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09.11.2023

Steuerboard

Grunderwerbsteuer im Spiegelkabinett: Ein steuerliches Vexierspiel

Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem dieser schillernden Spiegelkabinette, wie man sie auf Jahrmärkten findet. Jeder Ihrer Schritte wird von einem Echo Ihrer selbst begleitet, jede Handbewegung millionenfach reflektiert. Jetzt stellen Sie sich weiter vor, jedes dieser Spiegelbilder müsste einzeln Eintritt zahlen – absurd, nicht wahr? Genau diese Absurdität spiegelt sich wider in der Welt der Grunderwerbsteuer, wenn man durch das komplexe Labyrinth der Beteiligungsketten und Konzernstrukturen navigiert. Diese rätselhafte Welt war an dieser Stelle bereits Diskussionsgegenstand (zuletzt Völlkopf, DB Steuerboard vom 12.09.2023). Nunmehr hat die Finanzverwaltung sich zu ihrer Auffassung zur grunderwerbsteuerlichen Zurechnung geäußert (gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 16.10.2023). Die Finanzverwaltung verliert sich dabei im Schillern der Reflexionen – für die Steuerpflichtigen ist es nicht leichter geworden.

Grunderwerbsteuer im Spiegelkabinett: Ein steuerliches Vexierspiel

RA Dr. David Hötzel, LL.M.,
ist Counsel bei POELLATH, Berlin

Das Große und Ganze

Die gleichlautenden Erlasse liegen im Grundsatz auf einer Ebene mit der Rechtsprechung des BFH. Die Zugehörigkeit eines Grundstücks zum Vermögen einer Gesellschaft bestimmt sich nicht nach zivilrechtlichen oder ertragsteuerlichen Grundsätzen, sondern nach eigenen grunderwerbsteuerlichen Prinzipien. Diese Zurechnung, konkret ihr Beginn und Ende, werden (ausschließlich) dadurch bestimmt, dass bestimmte Steuertatbestände verwirklicht werden (§ 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG). Das bloße Halten einer Beteiligung jenseits der grunderwerbsteuerlich relevanten Quote ist nicht ausreichend. Auch die Verwirklichung der Übertragungstatbestände, die den Übergang des Grundstücks auf eine neue Gesellschaft fingieren (§ 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG), führt nicht zu einer Änderung in der grunderwerbsteuerlichen Zurechnung.

Folge dieser Sichtweise ist, dass Grundstücke mehreren Gesellschaften zugerechnet werden können, sofern sie innerhalb einer Beteiligungskette liegen und durch bestimmte grunderwerbsteuerbare Vorgänge angeschafft worden sind.

Beispiel: Eine Holding-GmbH kauft 100% der Anteile der grundstückshaltenden Immo-GmbH. Der Ankauf (Signing) ist zunächst steuerbar bei der Holding-GmbH (§ 1 Abs. 3 GrEStG). Ein nachfolgender Übergang der Anteile (Closing) lässt die Besteuerung bei der Holding-GmbH zwar wieder entfallen (§ 16 Abs. 4a GrEStG), ändert nach den Ländererlassen aber nichts an der neu begründeten Zurechnung. Neben der Immo-GmbH wird das Grundstück fortan auch der Holding-GmbH zugerechnet. Erwirbt sodann die Erwerb-GmbH 100% der Anteile an der Holding-GmbH, erwirbt sie in der grunderwerbsteuerlichen Erlasslogik in einem Rechtsakt zwei grundstückshaltende Gesellschaften (Holding- und Immo-GmbH).

Dies kann nach Ansicht der Finanzverwaltung dazu führen, dass bei Anteilsübertragungen auf verschiedenen Ebenen einer Beteiligungskette mehrfach Grunderwerbsteuer anfallen kann, obwohl ökonomisch nur eine singuläre Übertragung eines Grundstücks stattfindet. Diese Kumulation von Steuerlasten muss als unangemessen betrachtet werden. Eine doppelte Besteuerung desselben wirtschaftlichen Vorgangs steht im Widerspruch zum steuerlichen Leistungsfähigkeitsprinzip. Selbst soweit man diesem Prinzip bei Verkehrssteuern keine Bedeutung beimisst, scheint die Mehrfachbesteuerung eines einzelnen Rechtsträgerwechsels verfassungsrechtlich kaum haltbar. Eine Rechtfertigung wird nicht mit dem tautologischen Hinweis gelingen, die Besteuerung erfolge nicht doppelt, sondern „lediglich zweimal Einmal“. Von den juristischen Erwägungen abgesehen hemmt die wirtschaftliche Doppelbelastung durch die Grunderwerbsteuer Kapitalverkehr und Investitionsbereitschaft in Zeiten der Krise der Immobilienbranche unnötig – das kann (sollte) auch steuerpolitisch nicht gewollt sein.

Die Details

Infolge der Ländererlasse und ihrer Ausführungen stellen sich in der Praxis zahlreiche Detail- und Abgrenzungsfragen. Nehmen wir zur Veranschaulichung das zuvor aufgeführte Beispiel, beleuchten den Erwerb der Anteile an der Holding-GmbH näher und versuchen dabei die Erlasslogik nachzuvollziehen:

Erwirbt die Erwerb-GmbH die Anteile an der Holding-GmbH in zeitlich auseinanderfallendem Kaufvertrag (Signing) und Anteilsübergang (Closing), dürfte das Signing mehrere grunderwerbsteuerliche Wirkungen erfüllen: (1) den Tatbestand einer Verpflichtung zu einer (mittelbaren) steuerbaren Anteilsübertragung an der grundbesitzenden Immo-GmbH, (2) den Tatbestand einer Verpflichtung zu einer (unmittelbaren) steuerbaren Anteilsübertragung an der ebenfalls grundbesitzenden Holding-GmbH (jeweils § 1 Abs. 3 GrEStG), (3) die Beendigung der Grundstückszurechnung zur Holding-GmbH [Tz. 8 und 19 sprechen für diese Sichtweise] und (4) die Neubegründung der Grundstückszurechnung zur Erwerb-GmbH. Das anschließende Closing hat zwei weitere Wirkungen: (5) es führt zu einer steuerbaren Anteilsübertragung nur auf Ebene der Immo-GmbH (§ 1 Abs. 2b GrEStG), denn der Holding-GmbH ist der Grundbesitz in diesem Zeitpunkt nicht mehr zuzurechnen und (6) erlaubt die Aufhebung der Besteuerung des Signings (§ 16 Abs. 4a GrEStG) [bei grundstücksbezogener Betrachtung wohl auf beiden Ebenen, in der maßgeblichen Tz. 11 des Erlasses aber nicht ausdrücklich bestätigt]. Versteht man die Erlasse in dieser Weise und ignoriert die in den Klammern skizzierten Rechtsunsicherheiten, muss man konstatieren: nachdem der Rauch sich legt, verbliebe nur einmal Grunderwerbsteuer aufgrund des Closings auf der Ebene der Immo-GmbH. Der Weg dahin mag unnötig kompliziert erscheinen, wäre aber im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Das Beispiel kommt jedoch schnell an seine Grenzen in folgenden Abwandlungen: Erwirbt nicht eine Erwerb-GmbH 100%, sondern erwerben die Erwerb-1- und die Erwerb-2-GmbH jeweils 50%, entfallen die zuvor dargestellten Rechtswirkungen (1) bis (4), denn aufgrund des Signings kommt es bei keinem der Erwerber zu einer Anteilsvereinigung von mindestens 90%. Folge ist, dass die Grundstückszurechnung bei der Holding- und Immo-GmbH verbleibt. Beim folgenden Closing gehen dann sowohl die Anteile an der Holding-GmbH (unmittelbar) als auch an der Immo-GmbH (mittelbar) grunderwerbsteuerbar auf neue Gesellschafter über (§ 1 Abs. 2b GrEStG). Der Vorgang unterliegt doppelt auf Ebene der beiden GmbHs der Grunderwerbsteuer ohne Anrechnungsmöglichkeit.

Eine Doppelbesteuerung ergibt sich auch, wenn Signing und Closing in der gleichen Sekunde verwirklicht werden. In diesem Fall wird die Anteilsübertragung (§ 1 Abs. 3 GrEStG) nicht zunächst bei Signing (mit Zurechnungswirkung) verwirklicht und lediglich später von der Besteuerung ausgenommen (§ 16 Abs. 4a GrEStG). Die Anteilsübertragung ist vielmehr bereits tatbestandlich subsidiär zum in derselben Sekunde verwirklichten Anteilsübergang (§ 1 Abs. 2b GrEStG). Folge ist wieder: Die Rechtswirkungen (1) bis (4) aus dem Ausgangsbeispiel treten nicht ein, es verbleibt bei der Doppelzurechnung und es kommt in der Folge zur Doppelbesteuerung auf Ebene der Holding- und Immo-GmbH.

Die Beispiele zeigen, dass die Anwendung des § 1 GrEStG hier schlicht nicht mehr folgerichtig seinem Normbefehl entsprechend umgesetzt wird. Das Auseinander- oder Zusammenfallen von Signing und Closing bei der Veräußerung von Anteilen an Immobiliengesellschaften ist lediglich vertragstechnischer Natur, wirtschaftlich ist es aber der nämliche Vorgang.

Der Befund

In einer Welt, in der Effizienz und wirtschaftliche Vernunft hohe Güter sind, ist eine Verwaltungspraxis nicht hinnehmbar, die in scheinbarer Rechtsdogmatik ein künstliches Modell zur Anwendung des Grunderwerbsteuerrechts ersinnt, dabei den Telos der Norm aber völlig verliert.

Von denjenigen Lesern, die bis zu diesem Absatz gekommen sind, darf auch nicht verkannt werden, dass die Diskussion des Themas hier und andernorts von Paragrafen und grunderwerbsteuerlich spezifischer Terminologie durchdrungen ist, zugleich aber ohne diese formal-juristischen Anknüpfungen kaum ohne Inhaltsverlust möglich scheint. Anders formuliert: Mit Ausnahme einiger spezialisierter Steuerberater, Juristen und der allgegenwärtigen KI ist das Grunderwerbsteuerrecht in dieser Weise kaum jemandem erklärbar und bleibt damit hinter rechtsstaatlichen Grundgedanken zurück.

Die Zukunft

Es empfiehlt sich, den Gesetzgeber zu adressieren, um Mehrfachbelastungen auszuschließen und die Grunderwerbsteuer auf einen realen und einmaligen Rechtsträgerwechsel zu beschränken. Das Bestreben der Finanzverwaltung, Besteuerungslücken bei den unliebsamen „Share Deals“ zu schließen, ist nur allzu verständlich, kann aber vernünftigerweise nicht, wie in den Erlassen vorgesehen, überschießend umgesetzt werden.

Eine Lösung könnte in dem jüngst vom Bundesministerium der Finanzen zirkulierten Diskussionsentwurf für eine Modernisierung des Grunderwerbsteuerrechts („MoMo“) zu finden sein, der sich in Grundzügen an einem Vorschlag des Arbeitskreises Grunderwerbsteuerrecht an der Universität Leipzig orientiert und im Dialog zwischen Wissenschaft, Beraterpraxis und den Bedürfnissen der Finanzverwaltung ernstlich diskutiert und auf seine Tauglichkeit hin untersucht werden sollte.

Bis zur Umsetzung einer „großen Reform“ bleibt nur, in den Reflexionen des steuerlichen Spiegelkabinetts den Weg zur minimalen Steuerlast zu suchen. In der anwaltlichen und steuerberatenden Praxis muss besonderes Augenmerk auf die Zurechnungsfragen bei der Gestaltung von Unternehmensstrukturen und Transaktionen gelegt werden, um die Risiken einer Mehrfachbelastung zu minimieren. Zugleich müssen Fälle aus der Vergangenheit, soweit sie noch nicht bestandskräftig sind, mit den Erlassen im Blick unter Umständen erneut bewertet und nachträglich angezeigt werden.

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