02.06.2020

Meldung, Wirtschaftsrecht

Experten kritisieren Karlsruher EZB-Urteil

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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) ist bei Experten im Bundestag auf erhebliche Kritik gestoßen. In einer öffentlichen Anhörung des Europaausschusses sprachen zahlreiche Sachverständige von einer Kompetenzüberschreitung der Karlsruher Richter durch das EZB-Urteil und warnten den Bundestag davor, den Konflikt infolge des Urteils weiter eskalieren zu lassen.

„Die europäische Rechtsgemeinschaft steht auf dem Spiel“, urteilte Franz C. Mayer von der Universität Bielefeld. Der Richterspruch sei ein Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB sowie des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der die Anleihekäufe 2018 gebilligt hatte. Absehbar würde dies weitere Klagen nach sich ziehen, warnte Mayer mit Blick unter anderem auf das gerade beschlossene Pandemie-Notfallankaufprogramm PEPP. Für Bundestag und Bundesregierung bleibe „rätselhaft“, was das BVerfG von ihnen verlange. Seiner Ansicht nach haben beide hinsichtlich der von den Richtern geforderten Verhältnismäßigkeitsprüfung, auf die sie gegenüber der EZB hinwirken sollen, „weiten Spielraum“.

Unabhängigkeit von EuGH und EZB

Von einem „Fehlurteil“ sprach Bernhard W. Wegener von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Indem das Bundesverfassungsgericht die europäischen Kompetenzen einhegen wolle, überziehe es seine eigenen „in eklatanter Art und Weise“. Der im Urteil aufgeworfene Maßstab der Verhältnismäßigkeit sei in einer Rechtsgemeinschaft zudem „an jeder Stelle und zu jedem Zeitpunkt“ streitbar. Dem Bundestag empfahl Wegener, sich inhaltlich von dem Beschluss abzugrenzen. Außerdem sollten die Abgeordneten die Unabhängigkeit von EuGH und EZB betonen. Sie sollten die EZB bitten, ihnen die eigene Einschätzung zu bestätigen, nach der an der Verhältnismäßigkeit des PSPP-Programms keine Zweifel bestünden.

Ähnlich äußerte sich Martin Höpner vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG). Die an die EZB gerichtete Bitte auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung sollte der Bundestag um eine Erklärung ergänzen. In dieser würde unter anderem klargestellt, dass er keine Eingriffe in den Instrumentenkasten der EZB wünsche und bezwecke.

EZB-Urteil verursacht heikle Situation

Christian Walter (Ludwig-Maximilians-Universität München) sprach wegen der Verpflichtung auf die Unabhängigkeit der EZB von einer „heiklen politischen und rechtlichen Situation“ für den Bundestag. Das Bundesverfassungsgericht nehme das Parlament in die Pflicht, weil ihm selbst die „Kassationsbefugnis gegenüber den Rechtsakten der EU fehle“. Dies stelle eine „weitgehende Instrumentalisierung von Verfassungsorganen“ dar. Walter betonte, die Reaktion der Abgeordneten könne nicht über eine „vorsichtig formulierte Bitte“ hinausgehen.

Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) legte das Augenmerk auf das Mandat der EZB, wonach deren Aufgabe sei, die Preisstabilität zu wahren. Würde dieses Mandat eingeschränkt, gefährde dies die Glaubwürdigkeit und Effektivität der Zentralbank. „Wie kann eine Geldpolitik, die versucht, ihr Mandat zu erfüllen, nicht verhältnismäßig sein?“, fragte Fratzscher.

Überforderung der EZB befürchtet

Kritischer gegenüber der EZB und der Rolle der EU-Mitgliedstaaten äußerten sich Jürgen Rocholl von der European School of Management and Technology (ESMT) und Dirk Meyer von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Rocholl wertete das Urteil als „Sprengstoff“ für weitere Aktionen der EZB und warnte davor, das Mandat der EZB zu weit auszulegen. Deren Rolle sei in den vergangenen Jahren immer größer geworden, sodass eine Überforderung drohe. Ein Grund dafür sei das Versäumnis der politischen Ebene, mehr Schritte in Richtung europäische Integration zu machen.

Nach Ansicht von Meyer ergibt die Analyse des PSPP-Programms in drei Punkten Hinweise, dass die deutschen Verfassungsorgane ihrer Integrationsverantwortung nicht ausreichend nachgekommen seien und es unter anderem Verstöße gegen das Verbot zur monetären Staatsfinanzierung gegeben habe. Um das zukünftig – etwa beim Pandemie-Notfallankaufprogramm – zu verhindern, sprach er sich in seiner Stellungnahme für eine institutionalisierte und regelmäßige Kontrolle entsprechender Programme, beispielsweise durch den Europaausschuss, aus.

(Dt. Bundestag, hib vom 26.05.2020 / Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro)

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