Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Urteil vom 11.09.2025 (C-38/24 Bervidi) klargestellt, dass der Diskriminierungsschutz im Arbeitsrecht auch für Eltern behinderter Kinder gilt, selbst dann, wenn sie selbst nicht behindert sind. Arbeitgeber müssen Arbeitsbedingungen entsprechend anpassen, solange dies zumutbar ist.
Hintergrund: Streit um feste Arbeitszeiten
Eine Stationsaufsicht in Italien beantragte bei ihrem Arbeitgeber wiederholt, an einem Arbeitsplatz mit festen Arbeitszeiten eingesetzt zu werden. Der Grund: Sie müsse sich um ihren vollinvaliden Sohn kümmern. Während der Arbeitgeber zeitweise Anpassungen gewährte, verweigerte er eine dauerhafte Lösung. Die Angelegenheit ging durch mehrere Instanzen bis zum italienischen Kassationsgerichtshof, der schließlich den EuGH um eine Auslegung des Unionsrechts bat.
Kern des Verfahrens war die Frage, ob das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen einer Behinderung auch dann greift, wenn der Arbeitnehmer selbst nicht behindert ist, sondern ein behindertes Kind betreut. Der EuGH bestätigte dies eindeutig: Auch sogenannte „Mitdiskriminierungen“ sind vom Diskriminierungsschutz der EU erfasst.
Bezug zu früherer Rechtsprechung und internationalen Normen
Der EuGH stützt sich unter anderem auf das Urteil Coleman, in dem bereits festgestellt wurde, dass eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Behinderung eines nahen Angehörigen unzulässig ist. Zudem verweist der EuGH auf die Charta der Grundrechte der EU und die UN-Behindertenrechtskonvention, wonach die Rechte behinderter Menschen, insbesondere von Kindern, auch durch Schutzmaßnahmen für deren Eltern gewahrt werden müssen.
Arbeitgeber müssen „angemessene Vorkehrungen“ treffen, um die Unterstützung behinderter Kinder durch ihre Eltern zu ermöglichen, solange diese Maßnahmen nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen. Die Bewertung dieser Verhältnismäßigkeit obliegt den nationalen Gerichten im Einzelfall.