehr einsetzbaren Elektrik. Daneben waren sämtliche Boden- und Wandbeläge entfernt, Löcher in Decken und Wänden vorhanden sowie Wände teilweise eingerissen. Das Gebäude sei daher als „im Rohbau“ anzusehen und das Grundstück als unbebautes Grundstück zu bewerten.

Verfassungsrechtliche Zweifel an den Regelungen zur Feststellung des Grundsteuerwerts können die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur dann rechtfertigen, wenn ein dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes vorrangiges besonderes berechtigtes Aussetzungsinteresse besteht. Bei der Abwägung kommt es zum einen auf die Bedeutung und Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes eintretenden Eingriffs und zum anderen auf die Auswirkungen einer AdV hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an. Das besondere berechtigte Aussetzungsinteresse wird vom BFH regelmäßig bejaht, wenn die als verfassungswidrig angesehene Vorschrift dem BVerfG bereits zur Prüfung vorliegt (Art. 100 Abs. 1 GG) oder dem Steuerpflichtigen durch den sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts irreparable Nachteile drohen.

Das FG Düsseldorf schließt sich ausdrücklich und entgegen etwaiger Kritik der bisherigen Rechtsprechung des BFH an und fordert bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ein besonderes berechtigtes Aussetzungsinteresse. Der BFH wie auch das BVerfG hatten in jüngerer Vergangenheit jeweils offengelassen, ob an der Rechtsprechung zum besonderen berechtigten Interesse festzuhalten ist bzw. ob dieses uneingeschränkt mit dem Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes vereinbar ist (Art. 19 Abs. 4 GG). Jedenfalls in Einzelfällen hatte der BFH eine Aussetzung mangels besonderen berechtigten Interesses jedoch weiterhin abgelehnt. Sowohl in der Literatur als auch in den Beschlüssen des FG Rheinland-Pfalz vom 23.11.2023 wird dagegen die Ansicht vertreten, dass bei verfassungsrechtlichen Zweifeln die AdV zu gewähren sei, da diese schon bei Zweifeln an der (einfachen) Rechtmäßigkeit regelmäßig gewährt würde. Nach Ansicht des FG Düsseldorf habe sich der BFH jedoch nicht von dem Erfordernis des besonderen berechtigten Interesses abgekehrt (vgl. BFH, Beschlüsse vom 18.01.2023 – II B 53/22, vom 28.10.2022 – VI B 15/22 und vom 17.12.2018 – VIII B 91/18). Auch das BVerfG habe die Rechtsprechung des BFH nicht verworfen, sondern lediglich offengelassen, ob diese in jeder Hinsicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist. Es handle sich um eine zulässige Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO.

Vor diesem Hintergrund könne dahinstehen, ob überhaupt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen vorliegen, da jedenfalls kein besonderes berechtigtes Aussetzungsinteresse anzunehmen sei. Im vorliegenden Fall überwiege das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung sowie am Vollzug des Gesetzes das Interesse der Antragstellerin, das ausschließlich darin bestand, die Grundsteuer ab dem 01.01.2025 nicht auf Basis des streitgegenständlichen Grundsteuerwertbescheids bezahlen zu müssen. Überdies entfalte der Grundsteuerwertbescheid als Grundlagenbescheid gerade keine akuten wirtschaftliche Folgen; diese treten erst zum 01.01.2025 ein. Demgegenüber würde die Gewährung der AdV faktisch zu einem vorläufigen Außerkraftsetzen des BewG für einen nicht absehbaren Zeitraum sowie zu erheblichen Einnahmeausfällen bei den Gemeinden führen.

Ausblick

Das FG Düsseldorf hat die Beschwerde gegen die Entscheidung zugelassen. Es liegt bislang weder eine höchstrichterliche Entscheidung über das Erfordernis eines besonderen berechtigten Aussetzungsinteresses vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG vor noch ist die Rechtsprechung der einzelnen Finanzgerichte hierzu einheitlich. Der BFH hatte sich insoweit auch in seinen beiden Beschlüssen vom 27.05.2024 nicht geäußert. Sofern an dem Erfordernis des besonderen berechtigten Aussetzungsinteresses festgehalten wird, ist zu erwarten, dass sich die Gerichte der skizzierten Argumentation hinsichtlich der Interessenabwägung und vorbehaltlich etwaiger Besonderheiten im Einzelfall im Zusammenhang mit dem Grundsteuer-Bundesmodell anschließen werden. Dies dürfte dazu führen, dass Anträge auf AdV ausschließlich auf Basis verfassungsrechtlicher Zweifel an der Neuregelung des Grundsteuersystems nur bedingt Aussicht auf Erfolg haben.

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