Durch § 1 Absatz 2 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27.03.2020 (BGBl. I S. 569 f.), das zuletzt durch Artikel 15 des Gesetzes vom 10.09.2021 (BGBl. I S. 4147) geändert worden ist (GesRua-COVBekG), erhalten Aktiengesellschaften und verwandte Rechtsformen erstmals die Möglichkeit, ihre Hauptversammlungen als ausschließlich virtuelle Hauptversammlungen, das heißt, ohne physische Präsenz sämtlicher Aktionäre abzuhalten. Das GesRuaCOVBekG tritt mit Ablauf des 31. August 2022 außer Kraft.
Dabei handelt es sich um eine Sonderregelung, deren Erlass aufgrund der COVID-19-Pandemie erforderlich war, um den Gesellschaften angesichts der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen die Abhaltung ihrer Versammlungen in rechtssicherer und praktikabler Form zu ermöglichen.
Virtuelle Hauptversammlungen haben sich etabliert
Das Format der virtuellen Hauptversammlung wurde von der Praxis gut angenommen und hat sich im Großen und Ganzen bewährt. So gab es etwa steigende Präsenzraten in den Versammlungen. Die Möglichkeit, das Fragerecht in das Vorfeld der Versammlung zu verlagern, hat zu einer Erhöhung der Qualität bei der Beantwortung von Aktionärsfragen beigetragen. Dennoch ermöglicht das GesRuaCOVBekG aufgrund seines Charakters als pandemiebedingte Sonderregelung die Ausübung der Aktionärsrechte nicht in dem gleichen Maße, wie dies im Rahmen einer Präsenz- oder hybriden Versammlung möglich ist.
Fortschreitende Digitalisierung des Aktienrechts
Vor dem Hintergrund der in den letzten beiden Jahren gesammelten grundsätzlich positiven Erfahrungen und der fortschreitenden Digitalisierung auch des Aktienrechts soll die virtuelle Hauptversammlung eine dauerhafte, weiterentwickelte Regelung im Aktiengesetz (AktG) erhalten, die insbesondere das Niveau der Rechtsausübung durch die Aktionäre dem der Präsenzversammlung vergleichbar gestalten und gleichzeitig eine durch das virtuelle Format erforderliche Entzerrung der Versammlung erreichen will. Zu diesem Zweck hat das Bundesministerium der Justiz einen Referentenentwurf veröffentlicht und an Länder und Verbände verschickt. In das AktG soll ein neuer § 118a als zentrale Vorschrift der virtuellen Hauptversammlung eingefügt werden. Die Entscheidung für die virtuelle Hauptversammlung bedarf einer Grundlage in der Gesellschaftssatzung, sodass die Aktionäre über deren Format entscheiden. Die Präsenzversammlung bildet damit weiterhin die Grundform der Hauptversammlung. Die Regelung in der Satzung oder eine entsprechende Ermächtigung des Vorstands muss auf bis zu fünf Jahre befristet werden, um die Legitimation der Entscheidung regelmäßig zu erneuern.